Recherche
Ich bin kein Schreibroboter
Horror auf dem Sinai: Tausende schwarzafrikanische Geiseln werden in Foltercamps misshandelt oder auf grausame Weise getötet. Ein Rechercheprotokoll einer sehr eindringlichen Reportage.
von Michael Obert
Zum ersten Mal hörte ich von den Foltercamps auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel bei einer Reise durch Ostafrika im Herbst 2010. Auf ihrem Weg nach Israel sollten afrikanische Migranten von Beduinen gefangen und in Wüstencamps gefoltert werden, um Lösegelder zu erpressen. Afrika ist groß. Unfassbare Geschichten werden überall erzählt. Ich staunte und vergaß es wieder.
Mehr als ein Jahr später saß ich in Mogadischu in einem zerbombten Haus. Granatsplitter steckten in den Wänden, draußen krachten Schüsse. Die Frau im zerschlissenen Gewand erzählte mir weinend von ihrer Tochter. Auf dem Weg nach Libyen, wo diese auf ein Flüchtlingsboot nach Europa hoffte, sei sie entführt und in den Sinai verschleppt worden. Regelmäßig klingelte bei ihrem Bruder, der in London lebte, das Telefon. Wenn er abnahm, hörte er seine Schwester am anderen Ende der Leitung um Hilfe schreien, während sie gefoltert wurde. Damals waren die Lösegeldforderungen noch vergleichsweise moderat. »10.000 Dollar!«, schrien die Beduinen ins Telefon. »Oder wir schlitzen deine Schwester auf.« Heute, keine zwei Jahre später, verlangen die Menschenhändler bis zum Fünffachen.
Die Tränen der Frau in Mogadischu tropften auf mein Hemd. Ich werde nie ihren gebrochenen Blick vergessen, als ich sie in der Ruine zurückließ und hinausrannte, um auf der Straße nicht von einem Scharfschützen erwischt zu werden. Das war im Frühjahr 2012. Ich kam zurück und fing an zu recherchieren. Die Foltercamps und der damit verbundene vermutete Organhandel waren von den Medien zwar gestreift worden, eine fundierte Reportage gab es nicht. Und wie sich herausstellte, ging es nicht nur um ein paar vereinzelte afrikanische Migranten, wie zuerst angenommen. Es ging um Tausende von Menschen. Sie wurden – und werden bis heute – auf bestialische Weise gefoltert und ermordet. Ihre namenlosen Leichen verrotteten damals in der Wüste. Aber niemand schien sich dafür zu interessieren […]
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