#nr21 | Pressefreiheit
Keine Sonntagsreden, Taten!
Deutschland hat sich lange als Vorbild für Pressefreiheit gesehen. Doch der kritische Journalismus steht auch hierzulande zunehmend unter Druck. Eine Bestandsaufnahme.
von Jonas Freudenhammer, Mara Haber, Johanna Schröter, Annika Schultz
Es ist gefährlicher geworden, als Journalist:in zu arbeiten. Spätestens seit dem jüngsten Bericht von Reporter ohne Grenzen (ROG) ist das nicht mehr zu bestreiten. Die Menschenrechtsorganisation hat in Deutschland für 2020 insgesamt 65 Übergriffe auf Journalist:innen gezählt – im Vergleich zum Vorjahr ist das eine Verfünffachung. Und die Dunkelziffer ist nach Einschätzungen von ROG sogar noch deutlich höher. Die Konsequenz: Herabstufung in der Rangliste der Pressefreiheit um zwei Ränge auf Platz 13.
Der Abstand wird größer
Laut ROG ist die Situation nur noch „zufriedenstellend“ statt „gut“. Dabei hatte man hierzulande doch so vorbildlich über die „wahren“ Feinde der Pressefreiheit in der Türkei, in Russland und anderswo berichtet. Deutschland hat eine freie Presse, nicht zuletzt aufgrund eines funktionierenden Rechtsstaats. Von der verheerenden Lage in den genannten Ländern ist man weiterhin deutlich entfernt – der Abstand zu Leuchttürmen wie Norwegen, Finnland oder Schweden wird allerdings größer.
Angebahnt hat sich diese Entwicklung schon seit langem – Hate Speech, Lügenpressevorwürfe und Morddrohungen sind längst Alltag für viele Medienschaffende. Die aggressive Grundstimmung im Netz ist der Nährboden für ein zunehmend feindseliges Verhalten gegenüber Journalist:innen in der analogen Welt. „Der Hauptgrund für die Verschlechterung war das erschreckende Ausmaß an Gewalt gegen Journalist:innen am Rande von Demonstrationen“, erklärt ROG-Pressereferentin Anne Renzenbrink die Herabstufung. Die meisten Übergriffe hätten sich bei den sogenannten Querdenker-Protesten ereignet.
Der Polizei wird vorgeworfen, bei Gewalt gegen Journalist:innen zu spät oder gar nicht einzuschreiten. Viele Beamt:innen würden die Rechte der Presse nicht hinreichend kennen und oft nicht wissen, was Journalist:innen dürfen und was nicht. Einige Bundesländer haben daraufhin einen engeren Austausch und eine stärkere Verankerung von Medienrechten in der polizeilichen Aus- und Weiterbildung angeregt.
Nicht zuständig
Weitere Ansätze sind spezielle Schutzzonen und polizeiliche Begleitung für Journalist:innen. Da Medienschaffende dann aber sofort erkennbar wären und Ereignisse nur gefiltert wahrnehmen könnten, kann das die fundierte Berichterstattung beeinträchtigen. Die Verwendung eines bundesweiten Presseausweises könnte zumindest die Arbeit der Polizei auf Demonstrationen erleichtern. Denn: „Problematisch sind für Einsatzkräfte immer wieder Personen, die sich fälschlicherweise als Medienschaffende ausweisen“, sagt Pascal Ziehm, Leiter der Stabsstelle Kommunikation der Polizei Sachsen in Leipzig.
Der Deutsche Presserat hat Ende 2020 einen Entwurf für gemeinsame Verhaltensregeln von Medien und Polizei vorgestellt. Dieser sollte bei der Innenministerkonferenz Mitte Juni diskutiert werden – zwischendurch verschwand das Thema von der Agenda. Aus Teilnehmerkreisen hieß es, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sich nicht zuständig fühle. Am Ende wurde der Entwurf zwar diskutiert – eine Entscheidung aber auf den Herbst vertagt. Verbesserungen wurden nicht eingeleitet.
Ideen sind da – voran geht wenig
Unter den Bundestagsfraktionen gibt es ein paar Ideen, um die Presse zu schützen. Die Linke fordert, dass die Pressefreiheit in jeder Gesetzesvorlage berücksichtigt werden müsse. Auch den Grünen gehen die aktuellen gesetzlichen Regelungen wie etwa die Informationsfreiheitsgesetze nicht weit genug. In Bayern, Sachsen und Niedersachsen gibt es diese noch nicht einmal.
Margit Stumpp, Grünen-Sprecherin für Medienpolitik, sagt: „Journalismus braucht besseren Zugang zu Informationen bei Behörden.“ Darüber hinaus fordern die Linken und die Grünen einen besseren Schutz von Informant:innen, mehr Auskunftsrechte und sie bemängeln das neue Staatstrojaner-Gesetz. Die FDP spricht sich unterdessen gegen härtere Maßnahmen aus. „Die Werkzeuge sind da, man muss sie nur konsequent anwenden“, sagt FDP-Politiker Thomas Hacker. Eine Anfrage des Nestbeschmutzers an die AfD blieb unbeantwortet. So ziehen sich die Bundestagsfraktionen aus der Verantwortung und reichen sie in Richtung der Länder weiter. Die ohnehin wenig konkreten Ansätze auf Bundesebene blockiere die Union, so zumindest der Vorwurf des Koalitionspartners SPD und der Oppositionsparteien. Damit bleibt es größtenteils bei Allgemeinplätzen vor der Bundestagswahl im September.
Keine Selbstverständlichkeit
Pressefreiheit ist keine Selbstverständlichkeit: Sie muss von Politik, Polizei und Zivilgesellschaft gemeinsam getragen werden. Dafür reicht es nicht, sich auf einem funktionierenden Rechtsstaat auszuruhen. Es geht darum, den kritischen Journalismus und dessen Unabhängigkeit zu erhalten – im Interesse einer Gesellschaft, die sich umfassend, unabhängig und frei von Repressionen informieren möchte.
Die Probleme der Pressefreiheit sind nicht erst in der Corona-Pandemie entstanden. Aber die steigende Zahl an Übergriffen bei Demonstrationen und verbalen Anfeindungen im Netz schränken die Arbeit der Medienschaffenden ein. Statt sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben, muss gehandelt werden – die Zeit für Sonntagsreden ist definitiv vorbei.
1. Juli 2021