#nr21 | Innovation
Stirbt die Redaktion?
Das mehr als 130 Jahre alte Konzept redaktionellen Arbeitens wird zum Auslaufmodell. Was kommt danach?
von Anna Weyer
Anfang des Jahres entschied sich der Verlag der britischen Tageszeitung Daily Mirror, der Redaktion, wie wir sie kennen, ein Ende zu setzen. Stattdessen soll ein Großteil der Journalist:innen des Mirror künftig permanent von zuhause aus arbeiten. Auch in vielen anderen Redaktionen wird in Zukunft zumindest ein Teil der Belegschaft regelmäßig im Homeoffice arbeiten. Das ergab eine Befragung deutscher, österreichischer und Schweizer Medienmacher:innen zu den langfristigen Folgen der Pandemie, die den Anstoß für das dezentrale Arbeiten gab.
In ihrer langen Geschichte war das Konzept der Redaktion stetem Wandel unterworfen. Der letzte große Umbruch war die Einführung des Newsroom- Prinzips, das nicht nur, aber auch das sprichwörtliche Einreißen von Mauern innerhalb der Redaktion vorsah.
Nun deuten erste Anzeichen darauf hin, dass die festen, traditionellen Redaktionsstrukturen nicht mehr zeitgemäß sind. „Was wir jetzt also brauchen, sind die Orte, an denen die Arbeitsorganisation im Journalismus neugestaltet und erprobt wird“, erklärt der Medienwissenschaftler Christopher Buschow von der Bauhaus-Universität Weimar.
Die Trends im Journalismus der Zukunft
Doch obgleich das klassische Konzept der Redaktion in Frage gestellt wird, „muss Journalismus immer organisiert stattfinden“, ist Journalistik-Professor Klaus-Dieter Altmeppen überzeugt.
So verlockend dezentrales Arbeiten für einige Redaktionen zu sein scheint, wenn man den Newsdesk durch eine Zoom-Schalte ersetzen und dabei sogar noch die Miete für die Redaktionsräume sparen kann: Fakt ist, dass 96 Prozent der Journalist:innen laut der eingangs erwähnten, länderübergreifenden Studie des Journalisten und Medienmanagers Marcus Hebein in der Pandemie den persönlichen Austausch mit Kolleg:innen vermissen. Ernsthafte Qualitätseinbußen in der Berichterstattung durch flächendeckendes Home-Office konnte die Studie aber nicht feststellen.
Wie Journalismus künftig aussehen könnte, hat Buschow in seiner Veröffentlichung „Change Management and New Organizational Forms of Content Creation“ (2021) herausgearbeitet und dabei drei Trends ausgemacht:
- Projektifizierung: Das projektbasierte Arbeiten ist nicht neu. Dank digitaler Kommunikationswege ermöglicht es aber grenzüberschreitende Kooperationen, etwa bei umfangreichen Recherchen wie den Panama Papers.
- Peer Production: Initiativen wie WikiTribune, das heutige WT.Social, zeigen, dass Peer Production eine mögliche Alternative sein könnte. Sowohl Altmeppen als auch Buschow gehen aber davon aus, dass sich dieses Modell eher nicht durchsetzen wird. Journalist:innen würden hier nur die Rolle der Faktenchecker:innen einnehmen.
- Plattformisierung: Als besonders zukunftsfähiger Trend sticht die Plattformisierung hervor. Hier gibt es zwei Ausprägungen: Journalist:innen orientieren sich auf digitale Plattformen um, auf denen sie eine eigene Marke aufbauen. Teilweise werden sogar neue Plattformen für journalistische Beiträge entworfen.
Zu Letzterem erläutert Buschow: „Wir reden hier von einem community-fokussierten Journalismus, wobei die große Befürchtung ist, dass wir immer mehr zu Nischen-Medien tendieren und General Interest kaum mehr zu finanzieren ist.“
Auch die Kommunikationswissenschaftlerin Juliane Lischka von der Universität Hamburg beobachtet diese Trends. In der Redaktion einer Schweizer Tageszeitung werde beispielsweise nach wie vor in Ressorts gearbeitet, allerdings gebe es mittlerweile mehr Projektteams für neuere Formate. Lischka sieht darin eine große Chance: „So würde es einigen Redaktionen gelingen, noch bestehen zu bleiben.“
Allerdings könnte die „Projektifizierung“ zu Lasten der Spezialist:innen in den Redaktion gehen. Sie könnten durch Generalist:innen ersetzt werden, weil diese in Projektteams eher gefragt sind. Den Expert:innen für bestimmte Berichtsgebiete könnte dann wiederum die „Plattformisierung“ helfen. So bieten beispielsweise die RiffReporter einzelnen Journalist:innen oder kleinen Teams eine Publikations- und Distributionsstruktur für ihre Inhalte.
Alternative Organisationsformen
Sollten sich die redaktionellen Strukturen wirklich mehr und mehr auflösen, stehen also alternative Organisationsformen bereit. Die RiffReporter sind eine journalistische Genossenschaft, die freien Journalist:innen die Möglichkeit gibt, ihre Beiträge direkt an die Leser:innen zu verkaufen – und behält dafür eine kleine Provision ein. Die Genossenschaft unterstützt die Journalist:innen mit diversen Dienstleistungen, darunter Weiterbildungen im Projektmanagement und die Bereitstellung eines Content-Management-Systems.
Auch die Strukturen des Recherche-Kollektivs Correctiv lassen Ansätze eines postredaktionellen Organisationsmodells erkennen. Zwar arbeitet Correctiv auch noch klassisch redaktionell, daneben spielen aber „Projektifizierung“ wie auch „Peer Production“ eine große Rolle. Große Recherchen werden oft mit Partnern aus der Medienlandschaft durchgeführt und teilweise werden auch die Bürger:innen miteinbezogen.
Ist neu wirklich besser?
Beim Blick in die Zukunft sollte allerdings nicht vergessen werden, warum sich das klassische Konzept der Redaktion so lange gehalten hat. Der Austausch untereinander, sei es in der Teeküche, auf dem Flur, im Aufzug oder am Konferenztisch, macht den Journalismus besser. Freie, die davon ausgenommen sind, können immerhin vom Ping-Pong mit guten Redakteur:innen profitieren.
Ohne ein redaktionelles Korrektiv, einen Advocatus Diaboli, besteht die Gefahr, dass sich Journalist:innen in thematischen Nischen verlieren und ihre Themen eher nach individuellem Fachinteresse und nicht nach gesellschaftlicher Relevanz auswählen.
Ob und wie die neuen Organisationsstrukturen dieses Schmoren im eigenen Saft zu verhindern wissen, wird die Zukunft zeigen.
1. Juli 2021