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Junge Chefredakteurinnen wollen Mut machen
Zwei Chefredakteurinnen zeigen, welche Rolle es spielt, wenn auf dem Chefsessel der Lokalredaktion eine Frau sitzt und welche Herausforderungen sie dabei meistern müssen.
von Nele Wehmöller
Nur fünf von 100 Chefredakteuren deutscher Lokalzeitungen sind weiblich. Das hat eine Studie des Vereins ProQuote Medien gezeigt, für die 2016 100 Regionalzeitungen in Deutschland untersucht wurden, die ihren Mantelteil noch selbst produzieren. Zwei dieser fünf Frauen sind Sabine Schicketanz und Ulrike Trampus.
Schicketanz übernahm schon früh Verantwortung. Mit 26 Jahren Lokalchefin, mit 37 Chefredakteurin der Potsdamer Neueste Nachrichten (PNN): Als junge, blonde Frau konnten manche Kollegen mit ihr als Chefin gar nicht umgehen. „Das musste sich erst einspielen“, sagt die heute 41-Jährige. Ihr sei es dann darauf angekommen, sich Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu erarbeiten, als Vorbild zu agieren und gleichzeitig authentisch zu bleiben.
Frauen führen anders
Dass die Kommunikation im Team mit einer Frau an der Spitze eine andere ist, weiß auch Trampus, Chefredakteurin der Ludwigsburger Kreiszeitung. „Die Herangehensweise an Themen, das Arbeiten im Team und die Abgabe von Verantwortung sind unter der Führung einer Frau anders.“ Sie gibt gerne viel Verantwortung an ihr Team ab, dem sie ohne viel Kontrolle vertraut.
Seit mittlerweile 15 Jahren ist sie Chefredakteurin bei verschiedenen Lokalzeitungen. Ihres Wissens nach gab es seitdem nie mehr als sieben Chefredakteurinnen bei den deutschen Lokalzeitungen. Früher seien Kollegen aus anderen Redaktionshäusern zudem oft überrascht gewesen, wenn sie erfahren hätten, dass sie Chefredakteurin ist. Das sei heute nicht mehr so, da habe sich schon etwas verändert.
Aber noch nicht genug, findet Schicketanz: „Ich glaube, dass sich vermutlich in vielen Redaktionen die Vertrauenskultur ändern muss, und zwar in beide Richtungen. Es sollten die Verantwortlichen Frauen genauso viel vertrauen wie Männern und es sollten Frauen mehr auf sich vertrauen.“ Es gebe einen Mentalitätswechsel, der in vollem Gange sei und zu dem auch die #MeToo-Debatte beigetragen habe.
Es sei gut, dass Frauen nun wüssten, dass sie sich nicht alles gefallen lassen müssten. Gleichzeitig ist es Schicketanz wichtig, dass Frauen in der Redaktion nicht vorsichtiger behandelt werden. Unabhängig vom Geschlecht sollten alle Kollegen konstruktiv, kritisch und menschlich fair miteinander umgehen.
„Geschlecht spielt keine Rolle“
Ähnlich denkt auch Benjamin Piel, der im Juni neuer Chefredakteur des Mindener Tageblatts (MT) geworden ist und somit nun zu den 95 lokalen Chefredakteuren in Deutschland gehört. Er unterscheide gar nicht zwischen Frauen und Männern. Für ihn spiele das im Redaktionsalltag keine Rolle. Im Übrigen seien drei seiner fünf Ressortleiter weiblich. Von einer Quote, die der Verein ProQuote Medien seit 2012 fordert, halte er daher wenig. Schließlich müssten auch die Qualifikationen stimmen.
Dass gerade in bereits modern aufgestellten Verlagen wie der PNN oder dem MT auch mehr Frauen zum Zuge kommen, beobachtet auch Johanna Lemke. Sie ist Kulturredakteurin der Sächsischen Zeitung und hat als ehemaliges Vorstandsmitglied von ProQuote die Studie zu den weiblichen Führungskräften in den Lokalmedien mit durchgeführt. Ein Großteil der Verlage sei oft noch ein Familienunternehmen mit sehr konservativen Strukturen. Das Bewusstsein für eine nötige Veränderung sei hier noch gar nicht vorhanden.
In der Mediendebatte werde der Blick immer auf Spiegel, Süddeutsche und Co. gelegt und die Leistung der Regionalzeitungen gar nicht diskutiert, kritisiert Lemke. Es könne nicht sein, dass nicht auffällt, wie wenige Frauen dort in Führungspositionen oder Stellvertreterpositionen arbeiten würden. Laut ProQuote sollen daher die Zahlen der Studie Ende 2018 überprüft und auf den aktuellsten Stand gebracht werden.
Forschungsbedarf bei Lokaljournalisten
Dass in diesem Bereich noch Forschungsbedarf besteht, bestätigt auch Wiebke Möhring, Professorin für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund. „Auf gesicherter Datenlage wissen wir relativ wenig über die Alters-, Geschlechts- und Ausbildungsstrukturen von Lokaljournalisten“, sagt sie. Die letzten wissenschaftlichen Untersuchungen lägen Jahre zurück. Oft gebe es daher nur vage Einschätzungen oder Beispiele, die auch die aktuelle Rolle der Frauen dort thematisieren würden.
Vor allem bei den überregionalen Medien hat sich die Situation durch die Forderung einer Quote laut Sabine Stamer, Vorstandsmitglied von ProQuote, aber schon gebessert. Bei den Lokalmedien bedürfe es hingegen weiter Geduld und Druck, damit Frauen nicht mehr nur als „Eyecandy“ gesehen würden. „Die Arbeitsverhältnisse müssen so gestaltet werden, dass auch Familien existieren können.“ Dabei sei es wichtig, dass auch Männer und nicht nur Frauen das Recht und die Möglichkeit haben, sich um ihre Kinder zu kümmern. Es müsse neu darüber nachgedacht werden, wie es gelingen könne, dass Frauen Kinder haben und gleichzeitig engagiert Karriere machen können.
Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, sei definitiv nicht einfach, gibt Schicketanz zu. Ob sie Chefredakteurin werden wolle, wurde Schicketanz 2014 gefragt, als sie gerade im Mutterschutz mit ihrer zweiten Tochter war. Keine leichte Entscheidung, wenn der Vater ebenfalls als Journalist berufstätig ist. „Je mehr Zeit man in der Redaktion verbringt, desto höher ist der Preis. Aber man kann das alles organisieren“, betont die Potsdamer Chefredakteurin. Sie rät jungen Journalistinnen daher, mutig zu sein und sich nicht von Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einschüchtern zu lassen, sondern mit gutem Beispiel voranzugehen. Wenn es niemand vorlebe, ändere sich schließlich nichts.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Bei Ulrike Trampus war das anders. Kinder zu bekommen, hat sich bei ihr nicht ergeben. Mit Abend- und Wochenendterminen sei ihre Position eben kein Nine-to-Five-Job. Dass sich viele Frauen aber gar nicht erst trauen, Verantwortung zu übernehmen, beobachtet auch sie. Bei einer kürzlich ausgeschriebenen Stelle einer Ressortleitung hätte sich von 30 Interessenten nur eine Frau beworben.
Damit Journalistinnen mehr auf die eigenen Fähigkeiten vertrauen, setzt sich neben ProQuote beispielsweise auch der Journalistinnenbund für Frauen im Journalismus ein. Er unterstützt und ermutigt junge Journalistinnen, sich zu einer Führungsposition hochzuarbeiten. Die Vorsitzende Rebecca Beerheide betont, dass vor allem das Netzwerken mit anderen Kolleginnen innerhalb und außerhalb der eigenen Redaktion dafür wichtig ist. Als Frauen müsse man in der Branche, in der es oft auch um Konkurrenzverhalten gehe, zusammenhalten. Ihr Verein bietet neben Netzwerkmöglichkeiten in Regionalgruppen spezielle Mentoring-Programme an. Dabei werden junge Journalistinnen von erfahreneren Kolleginnen begleitet.
Als gutes Beispiel vorangehen und zeigen, dass auch Frauen im Journalismus Verantwortung übernehmen und eine Redaktion leiten können, darum geht es Schicketanz und Trampus. Auch Piel ist das im Umgang mit Frauen in einer Lokalredaktion wichtig. „Wir müssen in ganz vielen Punkten Mutmacher sein“, so Piel. Ob nun als Mann oder Frau – das sollte gar keine Frage mehr sein.
27. September 2018