Genau hingucken
Verfolgt die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Euro-feindlichen Kurs? Patrick Bernau, Leiter der Ressorts Wirtschaft und Finanzen Online, erläutert die Haltung der FAZ zur Euro-Kontroverse.
von Patrick Bernau
Wie berichtet man über Europas Schuldenkrise? Über die größte Krise, die Europa in einem halben Jahrhundert erlebt hat? Das geht sicherlich nicht fehlerfrei. Aber doch am besten, indem man sich an die guten Tugenden des Journalismus hält. Das ist unser Ziel, in der FAZ Online und in Print. In der Schuldenkrise wurden drei Tugenden besonders wichtig
1. Recherchieren, was passiert
Auf die Worte von Regierungschefs war in der Krise wenig Verlass. »Wenn es ernst wird, muss man lügen«, sagte der damalige Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker. Doch oft ging es nicht mal um Lügen, sondern schlicht um die Interpretation.
Das zeigte sich eines Morgens im Juli nach einem EU-Gipfel. Italiens Ministerpräsident Mario Monti erklärte flugs, er könne Geld aus Europa erwarten – ein paar Stunden später wurde klar: Die Bundeskanzlerin sah das ganz anders.
Da hatte unser Brüssel-Korrespondent Werner Mussler den Grund für solche Missverständnisse schon benannt: »Manche Beschlüsse waren nicht durchdacht, manche ließen so viele lose Enden übrig, dass sie den nächsten Gipfel fast herausforderten«, schrieb er in einem Essay. »Nicht, dass wir das sofort gemerkt hätten: Wir Journalisten sind nicht schlauer als die Politiker, wir sind nur genauso müde.« Umso mehr war im wachen Zustand nachzurecherchieren.
2. Viele Perspektiven bieten
Selten war Wirtschaftspolitik so umstritten wie in den vergangenen drei Jahren, selten gewann sie so eine Bedeutung. Umso wichtiger war es, die ganze Diskussion abzubilden. Einige Beispiele:
Hans-Werner Sinn hält die Target-Salden für gefährlich? Er erläuterte das in einem Gastbeitrag. 170 Ökonomen halten die Bankenunion für falsch? Sie veröffentlichten einen gemeinsamen Aufruf auf FAZ.NET. Aber nicht nur sie.
Zu Wort kam auch der britische Soziologe Colin Crouch, der ein stärkeres Europa forderte. Europas Sozialkommissar Laszlo Andor, der Deutschlands Lohnzurückhaltung eine Mitschuld an der Krise gab. Und das Autorenteam aus Jürgen Habermas, Julian Nida-Rümelin und Peter Bofinger, die einen Programmentwurf für SPD-Chef Sigmar Gabriel veröffentlichten: Sie schlugen vor, alle Schulden oberhalb einer bestimmten Grenze zu vergemeinschaften.
Die FAZ erklärte – Online und in Print – mit viel Text und Grafiken, warum Investoren die hohen Zinsen der Peripheriestaaten auf Dauer für gefährlich halten. Wer sich genauer für die Details interessierte, las im Wirtschaftsblog »Fazit« eine Erläuterung des Phänomens von »multiplen Gleichgewichten«, wegen derer Finanzmarktpaniken auch gesunde Länder zum Kippen bringen können.
Aber die FAZ kommentierte auch, dass Peripheriestaaten nicht sofort gerettet werden müssten, sondern auch die hohen Zinsen eine ganze Weile aushalten könnten. Dass sich ihre Schulden nicht beliebig verschieben ließen, dass alternative Insolvenzen im Zweifel heilsam seien und auch ein Euro-Austritt Ländern wie Griechenland helfen könnte.
3. Nicht den Mund verbieten lassen
Wenn ein Argument von Regierung und Opposition gleichermaßen totgeschwiegen wird, hatte es in den Medien schon immer einen schweren Stand. Selten aber wurde eine politische Alternative so zum Tabu erklärt wie ein Euro-Ausstieg. Aus Angst vor »den Märkten« wurden Politiker jahrelang von ihren Kollegen niedergeschrien, wenn sie nur wagten, das Szenario einmal laut zu durchdenken.
In so einer Situation dürfen sich Journalisten nicht den Mund verbieten lassen, die Alternativen müssen auf den Tisch. Wie teuer wäre ein Euro-Austritt Griechenlands, wie teuer ist ein Verbleib? Niemand kann das genau wissen. Aber man muss die Kosten abschätzen – erst dann kann man abwägen, ob sie politisch gerechtfertigt sind. Wie könnte so ein Austritt ablaufen? Wer das Szenario durchspielt, ist nicht eurofeindlich. Sondern stellt die Diskussion auf eine rationale Basis.
Die Leser diskutieren sowieso darüber. Jahrelang redeten sich die Menschen in Europa die Köpfe über Griechenlands Euro-Austritt heiß. Griechen brachten ihr Geld außer Landes, und in Deutschland spielten einige Dax-Konzerne den »Grexit« durch. Journalisten sollten diese Sorgen nicht ignorieren. Sondern zum Thema machen.
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