#nr22 | Lokaljournalismus
Gemeinsam stark
Recherchekooperationen bringen immer wieder Missstände ans Licht. Wie kann Zusammenarbeit über Redaktionsgrenzen hinweg auch im Lokaljournalismus funktionieren?
von David Hammersen
Als Jonathan Sachse und sein Team vor vier Jahren Correctiv.Lokal aufbauten, stand dahinter die Idee, den Erfolg von Recherchekooperationen wie dem Bureau Local aus Großbritannien nach Deutschland zu übertragen. Mittlerweile initiiert Correctiv gemeinsam mit mehr als 1.200 teilnehmenden Journalist*innen investigative und datenbasierte Recherchen, die sowohl im Lokalen als auch bundesweit von Bedeutung sind. In den vergangenen Jahren berichteten die Mitglieder des Netzwerkes über Wohnungsmärkte, häusliche Gewalt oder Parteispenden. „Vor den Recherchen gibt es zwei mögliche Startrichtungen: Entweder Correctiv bringt ein Thema in das Netzwerk ein oder die Mitglieder kommen mit eigenen Ideen auf uns zu“, erklärt Sachse.
Sobald ein relevantes Thema definiert worden ist, trägt die Redaktion von Correctiv.Lokal wichtige Daten zu einem Rechercheschwerpunkt zusammen. In den sogenannten Rezepten werden Hintergrundinformationen, Statements von Expert*innen, potenzielle Gesprächspartner*innen, relevante Dokumente und Ideen für Rechercheansätze über einen Newsletter an die Journalist*innen versendet.
Neue Recherchewege aufzeigen
Während der Recherche stellt Correctiv zusätzlich technische Infrastruktur zur Verfügung. Bei der Berichterstattung zu lokalen Wohnungsmärkten nutzten alle teilnehmenden Medien zum Beispiel ein Upload-Portal, auf dem Bürger*innen ihre Mietverträge hochladen konnten. Die gesammelten Daten wurden im Anschluss auf einer Plattform mit dem gesamten Netzwerk geteilt. Die Veröffentlichungen der Recherchen wurden von den Mitgliedern abschließend eigenständig umgesetzt.
Trotz der umfangreichen technischen und inhaltlichen Unterstützung durch Correctiv nehmen einige Mitglieder nur an ausgewählten Recherchen des Netzwerks teil. Benjamin Piel, Chefredakteur des Mindener Tageblatts, nennt einen möglichen Grund: „Ich glaube, dass nicht jedes Thema inhaltlich immer zu allen Lokalredaktionen passen kann.“ So sei die von Correctiv angestoßene Recherche zum Fachkräftemangel beim Mindener Tageblatt beispielsweise gar nicht erst angelaufen, weil die Redaktion ohnehin tagtäglich über das Problem berichte.
Gerade bei diesen wiederkehrenden Themen wolle Correctiv.Lokal seine Mitglieder noch mehr unterstützen, erklärt Sachse. Ziel sei es, den Lokalredaktionen durch den datenbasierten Ansatz auch bei altbekannten Themen neue Recherchewege anzubieten.
Voneinander profitieren
Leonie Rothacker recherchierte für die Stuttgarter Zeitung im Correctiv-Verbund. Ihrer Ansicht nach kommt das Konzept des Netzwerks besonders dann an seine Grenzen, wenn Themen von nationaler Bedeutung im Lokalen aufgrund von fehlenden Zahlen nur schwer umsetzbar sind: „Bei meiner Recherche zu häuslicher Gewalt gab es auch auf lokaler Ebene ausreichend Daten – das hat besser geklappt als bei den intransparenten Parteispenden.“
Die Lokaljournalismus-Forscherin Wiebke Möhring von der TU Dortmund (siehe Kasten) ist der Meinung, dass Netzwerke gerade bei solchen Rechercheproblemen eine Hilfe für die Redaktionen sein können: „In der Zusammenarbeit der Mitglieder kann ein Austausch zur bestmöglichen Umsetzung und zu Fortschritten der Recherchen entstehen, durch den die Journalisten voneinander profitieren können.“ Besonders im Hinblick auf die Sparmaßnahmen und den Personalabbau vieler Verlage sei die Zusammenarbeit der Redaktionen auf lange Sicht unabdingbar. Möhring glaubt, dass der Lokaljournalismus „ohne Kooperation und tiefgehende Recherchen in Zukunft einfach nicht denkbar ist“.
12. Oktober 2022