Dokumentation | GIJC19
„Eine globale Krise erfordert eine globale Berichterstattung“
Am Umgang der Medien mit dem Klimawandel lassen sich viele Herausforderungen und Entwicklungen im investigativen Journalismus ablesen.
von Julia Behre
Datafizierung, Desinformation, unzureichende Finanzierungsmodelle: Im digitalen Zeitalter muss sich der investigative Journalismus einer Vielzahl neuer Herausforderungen stellen. Diskutiert wurden diese auf der 11. Global Investigative Journalism Conference (GIJC) vom 25. bis zum 29. September in Hamburg, auf der 1.700 investigative Journalisten aus 130 Ländern zusammenkamen. Von den mehr als 250 Panels, Workshops und Meetings hatte dabei ein Viertel aller Veranstaltungen einen inhaltlichen Bezug zum Datenjournalismus, erläuterte das Global Investigative Journalism Networks, das die Konferenz gemeinsam mit Netzwerk Recherche und der Interlink Academy for International Dialog and Journalism veranstaltet hat. Einen inhaltlichen Schwerpunkt bildeten dabei auch Umweltthemen. So ist der Klimawandel nicht nur eines der wichtigsten und drängendsten Themen des 21. Jahrhunderts, er vereint auch viele der auf der Konferenz diskutierten Herausforderungen und Entwicklungen im investigativen Journalismus.
Das betrifft zunächst die journalistische Beziehung zum Publikum. Laut wissenschaftlichen Untersuchungen des Media and Climate Change Observatory (MeCCO) erreichte die mediale Aufmerksamkeit zum Klimawandel im September 2019 das höchste Level seit fast einem Jahrzehnt. In Deutschland nahm die Berichterstattung im Vergleich zum Vormonat August sogar um mehr als ein Viertel zu. „Doch die Herausforderung dabei ist, dass Menschen eines solchen Journalismus überdrüssig werden können“, sagte der norwegische Journalist Amund Trellevik auf der GIJC. Bei der norwegischen Zeitung High North News beschäftigt er sich mit den Auswirkungen des Klimawandels in der Antarktis. Um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen und insbesondere Klimaleugnern die Stirn zu bieten, sind laut Trellevik neue Quellen und Blickwinkel im investigativen Klima-Journalismus gefragt.
Blinde Flecken in der Klima-Kommunikation beleuchten
Zunächst müssten sich Journalisten auf die wissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel stützen, betonte in Hamburg James Fahn, Geschäftsführer des Earth Journalism Network, einer globalen Initiative zur Förderung des Umweltjournalismus in Entwicklungsländern. Klima-Journalisten sind Fahn zufolge daher immer auch Wissenschaftsjournalisten, weshalb wissenschaftliche Kenntnisse schon in der journalistischen Ausbildung vermittelt werden sollten. Jedoch sei der Klimawandel nicht nur ein Umwelt- und Wissenschaftsthema, sondern immer auch ein
gesundheitliches, soziales, politisches, wirtschaftliches, rechtliches und internationales, sagt Fahn, der seit mehr als 30 Jahren zum Klimawandel recherchiert. Relevante Themenfelder mit Bezug zum Klimawandel seien etwa die fossile Energiewirtschaft und andere umweltverschmutzende Industrien, Forst- und Landwirtschaft, Ernährung, Verkehrswesen, Zement- und Schwerindustrie und Immobilienwirtschaft. Darüber hinaus müssten investigative Journalisten die unerwarteten und weniger behandelten Folgen des Klimawandels noch stärker beleuchten, wie beispielsweise die Auswirkungen auf das Gesundheitswesen, den Anstieg des Grundwasserspiegels oder zunehmende Migration. Auch Klimaaktivistengruppen und Wissenschaftler müssen laut Fahn stärker in den Fokus investigativer Recherchen gerückt werden. In Anlehnung an den Konstruktiven Journalismus sollten investigative Journalisten dabei stets auch Lösungen für den Klimawandel bereitstellen. Das betreffe Maßnahmen zur Verringerung des CO2-Ausstoßes, aber auch menschliche Anpassungen an die Folgen des Klimawandels: Wie kann auch zukünftig sauberes Trinkwasser zur Verfügung gestellt werden? Wie können Privateigentümer und öffentliche Infrastrukturen vor Naturgewalten wie Feuer und Wasser geschützt werden? Und welche Methoden des Geoengineerings erweisen sich als wirksam?
Den Menschen in den Fokus rücken
Fast jedes Thema kann aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden. Martha Mendoza, investigative Journalistin bei der Associated Press (AP) und zweifache Gewinnerin des Pulitzer-Preises, veranschaulichte auf der GIJC in Hamburg, wie investigative Journalisten über Waldbrände berichten können, „ohne immer und immer wieder die gleiche Geschichte zu erzählen“. Im Vorfeld könnte z.B. datenjournalistisch untersucht werden, welche Gemeinden am stärksten von zukünftigen Waldbränden bedroht seien, da bin den USA immer mehr Wohnhäuser in Wäldern oder angrenzenden Gebieten gebaut werden würden. Wie wirkt sich die damit verbundene Rauchbelastung auf die öffentliche Gesundheit aus? Und wie können Häuser vor zukünftigen Bränden geschützt werden, etwa durch feuersichere Dächer? Während des Ereignisses könnte der Prozess der Evakuierung tiefer beleuchtet werden, malte Mendoza aus: Wer ist für die Evakuierung zuständig? Und unter welchen Bedingungen arbeiten diese Menschen? Bei der Nachberichterstattung wird es der AP-Journalistin zufolge erst richtig spannend, denn dann wird das Ausmaß der wirtschaftlichen und sozialen Kosten eines Brandes deutlich. Hier könnten investigative Journalisten beispielsweise untersuchen, wie Opfer entschädigt werden und wie die Aufräumarbeiten ablaufen. Nicht zuletzt müsse auch den Ursachen des Brandes auf den Grund gegangen werden.
Um die Auswirkungen des Klimawandels für die Leser greifbarer zu machen, ist ein noch stärkerer Fokus auf den Menschen notwendig. „Wir hören oft in der internationalen Berichterstattung, dass wir die Wälder und die natürlichen Ressourcen schützen sollen, aber wir sprechen nicht über die Lebensgemeinschaften, die diese Ressourcen auch beschützen wollen“, kritisiert Madeleine Ngeunga. Als Datenjournalistin recherchiert die Kamerunerin zu Umweltthemen und Menschrechten für die regionale Nachrichtenwebseite InfoCongo. Investigativer Journalismus in Afrika solle auf lokale Gemeinschaften achten, die in den vom Klimawandel bedrohten Gebieten leben und beispielsweise mit zunehmend begrenzten natürlichen Ressourcen zu kämpfen haben. Anderen Journalisten rät Ngeunga, direkt mit dem Publikum zu interagieren und einen direkten Zusammenhang herzustellen, wie der Klimawandel dessen Leben verändert.
Daten und multimediale Elemente einbinden
Datenjournalistische Inhalte dominierten die Hamburger GIJC – so auch im Hinblick auf die Klimakommunikation. Aufgrund der Komplexität des Themas müssten investigative Journalisten auf ein großes Ausmaß an Daten zurückgreifen, berichtete der investigative Fotojournalist Eduardo Franco Berton.
In seiner Umweltberichterstattung über Waldbrände in Lateinamerika verwendet er beispielsweise interaktive Karten. Um die Auswirkungen der Waldzerstörung durch den Klimawandel verdeutlichen zu können, greift er über Online-Tools auf Echtzeitdaten zurück. Über Satellitenbilder können Leser die Waldbrände ebenfalls in Echtzeit verfolgen. Und für ihre Berichterstattung zu Waldbränden in den USA analysiert die AP-Journalistin Mendoza Tracking-Daten von Löschflugzeugen, um zu beobachten, wo die Flammen zuerst gelöscht wurden – etwa beim Haus des Bürgermeisters oder des Oberbrandmeisters? All diese Tools sind laut Berton aber nicht nur für investigative Journalisten hilfreich, sondern ermöglichen auch eine aktuelle Berichterstattung über Umweltthemen wie Hitzewellen und Brände im alltäglichen Nachrichtengeschäft. Um die Aufmerksamkeit des Lesers zu gewinnen, komme es jedoch auf die Visualität des journalistischen Produkts an: „Daten sind sehr wichtig. Aber wenn man sie mit tatsächlicher Fotografie kombiniert, ergibt das eine wirklich mächtige Geschichte“, sagt Berton.
Kooperationen mit anderen Journalisten aufbauen
Social Networking und kollaborativer Journalismus bildeten einen weiteren wichtigen Konferenz-Schwerpunkt, der ebenfalls für die Klimakommunikation von hoher Bedeutung ist. Denn investigative Recherchen zu umweltbezogenen Themen müssten sich sehr häufig gegenüber Korruption und Machtkämpfen behaupten, was oftmals mit einem erschwerten Informationszugang verbunden sei, berichtet Laurent Richard, der seit mehr als 20 Jahren als investigativer Dokumentarfilmer arbeitet. Besonders in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit könnten Kollaborationen aber auch Schutz bieten. Laut dem Committee to Protect Journalists wurden seit 2009 mindestens 13 Journalisten getötet, die an umweltbezogenen Geschichten arbeiteten. „Wenn ein Journalist für eine Geschichte getötet wird, dann liegt das daran, dass sie sehr wichtig für die öffentliche Meinung ist“, sagt Richard.
Aus diesem Grund hat er die Non-Profit-Organisation Forbidden Stories gegründet, um die Recherchen von bedrohten Journalisten aus aller Welt weiterzuführen. In ihrem Projekt Green Blood verfolgte das kollaborative Recherchenetzwerk gemeinsam mit 15 Medienpartnern aus aller Welt die Ermittlungen mehrerer Reporter, die bei der Aufdeckung von Umweltschäden und anderen Missbräuchen durch Bergbauunternehmen in Guatemala, Tansania und Indien Bedrohungen ausgesetzt waren. Doch auch in demokratisch geprägten Ländern ist die Zusammenarbeit unter Journalisten laut dem norwegischen Reporter Trellevik mittlerweile für die eigene Sicherheit unverzichtbar, denkt man etwa an die zunehmenden Angriffe auf Medien von Seiten von Politikern und des Publikums. „Es besteht keinen Zweifel: Ohne Kooperation im Journalismus kannst du nicht überleben“, sagt Trellevik. „Eine globale Krise erfordert eine globale Berichterstattung.“
7. November 2019