Spiegel mit blindem Fleck
Die Morde des NSU in Deutschland und das Massaker des Norwegers Breivik kamen nicht aus heiterem Himmel. Wie kann Journalismus terroristische Tendenzen frühzeitig erkennen?
dokumentiert von LISKE JAAX und TIM KUKRAL
Eine Talkshow im griechischen Fernsehen, Anfang Juni 2012: Ilias Kasidiaris, Sprecher der rechtsextremen »Goldenen Morgenröte «, schlägt auf eine Abgeordnete der kommunistischen Partei ein. Die Bilder gehen um die Welt und sind für internationale Medien Anlass, über den Aufstieg der Rechten in Griechenland zu berichten. Ein Thema, das die meisten Journalisten vorher vernachlässigt hatten. Dabei ist Griechenland das Land in Europa, in dem der Rechtsextremismus am meisten Zulauf hat.
Gerade das Beispiel Griechenland zeige, wie wichtig es sei, dass Journalismus beim Thema Rechtsextremismus Hintergründe und Zusammenhänge aufzeigt, sagte Sven Egil Omdal, Redakteur bei der norwegischen Tageszeitung Stavanger Aftenblad, auf dem Hamburger Symposium auf Einladung der Norwegisch-Deutschen Willy-Brandt- Stiftung und der Hamburg Media School Anfang November. Die Korruption im Land, die gefühlte Ohnmacht gegenüber der sogenannten Troika, die Massen an Einwanderern, die in das Land strömen – all das schaffe einen fruchtbaren Boden für rechte Hetzer, so Omdal. Doch viele Journalisten hätten Angst, es könne der Eindruck entstehen, sie würden rechte Gewalt rechtfertigen, wenn sie die Hintergründe darstellen – ob in Griechenland, in Norwegen oder in Deutschland. Über das Thema Rechtsextremismus diskutierten der Journalist Omdal, sein Landsmann, der Medienwissenschaftler Svein Brurås, und dessen deutsche Kollegen Horst Pöttker, Christian Schicha und Michael Haller. In einem waren sie sich einig: Die Medien müssen Neonazis und andere Rechtsextremisten ernst nehmen. »Die glauben an das, was sie sagen«, betonte Pöttker, Journalistik-Professor an der TU Dortmund. »Wir dürfen sie nicht für verrückt erklären. Wenn wir das tun, dann müssten wir auch einen großen Teil unserer Eltern und Großeltern für verrückt erklären«, sagte er mit Anspielung auf die NS-Zeit.
»Wir dürfen sie nicht für verrückt erklären.«
Viele Journalisten wüssten um die Gefahr, die von Rechtsextremen ausgehe, so die Einschätzungen im Symposium. Trotzdem – oder gerade deswegen – schreckten viele vor einer Berichterstattung über die Radikalen zurück. Insbesondere Lokaljournalisten müssten häufig um ihre Sicherheit fürchten, wenn sie über die Rechten in ihrem Ort berichteten. Hinzu komme die Furcht, als Nestbeschmutzer zu gelten, der die eigene Gemeinde durch seine Beiträge ins rechte Zwielicht rücke.
Eine besondere Herausforderung ist die Berichterstattung über Rechte, die sich in ihrem Auftreten eher bürgerlich als radikal geben. Dies ist zum Beispiel bei Islamhassern der Fall, für die die Ideologie der Nationalsozialisten nur noch eine geringe bis gar keine Rolle spielt. Im Zentrum ihres Hasses stehen die in Europa lebenden Muslime und ihre Religion. Hauptschwierigkeit für Journalisten dabei ist es, die Trennlinie zwischen legitimer Religionskritik auf der einen und Volksverhetzung auf der anderen Seite zu erkennen.
Einen Grund dafür, weshalb diese Trennung so schwerfällt, sah Tagungsleiter und Message-Herausgeber Michael Haller in der »Multi-Kulti-Ideologie der 80er-Jahre«. Damals seien Probleme, die dem Ideal der multikulturellen Gesellschaft widersprachen, in den Medien kaum thematisiert worden. So habe man radikalen Kräften das Feld überlassen. Dabei könne beispielsweise ein Stadtteilporträt über Berlin- Kreuzberg für Aufklärung sorgen. Doch viele Journalisten hätten Angst, damit einer Stigmatisierung Vorschub zu leisten, sagte Haller. Das müsse aber nicht unbedingt der Fall sein. Vielmehr könne ein solches Porträt, vermutet auch der Norweger Omdal, zur Überwindung von Vorurteilen beitragen – zumindest dann, wenn der Journalist Sensationalismus vermeide. Er könne zeigen, dass auch in sogenannten »Problemvierteln « Kriminelle und radikale Islamisten nur eine kleine Minderheit seien. Und dass die Mehrheit der Zugewanderten das friedliche Zusammenleben suche. Daher forderte Medienwissenschaftler Svein Brurås: »Make the moderate immigrants visible!« Vielerlei Hemmnisse und blinde Flecken führen dazu, dass die Berichterstattung über Rechtsextremismus und -terrorismus oft erst dann einsetzt, wenn etwas passiert ist. Die Anschläge von Anders Behring Breivik in Norwegen oder die lange unentdeckte Mordserie der Zwickauer Terrorzelle namens NSU liefern schließlich spektakuläre Anlässe für die Berichterstattung. Michael Haller beklagte das: »Ohne Aufhänger wird über Rechtsextremismus kaum berichtet.«
Strittig ist, ob gute Journalisten dieses Gesetz des Medienbetriebs überwinden können. Journalistik-Professor Pöttker meint, sie müssten: »Journalismus ist auch ein kreativer Beruf!« Der Journalist solle sich fragen: »Wie bringe ich das meinem Publikum näher?« – auch dann, wenn ihm dessen Aufmerksamkeit nicht ohnehin durch einen Anschlag sicher sei.
Doch wie genau kann eine Berichterstattung über komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge gefördert werden? Verschiedene Ideen wurden diskutiert.
Christian Schicha, Professor für Medienethik und Chefredakteur der Zeitschrift für Medienethik, sieht das Problem nicht nur bei den Journalisten: »Für viele Leser sind tiefere Analysen und Einordnungen unsexy.« Schicha vermutet, eine regelmäßige Berichterstattung über Rechts könne nur über Einzelschicksale und prominente Figuren vermittelt werden. Trotzdem sei es Aufgabe von Qualitätsmedien, auch die Hintergründe zu beleuchten. Denn wenn Journalisten sich nur an den Interessen ihrer Rezipienten orientierten, müssten sie konsequenterweise nur noch Service-Themen anbieten. Die fänden beim Publikum am meisten Beachtung, so Schicha. Haller und Pöttker widersprachen. Ihrer Meinung nach schließt das Interesse des Publikums an Service-Themen eine Beschäftigung mit gesamtgesellschaftlichen Fragestellungen nicht aus. Problematisch hingegen ist es Haller zufolge, dass sich die meisten Journalisten aus der Mittelschicht rekrutieren. Von Problemen in den sozialen Brennpunkten seien sie daher weniger betroffen – umso leichter falle es ihnen, diese heiklen Randzonen zu ignorieren. Häufig würden Journalisten an der Alltagserfahrung ihrer Leser vorbeischreiben.
Ein Problem, das Sven Egil Omdal vom Stavanger Aftenblad auch aus Norwegen kennt: »Die weiße Mittelschicht schreibt über die weiße Mittelschicht. Der hohe Anteil an Immigranten spiegelt sich nicht in den Medien wider.« Dabei sei gerade das die Basis-Aufgabe von Journalismus, findet Omdal. »In jedem Land gibt es ein Magazin oder eine Zeitung mit dem Namen The Mirror oder Der Spiegel. Denn genau das ist es, was Journalismus sein sollte: ein Spiegel der Gesellschaft.«
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