Nachruf
Horst Schilling war ein Aufklärer
„Seit drei Jahren kämpft der Fernsehmoderator Günther Jauch unter Inanspruchnahme des Deutschen Presserats gegen die rücksichtslose Vermarktung seines Privatlebens in den Printmedien“. Dies war der Einstieg in den ersten Bericht, den Horst Schilling für die Ausgabe 3/2003 der Internationalen Journalismus-Zeitschrift Message verfasste. Der Text beschrieb, wie die Regenbogenblätter mit viel Phantasie aus dem Privatleben der damals Prominenten bunte Geschichten zusammenreimten („Joschka Fischer – Warum sehen wir ihn so selten mit seiner Frau?“). Schilling beließ es aber nicht beim Darlegen der Beschwerdefälle – er wusste auch zu erzählen, dass manche Prominente mit der Androhung einer Presseratsbeschwerde Schadenersatzzahlungen herauszuschlagen suchten.
Wir, die Redaktion von Message, hatten in Horst Schilling genau den gefunden, der auf die für die Öffentlichkeit verschlossene Arbeit der Presserat-Beschwerdeausschüsse blickte, der besonders relevante Fälle aufgriff und minutiös zerlegte – und der dabei stets Distanz und Respekt gegenüber den Akteuren zu wahren wusste. Er war in dreifacher Hinsicht ein exzellenter Profi: Zum einen beherrschte er das journalistische Handwerk (bis zu seinem Ruhestand 1996 war er Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“); zum andern besaß er ein profundes Wissen über die Arbeit, auch über die Spannungsfelder, die den Deutschen Presserat prägten (er war zwölf Jahre lang Mitglied und auch zwei Mal Sprecher des Presserats). Darüber hinaus verfocht er das journalistische Ethos, für das auch der Pressekodex steht.
So bedeuteten Horst Schillings Berichte für uns, die Redaktion, ein großes Geschenk; für unsere Leser:innen waren sie ein großer Gewinn. Während der folgenden zehn Jahren berichtete er für Message über heikle, über typische, über unglaubliche und manchmal auch unfassbare Fälle, mit denen sich der Presserat auseinandersetzte: ein Brennglas, unter dem aktuelle Fehlleistungen des Journalismus sichtbar wurden. Dies galt auch für Horts Schillings letzten Bericht, den wir in Message 01/2013 publizierten: „Einseitige Berichterstattung, falsche Tatsachenbehauptungen und teils gezielte Täuschungen: Die häufigsten Beschwerden beschäftigen sich mit nicht eingehaltener Sorgfaltspflicht.“ Er diskutierte Beispiele aus deutschen Tageszeitungen, die man heute ironisch mit „alternative Fakten“ oder empört als „Fake News“ etikettieren würde.
Horst Schilling selbst gab sich nie empört; wir hatten in ihm einen stets zuvorkommenden, mit unseren Flausen nachsichtig umgehenden Kollegen. Und wäre er nicht jetzt, im Juni 2022, mit 90 Jahren gestorben, er würde die zahllosen „Fake News“, die mit der Online-Newsüberflutung über uns gekommen sind, weiterhin distanziert und analytisch auseinandernehmen, in der Absicht, seine journalistische Leserschaft über die Maximen des guten Journalismus aufzuklären. Solche Kollegen wie Horst Schilling vermissen wir heute sehr.
22. Juni 2022