#NR23 | Pressefreiheit
»Der Journalismus kann sich selbst nicht retten«
Deutschland rutscht in der Rangliste der Pressefreiheit immer weiter ab. Laura Moore, Expertin für die Berechnung solcher Indizes und hauptberuflich bei der DW-Akademie, über die Bedeutung und Folgen des Rankings.
Frau Moore, Sie waren Anfang Mai auf der World Press Freedom Day Konferenz in New York City. Wer hatte eingeladen und worum ging es da?
Die Weltkonferenz wird jährlich von der UNESCO organisiert. Der Fokus lag in diesem Jahr auf der Bedeutung von Pressefreiheit für die Verwirklichung der anderen Menschenrechte. Bei der Konferenz trifft sich die globale Community, bestehend aus Journalist*innen, NGOs, Regierungsvertreter*innen und Akteuren der Medienentwicklung.
Wie ist Ihre persönliche Bilanz der Konferenz?
Mein Take-Away ist, dass der Journalismus allein sich selbst nicht mehr retten kann. Das große Problem der Finanzierung, welches andere Probleme nach sich zieht, muss systemisch und von unterschiedlichen Akteuren gemeinsam gelöst werden. Das kann entweder durch Regulierung oder durch freiwillige Veränderungen etwa bei den großen Tech-Plattformen geschehen. Indem sie zum Beispiel einwilligen, einen Teil der Werbeeinnahmen an Medien zurückzugeben.
Deutschland ist in der Rangliste der Pressefreiheit um fünf Plätze heruntergestuft worden. Eine dramatische Entwicklung?
Es wäre vermessen zu sagen, es ist dramatisch, weil es in vielen anderen Ländern viel dramatischer ist. Dennoch sollte man die Entwicklung ernstnehmen und sich anschauen, wie es dazu kommt, dass Deutschland zwar eine noch immer »zufriedenstellende Situation« für Pressefreiheit hat, aber eben auch keine »gute«.
Sie sind Head of Research and Evaluation bei der DW-Akademie und Teil der Expert Group von Reporter ohne Grenzen. Worum kümmern Sie sich da?
In meiner Hamburger Dissertation »Measuring global media freedom« von 2020 habe ich die Rangliste von Reporter ohne Grenzen kritisiert. Es gab weder eine klare Definition, was Pressefreiheit ist, noch war klar, wer überhaupt entscheidet, wie viele Punkte ein Land bekommt und wie viele Leute zur Lage der Pressefreiheit in einem bestimmten Land befragt wurden. Vor diesem Hintergrund hat sich die Expert Group gebildet. Ziel war es, zusammen mit weiteren Expert*innen eine verbesserte Methodologie zu entwickeln, welche nun seit vergangenem Jahr im Pressefreiheits-Ranking angewandt wird.
Das Ranking mahnt alljährlich, zeigt Fehlentwicklungen auf und appelliert an politisch Verantwortliche. Was kann man damit erreichen?
Für die Politik ist es ein Anhaltspunkt, die eigenen Strategien zu reflektieren und zu hinterfragen. Es hilft auch dabei, über Empfänger*innen und Höhe von Entwicklungsgeldern zu entscheiden. Für die Medien ist der Index ein guter Anlass, sich zumindest einmal im Jahr vertieft mit unterschiedlichen Aspekten der Pressefreiheit zu beschäftigen.
Was muss sich hierzulande tun, damit Deutschland nicht noch weiter abrutscht?
Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern relativ gut darin, physische Übergriffe auf Journalist*innen zu verfolgen und Täter*innen auch zu bestrafen. Bei der Sanktionierung von Online-Angriffen und -Bedrohungen muss jedoch unbedingt nachgebessert werden. Zudem sind die deutschen Informationszugangsgesetze im Vergleich zum internationalen Standard noch nicht stark genug. Außerdem gibt es Entwürfe für Sicherheitsgesetze, welche den Umgang mit geleakten Informationen und Daten kriminalisieren, was unter anderem für den Quellenschutz eine Gefahr darstellt.
Und jenseits der Politik?
Es gab besonders in der Pandemie bei Demonstrationen gegen Corona-Einschränkungen außergewöhnlich viele gewalttätige Angriffe gegenüber Journalist*innen. Das dürfen wir als Gesellschaft nicht akzeptieren. Vielmehr müssen wir überlegen, wie wir eine gesellschaftliche Atmosphäre und ein demokratisches Miteinander sicherstellen können, wo Reporter*innen Demonstrationen und Proteste begleiten können, ohne Angst vor Übergriffen und Bedrohungen haben zu müssen.
Die Fragen stellte Mate Sieber.
16. August 2023