Afrika | Kommentar
Die Völkerkunde der Massenmedien
Wie der Tagesspiegel sich in der Raubkunst-Debatte in den Benin-Bronzen verheddert.
von Lutz Mükke, Mitherausgeber von Message
Kennen Sie den Unterschied zwischen der Slowakei und Slowenien? Gibt es überhaupt einen? Flandern gehört doch zu Frankreich, oder? Und wie ist es mit Äquatorialguinea, Guinea und Guinea-Bissau. Sind das drei eigenständige Länder oder nur eins oder zwei? Und wo liegen die? Oder wie ist das mit Benin? Gibt es da ein, zwei, drei Benins? Und zu welchem Benin gehören eigentlich die berühmten Benin-Bronzen? Und warum sollte man das alles überhaupt wissen? – Meine Meinung: Es schadet nicht, das alles sauber einzuordnen, wenn man als Journalist oder als Journalistin mit entsprechenden Themen an die Öffentlichkeit tritt. Das gilt auch, wenn man für den Tagesspiegel arbeitet, eine Zeitung mit überregionalem Anspruch, die mit dem Slogen wirbt “Rerum cognoscere causas” – “Die Ursachen der Dinge erkennen”.
Dort beackerte kürzlich Nicola Kuhn mit ihrem umfangreichen Text “Afrika, Europa und die Kunst”* das Thema koloniale Kontexte von Museen, Restitutionsfragen und das Verhältnis Europas zu Afrika. Ein sehr spannendes und wichtiges kultur- und gesellschaftspolitisches Sujet. Und Nicola Kuhn analysiert das auch richtig gut, solange es um die Dinge geht, die sich direkt vor ihrer Haustür abspielen: Politik, Museumsleute und Aktivisten in Berlin und Hamburg – alles fein recherchiert und aufgeschrieben.
Ganz anders wird es, wenn es um die Fakten geht, die mit denjenigen verbunden sind, die ihre geraubten Kunstschätze zurückfordern. Da wird dem Leser ein skurriles Kuddelmuddel an Unklarheiten, Verwechslungen und Unwissenheit verabreicht.
Mit leichter Feder und im Präteritum befördert Frau Kuhn das Königreich Benin ins “einstige” und somit in die geschichtliche Versenkung und macht auch nicht Halt davor, über die “komplizierte Gemengelage vor Ort” in Afrika zu schreiben. Die Tagesspiegel-Journalistin fragt, an wem man denn nun eigentlich die geraubten Benin-Bronzen zurückgeben sollte und bringt vier Akteure ins Spiel: an “Nigerias Regierung”, an den nigerianischen “Bundesstaat Edo”, an die “Republik Benin” oder an die “Nachfahren, des damals beraubten Königs, die heute in Paris leben?”
Als Fachjournalist will man mit dem Lesen an dieser Stelle sofort aufhören und den Tagesspiegel weglegen. Aber da tausende Leser diese Passagen höchstwahrscheinlich in gutem Glauben ernst nehmen, braucht es eine kurze Entwirrung, um der offensichtlichen Not hier keinen Schwung zu lassen:
- Der westafrikanische Staat Benin hat mit den geraubten Benin-Bronzen überhaupt nichts zu tun.
- Es gibt ein Königreich Benin, das im Süden des heutigen Staates Nigeria intakt und sehr agil existiert. Es ist eines der einflussreichsten traditionellen Herrscherhäuser Westafrikas. Ewuare II regiert es. Er ist der 39. König des Königreiches, das etwa seit dem 12. Jahrhundert besteht und sieht sich als rechtmäßigen Besitzer der 1897 geplünderten Benin-Bronzen.
- Weder die Nachfahren des 1897 von den Briten beraubten und entmachteten Königs noch die Familie des jetzigen Königs lebten oder leben in Paris, sondern überwiegend in Benin City, einer Millionen-Metropole im Süden Nigerias.
Vielleicht könnte man es Kollegin Kuhn einfach nachsehen, dass sie hier einiges durcheinanderwirbelt. Von ihrer Berliner Warte aus mag es zugegebner Maßen etwas unübersichtlich wirken: die Staaten Nigeria und Benin, die Stadt Benin, das Königreich Benin, dazu noch verschiedene Rückforderungsbegehren aus den Staaten wie auch aus dem Königreich… Ohne intensivere Beschäftigung und ohne selbst vor Ort gewesen zu sein, kann man sich in all dem leicht verheddern. Ähnlich könnte es etwa einem nigerianischen Kollegen gehen, der am Schreibtisch im fernen Lagos einen Beitrag über Kunst aus Sachsen schreiben soll, nie da war und nun Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Angelsachsen und Sachsenhausen auseinanderklamüsern muss.
Mehr als scheinheilig
Allerdings schreibt Kollegin Kuhn noch über inhaltlich weit brisantere Aspekte und das offensichtlich ebenfalls mit leichter Feder. Die Tagesspiegel-Leser lesen: Das “Berliner Ethnologische Museum besitzt zahlreiche Benin-Objekte, mit 550 Stück hat es eine der größten Sammlungen. Trotzdem gibt es bislang keine offiziellen Restitutionsanfragen.” – So, wie es da steht, wirkt es sattelfest und faktisch wie die Zugspitze. Was es allerdings nicht ist. Denn wer recherchiert, dürfte ebenso gut wie es die Museums-Intendanten und Afrika-Kuratoren in Berlin und anderswo wissen, dass das Königreich Benin die geraubten Benin-Bronzen (etwa 3.000 bis 4.000 Objekte im Wert von geschätzen 1 Milliarde Dollar) bereits während der Kolonialzeit begann zurückzufordern und dass es diese Rückforderungen seit dem immer und immer wieder und bei zahlreichen Gelegenheiten wiederholt hat. Selbst der ehrwürdige Internationale Museumsverband ICOM setzt sich für die Restitution der Benin-Bronzen ein. Schon vor Jahrzehnten forderte er alle seine Mitglieder auf, sie zurückzugeben. Unter anderem deshalb ist es mehr als scheinheilig, wenn sich Museumsleute heute immer noch darauf berufen, keine “offizielle Restitutionsforderung” aus Nigeria erhalten zu haben.
Was wird nun mit dem Tagesspiegel-Slogan “Rerum cognoscere causas” – “Die Ursachen der Dinge erkennen”? Kollegin Kuhn steht nur synonym für unser massenmediales Afrika-Desaster, das mit sagenhaften Oberflächlichkeiten und hysterischen Meta-Stories einhergeht. Der Abbau von Fachredaktionen, Fachredakteuren und das Schrumpfen des Korrespondentennetzes deutscher Medien in Afrika leisten dem Vorschub. Und auch die beschleunigten Produktionszyklen der Onlinemedien mit ihrem Häppchen-Hunger stehen diametral zum nötigen zeitlichen Rechercheaufwand in Afrika. In vielen Redaktionen und Medienhäusern weiß es mittlerweile einfach keiner mehr besser. Und es ist zu befürchten, dass schon fast niemand mehr merkt, dass in dem umfangreichen Artikel von Kollegin Kuhn die beraubten Nigerianer selbst überhaupt nicht zu Wort kommen. Stattdessen zitiert sie einen Politikwissenschaftler aus dem Nachbarland Kamerun, der auf einem Kolloquium des Auswärtigen Amtes im Hamburger Völkerkundemuseum auftritt, um dort in der Rolle des Afrikaners eine Rede zu halten. Dem Applaus der Veranstalter konnte sich der Professor ganz sicher sein, warb er doch „für eine Kultur des Teilens“ und forderte „das Ende des Eigentumsdenkens.” Dabei vermengte er auch gleich noch die Themen “Restitution von Kunstobjekten und Rückschickung von Geflüchteten” und fragte mit wolkiger Rethorik: „Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der jeder und alles wieder nach Hause zurück muss?“
Bleibt das Resümee: Völkerkundemuseen und Massenmedien haben eines gemeinsam: Sie sollten öfter, intensiver und ehrlicher mit den Herkunftsgesellschaften ihrer Objekte und Berichterstattungsgegenstände kommunizieren und sie auf Augenhöhe zu Wort kommen lassen.
* Der kritisierte Beitrag erschien am 26. Juli 2018 in der Printausgabe des Tagesspiegel und ist online heute in geänderter Version verfügbar.
10. September 2018