Forschung
Vom tiefen Klang des Schweigens

Die Fernsehreporter stießen auf Angst und Misstrauen, als sie für eine ARD-Dokumentation über die Opfer der rechtsextremen NSU drehte. Die Geschichte einer schwierigen Annäherung.

von Anne Kathrin Thüringer

Und plötzlich ist Niko wieder da. Damit hatte ich nicht mehr gerechnet. An einem Freitagmorgen im Februar, während ich einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung lese: »Im Leberwurstland«. Darin Auszüge aus einem Gespräch zweier Neonazis. Wovon die erzählen, ist wirklich braun. Es geht um Verdauungs-Probleme beim »Heimat-Schiss«; Leberwurst und Kartoffeln sollen Linderung verschaffen. Sie verabschieden sich lapidar: »Na guti«, »Heil Hitler« (Süddeutsche Zeitung, 17. Februar 2012). Eine banale, böse Welt. Die Männer sind Sympathisanten und vermutlich auch Helfer des rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Und allem Anschein nach sind sie verantwortlich für das, was am 15. Juni 2005 in München geschah. An diesem Tag wurde der Grieche Theodorus Boulgarides mit drei Schüssen in den Kopf hingerichtet. Niko war sein bester Freund.

>Ohne Gesicht und Geschichte

Theodorus bedeutet auf Griechisch »Geschenk Gottes«. Mehr als sechs Jahre nach der Tat, erzählt mir Niko von diesem Tag, der sein Leben verändert hat, vor laufender Kamera. Seine Bedingung: Im Film darf man ihn nicht erkennen. Es bleibt nur der Schattenriss seiner Person. Und das ist ihm fast schon zu viel. Niko heißt in Wirklichkeit anders; seinen echten Namen soll der Film nicht nennen. Auch wie gut er Theo tatsächlich kannte, darf ich nicht sagen. Denn Niko wollte gar nicht reden. Auch seine Frau war strikt gegen ein Interview. Bis er sich endlich doch entschließt, habe ich stundenlang auf ihn eingeredet. Ich wollte unbedingt, dass seine Geschichte Teil unseres Films wird. Mit zwei Kollegen drehte ich damals für die Dokumentation: »Acht Türken, ein Grieche und eine Polizistin – Die Opfer der Rechtsterroristen«, die am 12. Dezember 2011 in der ARD ausgestrahlt wurde. Ganz bewusst sollte sich der Film auf die Opfer und ihre Angehörigen konzentrieren. Auf ihre Perspektive und das, was sie durchgemacht hatten, seit der Ermordung ihrer Väter, Brüder, Cousins und Freunde. Da war zum einen der Schmerz des plötzlichen und gewaltsamen Verlusts. Doch schnell wurde klar, dass es um viel mehr gehen würde: Denn zum anderen war da die jahrelange Ungewissheit und das Grübeln über die Gründe für den Mord; schlimme Verdächtigungen der Polizei, die auch über die Presse kommuniziert wurden. Daraus entstanden schließlich Zweifel, die sich langsam bei den Nachbarn und Freunden einschlichen, bis sie sich zuletzt sogar in der eigenen Familie festsetzten: Gab es da doch ein dunkles Geheimnis? Hat er etwas vor uns verborgen? War er vielleicht ein ganz anderer? …

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