Innovation | Interview
„Journalisten müssen den Markt im Kopf haben“

Christian Fahrenbach war 2014 der erste Deutsche im „Entrepreneurial Journalism“-Programm an der City University New York. Seither hat ihn die Stadt nicht mehr losgelassen. Er beobachtet die journalistische Start-up-Szene vor Ort. Im Interview spricht der freie Journalist über Trends in den USA, Unterschiede zu Deutschland und sein neues Projekt.

Christian Fahrenbach, du hast ein Programm für journalistische Gründer in New York durchlaufen. Inwiefern, findest du, sollten Journalisten unternehmerisch denken?

Journalisten sollten definitiv den Markt im Kopf haben und sich fragen: Was wollen die Leser eigentlich? Wissen sie wirklich, was die Troika oder der US-Kongress sind? Journalisten schreiben zu oft als Experten für Experten. Dadurch gehen ihnen viele Leserschichten verloren. Unternehmen in anderen Branchen haben schon viel mehr über die Bedürfnisse ihrer Kunden herausgefunden. Damit fangen Medienunternehmen jetzt erst an. So gibt es in vielen Newsrooms nun einen Monitor, der die Leserzahlen und sonstigen Aktivitäten auf der eigenen Nachrichtenseite anzeigt. So bekommen Journalisten ein Live-Feedback zu ihrer Arbeit.

Was ist an der journalistischen Start-up-Szene in den USA anders als in Deutschland?

Christian Fahrenbach beobachtet von New York die Medienszene dies- und jenseits des Atlantiks.

Christian Fahrenbach beobachtet von New York die Medienszene dies- und jenseits des Atlantiks.

In den USA gibt es zunächst einmal stärkere Investoren, die den Gründern ein größeres Team und mehr Zeit kaufen. Bei dem Digitalunternehmen Vox Media ist NBC Universal etwa mit 200 Millionen Dollar eingestiegen. Die leserfinanzierten Krautreporter hatten zum Start nicht mal eine Million Euro. In den USA ist es außerdem schwerer, mit seinem Geld über die Runden zu kommen. Deshalb begegnet man Gründern generell mit größerem Wohlwollen als in Deutschland. Das sehen wir gerade bei der digitalen Abendzeitung Spiegel Daily. Darüber lese ich deutlich mehr negative Artikel als positive. Schließlich gibt es in den USA weniger etablierte Medienmarken, die auch online stark sind. In Deutschland gibt es mit sueddeutsche.de, faz.net, Deutsche Welle, Deutschlandfunk, Tagesschau.de, heute.de oder der eigenen Lokalzeitung mindestens ein Dutzend sehr gute Nachrichtenseiten. Auch wegen mangelnder Vielfalt haben die US-Amerikaner mehr Lust auf neue Medienmarken. Man ist zum Beispiel neugierig auf BuzzFeed oder die Huffington Post.

Was sind die Vorteile der deutschen Start-up-Szene?

Die Gründer unterstützen sich gegenseitig stark. Ein Beispiel dafür ist das Datenjournalismus-Projekt von der Spiegel-Online-Journalistin Christina Elmer und dem Recherchebüro Correctiv. In Deutschland konzentriert sich die Szene zudem nicht nur auf zwei große Städte wie L.A. und New York. Und man wird sehr schnell sichtbar. Eva Schulz vom Nachrichtenformat hochkant des öffentlich-rechtlichen Jugendangebots Funk ist zum Beispiel durch eine Reise in den Brüsseler Problembezirk Molenbeek sehr schnell als Snapchat-Journalistin bekannt geworden. Einfach, weil sie den Mut hatte, Snapchat zu ihrem Fachgebiet zu machen.

Was sind gute Beispiele für deutsche Medien-Start-ups?

Sehr viel Gutes höre ich über die News-App Resi von Martin Hoffmann. Auch Übermedien von Stefan Niggemeier und Boris Rosenkranz ist ein starkes Projekt. Dafür schreibe ich selbst. Opinary finde ich ebenfalls bewundernswert. Die setzen Umfragen unter Artikel auf großen Nachrichtenseiten. So entstehen interessante Meinungsbilder und die Nutzer bleiben länger auf den Seiten. Trotz zwischenzeitlicher Wachstumsschmerzen sind auch die Krautreporter ein tolles Projekt.

Wie ist bei Krautreporter gerade eigentlich die Lage?

Derzeit hat Krautreporter rund 6000 Abonnenten. Als Redaktionsmitglied stelle ich den Newsletter „Morgenpost“ zusammen. Dafür bekomme ich ein ausgesprochen marktfähiges Honorar. Das ist alles, was ich weiß.

Welche Trends herrschen in der US-amerikanischen Start-up-Szene vor?

In den USA gibt es definitiv einen Trend zu Journalismus-nahen Technik-Start-ups, die Tools zur quantitativen Erfolgsmessung entwickeln. Diese Start-ups kommen zum Beispiel aus dem Matter-Inkubator in San Francisco. Einen ähnlichen Schwerpunkt hat der Next Media Accelerator in Hamburg. Daneben gibt es viele monothematische Nachrichtenangebote von der Marke News Deeply wie Refugees Deeply oder Water Deeply. Das gleiche gilt für die Angebote von Vox Media wie The Verge für Technik, Curbed für Immobilien oder Vox für Politik. Dieser Trend zu ressortspezifischen Einzelmarken könnte sich auch in Deutschland stärker verbreiten. Außerdem gibt es morgendliche Audio-Briefings wie den „The Daily“-Podcast von der New York Times oder „up first vom National Public Radio. Podcasts sind in den USA auch deshalb so beliebt, weil die Leute sehr viel Auto fahren.

Was würdest du dir von journalistischen Start-ups öfter wünschen?

Wer etwas gegründet hat, ist ja schon auf der guten Seite. Generell wünsche ich mir, dass sich mehr Leute trauen, etwas auszuprobieren. Dabei muss man natürlich nicht den Anspruch haben, ein neues Facebook zu starten. Sonst würde es auch niemanden mehr geben, der ein italienisches Restaurant aufmacht. Ein toller Anfang kann schon ein Newsletter für ein kleines Publikum sein.

Du hast kürzlich selbst ein neues Projekt gestartet. Worum geht es da?

Die Nutzer von Signal & Rauschen sollen Wahlumfragen besser verstehen können. Wir erstellen eigene Prognosen, indem wir einen Umfrageschnitt berechnen und unter anderem historische Daten heranziehen. Außerdem erklären wir, wie Meinungsforschungsinstitute arbeiten. Unsere Nutzer sollen ein Gefühl dafür bekommen, was eine gute und was eine schlechte Umfrage ist.

Die Fragen stellte Leonard Kehnscherper

8. Juni 2017