Dokumentation | Exil
Das Exil als Chance – für die gastgebenden Länder und Medien
Das erste Exile Media Forum der Körber Stiftung ist der Versuch, die journalistische Parallelgesellschaft Hunderter ausländischer Medienmacher im deutschen Exil sichtbar zu machen. Die Premiere gelingt, zeigt aber auch, dass es nicht den einen Exiljournalismus gibt.
von Malte Werner
Wo beginnt Exil? Für den ehemaligen Chefredakteur der türkischen Zeitung Cumhurriyet und aktuell wohl bekanntesten ausländischen Journalisten im deutschen Exil, Can Dündar, stellt sich die Frage nicht erst im Angesicht von Flucht oder Vertreibung. „Your exile begins the moment you challenge the mainstream“, sagte der heutige Chefredakteur von ÖZGÜRÜZ bei der feierlichen Eröffnung des Exile Media Forum in der Hamburger Elbphilharmonie am 29. Oktober, dem Vorabend der eigentlichen Tagung.
Was hierzulande durch die im Grundgesetz verankerte Presse- und Meinungsfreiheit undenkbar scheint, hat er selbst, haben viele seiner türkischen Kollegen und andere Journalisten in autokratisch geführten Staaten überall auf der Welt zu spüren bekommen: die Kriminalisierung ihrer Berufsausübung, die Attackierung ihrer kritischen Berichterstattung. Hamburgs Mediensenator Carsten Brosda nennt es das „Verächtlichmachen“ von Journalisten. Von da bis zu ihrer Verfolgung und Vertreibung sei es nicht mehr weit.
Es ist daher wenig verwunderlich, dass mit der Flüchtlingswelle 2015 auch viele kritische Journalisten und nicht-regimetreue Medienschaffende nach Deutschland kamen, zum Beispiel aus Angst vor Syriens Diktator Assad. Schätzungen zufolge arbeiten mehrere Hundert Journalisten (darunter auch sogenannte Bürgerjournalisten) im deutschen Exil. In den wenigsten Fällen heißt das, dass sie für ein deutsches Medium arbeiten.
Frauen, Ostdeutsche, Nichtakademiker, Migranten
Dabei dämmert es Medienhäusern hierzulande schon seit geraumer Zeit, dass sie ein Problem mit Diversifizierung haben: Frauen, Ostdeutsche, Nichtakademiker – alles unterrepräsentierte Zielgruppen. Für Migranten gilt das genauso: Wenn Deutschland ein Einwanderungsland ist und wenn Redaktionen ein Abbild der Gesellschaft sein sollen, warum gibt es dann kaum Migranten in deutschen Redaktionen?
„Ich erlebe deutsche Redaktionen als nicht sehr offen“, sagte Julia Stein am 30. Oktober, dem Tag des Exile Media Forums. Die Leiterin der Redaktion Politik und Recherche im NDR-Landesfunkhaus Schleswig-Holstein und Vorsitzende von Netzwerk Recherche fordert von ihrem Berufsstand mehr Bereitschaft ein, sich auf Neues einzustellen und alte Mauern einzureißen: „Sprache als Kriterium darf nicht das A und O des Zugangs zur journalistischen Ausbildung sein.“ Anderenfalls könne der Journalismus seine integrative Funktion nicht mehr erfüllen.
Das soll nicht heißen, dass die Tagesschau demnächst in gebrochenem Deutsch gesendet wird. Beim NDR heißt es aber zum Beispiel, dass ein Platz im aktuellen Volontärsjahrgang an einen Bewerber vergeben worden ist, der kaum die deutsche Sprache beherrscht, dafür aber die Filmsprache. Recht so. Denn für einen angehenden Fernsehjournalisten ist das kein unwesentliches Einstellungskriterium.
Hürde Sprache soll fallen
Beim Nachwuchs sieht der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer die größten Chancen zur Erhöhung des Anteils von Menschen mit Migrationsgeschichte in den Redaktionen. Geänderte Auswahlverfahren an den Journalistenschulen könnten hilfreich sein. Denn anders als bei der Erhöhung der Frauenquote in redaktionellen Führungspositionen, die intern durch Beförderungen geregelt werden kann, müssten mit Blick auf ethnisch-kulturelle Vielfalt erst einmal neue Redakteure mit Migrationshintergrund eingestellt werden. Doch Sparmaßnahmen verhinderten den kulturellen Wandel in den Redaktionen, sagte Brinkbäumer. Sheila Mysorekar von den Neuen Deutschen Medienmachern warf daraufhin ein: „Wir sind schon länger hier. Man hätte uns schon früher einstellen können.“ Verpasste Chancen, die dazu geführt haben, dass sich die Exilgesellschaft derzeit nennenswert weder in den Themen noch in den Autorenzeilen deutscher Medien wiederfindet – und mit ein Grund, warum deutsche Medien einen nicht unerheblichen Teil ihres potenziellen Publikums nicht anzusprechen vermögen.
Statt im Mainstream sprechen einige Medien Menschen mit Migrationshintergrund in der Nische an. Das mehrsprachige Angebot WDRforyou und das Berliner Lokalmedium Amal, Berlin! auf Arabisch und Farsi-Dari richten sich an neuankommende Flüchtlinge und die Diaspora in Deutschland – mit Erklärstücken über deutschen Eigenheiten und für die Zielgruppe relevanten Nachrichten zu aktuellen Themen.
Einem Teil der zwischen 15 und 20 aktiven Exilmedien in Deutschland geht es aber gar nicht um die integrative Wirkung ihrer Berichterstattung. Kaum zur Sprache kamen auf dem Exile Media Forum jene Exilmedien, die Nachrichten für die alte Heimat produzieren. So nutzt der Sender Meydan TV die Pressefreiheit in Deutschland, um der Bevölkerung im autokratisch regierten Aserbaidschan von hier aus über das Internet unabhängig recherchierte Informationen zur Verfügung zu stellen. Ihre Schwierigkeiten, sich aufgrund mangelnder finanzieller Unterstützung im Exil zu behaupten, hätten auf der Tagung mehr Raum verdient.
Der lange Arm Erdogans
Eine Doppelrolle spielen Projekte wie taz.gazete oder ÖZGÜRÜZ. Beides sind deutsch-türkische Angebote, deren Redaktionen von Deutschland aus mit Kollegen in der Türkei zusammenarbeiten. Sie liefern als freie Stimme Nachrichten aus der Türkei für die Türkei – mit einem kleinen Umweg über Deutschland. Angesprochen werden aber auch Türken in Deutschland und das deutsche Publikum. Weil die kritische Berichterstattung beider Projekte ein hohes Risiko für die Journalisten in der Türkei bedeutet, wünscht sich ÖZGÜRÜZ-Chefredakteur Dündar mehr Solidarität deutscher Redaktionen mit den Kollegen in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit. Er hofft auf mehr Kooperationen nach dem Vorbild von forbidden stories, bei dem internationale Medien die Recherchen von Kollegen fortführen, die auf Grund ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen, fliehen mussten oder getötet wurden.
Auch wenn der unter Polizeischutz stehende Dündar im deutschen Exil verhältnismäßig sicher ist: Das Exil bedeutet für ihn keine Freiheit. „I am not free”, sagte Dündar mit Verweis auf den bis in die Bundesrepublik reichenden Einfluss des türkischen Staatspräsidenten. “Everything I write or say can cause trouble for my colleagues or my family in Turkey.”
1. November 2018