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»Es waren keine Spekulationen«

Die Spiegel-Rechercheure Udo Ludwig und Matthias Geyer haben das Dopingsystem im Team Telekom enthüllt. Im Gespräch mit Message geht es um Informanten, Scheckbuchjournalismus, Anzeigenentzug und den scharfen Wind aus den eigenen Reihen.

von Uwe Krüger

Sie haben zusammen mit zwei Kollegen den Henri- Nannen-Preis bekommen für Ihre Enthüllungen über Doping im Team Telekom. 1999 wurden Sie noch scharf kritisiert für Ihre erste Story »Die Werte spielen verrückt«. Ist der Preis für Sie eine späte Anerkennung für die alte Geschichte?

Ludwig: Für uns ist es vor allem eine Genugtuung für die Geschichte von 1999, weil das damals sehr viel Kraft gekostet hat, auch persönlich. Die Veröffentlichungen von 2007 waren ja nur eine späte Bestätigung dessen, was wir 1999 geschrieben haben.

Geyer: Manchmal bekommt man für einen Text, den man geschrieben hat, unmittelbar danach ein Lob. In dem Fall hat es eben ein bisschen länger gedauert.

Inwiefern hat Sie denn die Geschichte damals viel Kraft gekostet, Herr Ludwig?

Ludwig: Es gab drei Dinge, die damals für einen Journalisten schwer zu ertragen waren. Wir wurden juristisch sehr bekämpft, zum Teil mit eidesstattlichen Erklärungen, von denen wir heute wissen, dass sie nicht der Wahrheit entsprachen. Unser Verlag wurde wirtschaftlich bekämpft, vor allem, indem die Telekom geplante Anzeigen nicht schaltete. Und wir wurden persönlich diffamiert. Der Telekom-Sprecher Jürgen Kindervater sprach von »Rufmordkampagne«, »Schmuddeljournalismus in Reinkultur« und davon, dass wir »mit dem Scheckbuch unterwegs« gewesen seien.

Geyer: Es gibt ja zwei Sorten von Geschichten. Bei der einen hält man sich in einem Metier auf, über das man einen bunten, informativen, bestenfalls auch noch unterhaltsamen Text schreiben kann. Bei dem man aber auch weiß: Er hat wenig oder gar keine Auswirkungen. Oder man fasst etwas an, von dem man weiß, dass es danach ungemütlich werden kann. Im Fall Telekom ist es eben sehr ungemütlich geworden. Nach außen, aber auch nach innen.

Spielen Sie auf Stefan Aust und seine Verbindungen zur Telekom an?

Geyer: Wenn ein so mächtiger Konzern in der Öffentlichkeit den Spiegel derart angreift und darüber in anderen Medien berichtet wird, dann fällt das ja auf den Spiegel zurück. Dann fragt sich auch der eine oder andere im eigenen Unternehmen, ob das denn so richtig gewesen ist, was wir da gemacht haben. Und wenn man zunächst nicht in der Lage ist, die Vorwürfe juristisch beweisen zu können, dann ist das eine unkomfortable Situation.

Gab es denn innerredaktionelle Hürden beim Publizieren der Geschichte? Noch kurz vorher, im März 1999, bot der Spiegel seinen Lesern eine Werbe-CD-Rom von T-Online an und lobte den TOnline- Chef über den grünen Klee. Und Stefan Aust saß im ominösen »Medienbeirat« der Telekom. Ludwig: Es gab vor der Veröffentlichung eine Runde mit allen Beteiligten aus Verlag und Redaktion des Spiegel. Stefan Aust hat die Geschichte nicht verhindert. Er hat zugelassen, dass sie veröffentlicht wird.

Um seinen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen?

Ludwig: Das müssen Sie schon Herrn Aust selber fragen.

Und nach der Veröffentlichung?

Ludwig: Wer nach der Veröffentlichung im Einzelnen was geäußert hat, das gehört nicht in die Öffentlichkeit, das sind Redaktionsinterna. Es ging scharfer Wind, aber es gab genauso Kollegen – auch in der Chefredaktion – die uns den Rücken gestärkt haben. Es war also auch tragender Wind dabei.

Geyer: Sagen wir so: Es gab hier und da Beziehungskrisen. Aber die sind mittlerweile überwunden.

Sie sprachen den Anzeigenentzug an. Wie schnell und wie massiv kam der denn?

Geyer: Unmittelbar.

Ludwig: Man darf sich das nicht so naiv vorstellen, dass die Telekom sagte: Ihr kriegt keine Anzeigen mehr. Es gab auch keinen kompletten Anzeigenboykott. Es hatte aber Verabredungen mit der Telekom gegeben, was man bis Ende 1999 noch alles machen wollte, und da ist vieles nicht realisiert worden.

Von einem Millionenbetrag, der dem Spiegel entgangen ist, schreiben Sie in Ihrem Buch »Der verratene Sport«.

Ludwig: Unsere Anzeigenabteilung kann das sehr gut beziffern, die kam auf eine siebenstellige Zahl.

Kommen wir zu Ihren Recherchemethoden. Die Radsport-Welt ist eine verschwiegene Gemeinschaft. Wie ist es Ihnen gelungen, dort Licht ins Dunkel zu bringen?

Geyer: Das können wir Ihnen natürlich nicht verraten. Das haben wir damals mit gutem Grund nicht preisgegeben, weil es Informanten gegeben hat, die geschützt werden mussten. Die werden auch heute geschützt und noch in dreißig Jahren. Ganz allgemein kann man natürlich sagen: durch Informationen von Leuten, die wissen, wovon sie sprechen.

Ein Radsportler wie Jörg Jaksche, der letztes Jahr im Spiegel-Interview ausgepackt hat, muss ja die Rache seiner Branche fürchten – und er ist tatsächlich bis heute in kein anderes Team aufgenommen worden. Wie bringt man so jemanden dazu auszupacken?

Ludwig: Als im Zuge der Affäre um den spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuéntes 2006 Jörg Jaksche als einer von Fuéntes’ Kunden identifiziert wurde, haben wir sofort mit ihm Kontakt aufgenommen. Zunächst war überhaupt nicht die Rede davon, dass er in irgendeiner Weise auspacken wollte.

Aber nachdem er selbst gesehen hatte, dass es für ihn schwer wird, in diesem Milieu wieder Fuß zu fassen, hat sich auch bei ihm im Kopf etwas bewegt. Er hat erkannt: Ich kann nur dann eine neue Karriere beginnen, wenn ich reinen Tisch mache, auch mit mir selber. Dass wir ihn dabei begleitet haben, unser Interesse an den Inhalten bekundet und Vertrauen aufgebaut haben, vor allem aber keinen Druck auf ihn ausgeübt haben, das hat ihn auch mit zum Ziel geführt.

Hat er Informationshonorar von Ihnen bekommen? In der Branche geistern Summen um die 50.000 Euro herum.

Ludwig: Wir haben damals Stillschweigen vereinbart. Jaksche selbst hat kürzlich öffentlich gesagt, dass er vom Spiegel 25.000 Euro bekommen hat. Diese Summe können wir nicht bestätigen, wir dementieren sie aber auch nicht.

Er hat Ihre Abmachung gebrochen?

Ludwig: Er hat es auch deshalb ganz offensiv kommuniziert, weil er immer diese Riesensummen gehört hat – dass er eben gegen Geld seine Geschichte verkauft hätte. Das ist Quatsch. Jörg Jaksche hat dadurch, dass er mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen ist, eine fünfstellige Summe verloren. Er wurde sofort aus dem Team entlassen, musste Prozesse führen und Anwälte bezahlen. Für ihn war das Auspacken ein Minusgeschäft.

Geyer: Um noch einmal auf den »Scheckbuchjournalismus « zurückzukommen, den uns Telekom-Sprecher Kindervater vorgeworfen hatte: Für die Geschichte von 1999 ist kein einziger Pfennig für irgendwelche Honorare gezahlt worden. Die Geschichte hat ein paar innerdeutsche Flugreisen gekostet und ein Mittagessen in einem italienischen Restaurant.

Wie war das bei dem ehemaligen Telekom-Pfleger Jef d’Hont, der im April 2007 auspackte? Sie hatten Auszüge aus seinem Buch abgedruckt.

Ludwig: Die Titelgeschichte »Dickes Blut« hatte 17 Seiten, davon waren 9 Seiten Auszüge aus seinem Buch. Dafür haben wir nicht Jef d’Hont, sondern dem Verlag Geld bezahlen müssen. Es gibt feste Sätze zwischen den Verlagen und unserem Haus, und in diesem Fall lag die Summe noch darunter.

Für das beigestellte Interview mit d‘Hont ist kein Geld geflossen?

Ludwig: Nein.

Kommen wir noch einmal zur Geschichte von 1999 zurück. Message hat die Story damals kritisiert und »harte Belege statt Spekulationen« gefordert. Empfanden Sie die Kritik als ungerechtfertigt?

Ludwig: Natürlich empfanden wir das als ungerechtfertigt, weil es ungerechtfertigt war.

Geyer: Wir haben ja keine Spekulationen angestellt. Ich hätte erwartet, dass andere Journalisten auf den Gedanken gekommen wären, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Wahrheitsgehalt journalistischer Fakten und deren juristischer Überprüfbarkeit.

Das heißt nicht, dass man natürlich alles, was man schreibt, juristisch belegen können sollte. In so einem Fall ist es aber Abwägungssache: Ob man etwas veröffentlicht, von dem man weiß, dass es stimmt – denn das haben wir gewusst – und der Frage, ob man das juristisch belegen kann. Wenn ich es juristisch nicht belegen kann, gibt es zwei Möglichkeiten: es trotzdem zu veröffentlichen oder die Geschichte wegzuschmeißen. Wir haben uns dazu entschieden, sie nicht wegzuschmeißen.

Was ist denn von den Vorwürfen zu halten, die die FAZ im Februar 2000 unter dem Titel »Die große Informantenverbrennung« veröffentlicht hat? Dort ging es um einen Kronzeugen Ihrer Geschichte, Dieter Quarz, der sich nicht gut behandelt fühlte.

Geyer: Ob Herr Quarz ein Kronzeuge dieser Geschichte war, welche Rolle Herr Quarz oder Herr XY dabei gespielt hat, dazu werden wir uns nicht äußern. Zu der Geschichte in der FAZ kann man nur sagen: Wenn der Kollege noch immer meint, er habe damals eine gute Geschichte geschrieben, dann sollte er vielleicht noch mal darüber nachdenken, ob er sich den richtigen Beruf ausgesucht hat.

War es denn falsch, was dort stand?

Geyer: Es ist nicht der Rede wert. Ein solcher Unsinn ist wirklich nicht der Rede wert.

Sind Sie damals dagegen vorgegangen?

Ludwig: Wir haben darüber diskutiert, dann aber Abstand davon genommen. Weil wir uns auf dasselbe Niveau hätten begeben müssen.

Was mich wirklich überrascht hat, waren die handwerklichen Fehler: Dass man sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, die Betroffenen anzuhören, also Geyer und mich.

Aber der Autor Ralf Meutgens hat Sie mit einem Satz dort zitiert, Herr Ludwig.

Ludwig: Der Satz war aus dem Hut gezaubert.

Geyer: Meines Wissens ist Herr Meutgens freier Mitarbeiter bei dieser Zeitung. Es wäre dann die Aufgabe des Redakteurs gewesen, den Text zu überprüfen und mit den Leuten zu sprechen, denen darin Vorhaltungen gemacht werden. Weder Herr Meutgens noch die FAZ haben sich mit Herrn Ludwig oder mir vorher ins Benehmen gesetzt.

Wenn ich bei Ihrer 1999er Geschichte einmal inhaltlich ins Detail gehen darf: Der Informant Dieter Quarz sagte über dort abgedruckte Doping-Dokumente, dass sie nicht von Telekom-Fahrern stammten – zumindest nicht aus den Jahren, bei dem der jeweilige Fahrer bei der Telekom war.

Geyer: Herr Kollege, wir können das abkürzen. Lassen Sie uns nicht mehr darüber reden, was Herr Quarz irgendwann irgendwo behauptet hat. Gehen Sie einfach davon aus, dass alles, was in unserem Artikel steht, stimmt.

Dann kommen wir auch schon zum Schluss …

Geyer: Gut. (lacht)

… es ist schwer vorstellbar, dass der Sponsor Telekom nichts vom Doping wusste, denn seine Fahrer waren ja zeitweise besser als die Konkurrenz, die schon damals nachweislich gedopt war. Wie sehen Sie die Rolle der Telekom?

Ludwig: Zu deren Gunsten kann man sich höchstens vorstellen, dass die Manager möglicherweise so euphorisiert waren vom Radsport und den Erfolgen, dass sie alle kühlen Blicke aus ihrem geschäftlichen Leben verloren haben.

Geyer: Ich habe Ron Sommer, Jürgen Kindervater und Rudolf Scharping bei der Tour de France am Straßenrand dabei beobachtet, wie sie ihren Leuten zugejubelt haben. Ich kann mir nur vorstellen, dass sie das so toll fanden, dass sie sich gesagt haben: Über das andere denken wir jetzt einfach mal nicht nach.

Gibt es denn Möglichkeiten, in Sachen Mitwisserschaft zu recherchieren? Arbeiten Sie daran?

Geyer: Wir arbeiten immer dran.

Ludwig: Was der Sponsor wusste, ist eine ungeklärte Frage. Und ungeklärte Fragen interessieren uns immer.


Udo Ludwig ist Redakteur im Deutschland-Ressort und Matthias Geyer Ressortleiter Gesellschaft des Spiegel. Im Jahr 1999, als sie noch im Sportressort tätig waren, recherchierten sie die Geschichte »Die Werte spielen verrückt«, in der sie Indizien dafür aufzählten, dass im Team Telekom genauso systematisch gedopt wird wie bei der gesamten Konkurrenz. Die Telekom klagte dagegen, und mangels juristisch belastbarer Belege lenkte der Spiegel kurz vor der Gerichtsverhandlung ein und verpflichtete sich, die Kernaussagen des Artikels nicht zu wiederholen.

2007 wendete sich das Blatt: Im Spiegel packten der ehemalige Telekom-Pfleger Jef d‘Hont und kurz darauf der Ex-Telekom-Fahrer Jörg Jaksche aus. Das Doping-System der Telekom-Mannschaft flog endgültig auf, und eine Welle von Geständnissen brachte ans Licht, dass es so gut wie keine Ausnahme unter den Fahrern gegeben hatte.

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