#nr21 | Lokaljournalismus
Adieu, Terminjournalismus!
Bei den Lokalzeitungen tut sich etwas. Sie werden digitaler und stellen sich inhaltlich neu auf. Nicht jedem gefällt das.
von Maren Jensen
Seitenlange Berichterstattung über Schützenfeste, Jahreshauptversammlungen der Metzgerinnung oder Stadtratssitzungen – all das ist in den lokalen Nachrichten Ostfrieslands so gut wie Vergangenheit. „Wir haben den Terminjournalismus nahezu abgeschafft“, sagt Joachim Braun, Chefredakteur der Zeitungsgruppe Ostfriesland, unter deren Dach täglich die Ostfriesen-Zeitung (OZ) erscheint. Vereinsberichte werden nur noch in einer wöchentlichen Beilage publiziert.
Braun will damit einen Perspektivwechsel herbeiführen – und selbst Themen setzen. Denn aus seiner Sicht würden viel zu häufig die Interessen von Amt-und Würdenträgern aus der Region von Lokaljournalist:innen berücksichtigt – und nicht die der Leser:innen.
Mehr Kündigungen – gut so!
Den Schritt, eigene Themen zu setzen, begrüßt Astrid Csuraji, Mitbegründerin des Innovationslabors „tactile.news“, das versucht, Lokaljournalismus digitaler zu machen. „Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Nachrichten im Lokalen sind. Die Zeit der täglich erscheinenden Lokalzeitung ist aber vorbei“, sagt sie.
Mit ihrem Team entwickelte sie zuletzt die Dialogsoftware 100eyes, die Journalist:innen mit vielen Menschen gleichzeitig in Kontakt bringt. Die Technologie setzt auf Messenger-Kommunikation statt Social Media. „Für direkten und persönlichen Austausch“, sagt Csuraji. So könnten Redaktionen schneller erkennen, was die Menschen beschäftigt. „Meiner Meinung nach braucht der Lokaljournalismus einen Haltungswechsel und muss viel stärker Kontakt zu den Leuten suchen, die ihn nicht lesen“, sagt Csuraji.
Einigen OZ-Abonnent:innen scheint der nahezu abgeschaffte Terminjournalismus jedoch nicht zu gefallen. Im vergangenen Jahr haben rund sieben Prozent der Leser:innen ihr gedrucktes Abo gekündigt. Geschätzt ein Drittel davon, weil die OZ aus ihren vier Lokalausgaben eine Ausgabe für ganz Ostfriesland gemacht hat, sagt Braun. Unter den Kündigungen seien viele treue Leser:innen, die die Ostfriesische Zeitung seit Jahrzehnten abonniert hatten.
E-Paper statt Zeitung
Die OZ musste damit 2020 rund 50 Prozent mehr Kündigungen hinnehmen als deutsche Lokalzeitungen ohnehin durchschnittlich jährlich verkraften müssen. War die Neuausrichtung also ein Fehler? „Nein“, sagt Braun. Er ist trotz der sinkenden Auflage zuversichtlich: „Die Hälfte der Kündiger ist auf das E-Paper umgestiegen.“ Er glaubt daher, dass auch die kleinen Verlage in Deutschland überleben werden, wenn sie den digitalen Wandel schaffen. „Ich verliere viel lieber die alten Leser als den Leser von morgen“, sagt der Chefredakteur.
Vor allem aus unternehmerischer Sicht mache das Sinn: Ein gedrucktes Abo der OZ kostet derzeit 40 Euro monatlich. Dabei entfallen allein 15 Euro pro Zeitung auf die Auslieferungskosten und den Logistikbereich. „Das ist doch wirklich Wahnsinn. Früher hat man mit 3,50 Euro kalkuliert“, sagt Braun. Hinzu kämen steigende Druckkosten.
Das E-Paper der OZ kostet hingegen nur 23 Euro monatlich und ist nicht nur für die Leser:innen erschwinglicher. „Der Gewinn ist für uns sogar größer als mit der gedruckten Version“, so Braun. Ziel ist es daher, so viele Leser:innen wie möglich zum Online-Angebot zu locken. „Es ist der einzige Weg“, sagt er. In der Summe verdiene die Redaktion aufgrund der größeren Abonnentenzahl zwar noch mehr Geld mit der Printzeitung. „Print ist aber auf Dauer nicht erfolgreich und daher müssen wir umdenken“, sagt der Chefredakteur.
Neue Konzepte in Köln
Umdenken will auch der 145 Jahre alte Kölner Stadtanzeiger der DuMont- Mediengruppe. Dafür nahm der ehemalige Handelsblatt-Redakteur Martin Dowideit die neue Position des „Head of Digital“ ein und führte eine Reihe neuer Produkte ein: Den Newsletter „Stadt mit K“, der bereits 50.000 Abonnenten zählt, sowie einen Podcast. Und auch für das E-Paper hat sich Dowideit viel vorgenommen: Ziel ist es, bis Jahresende online mehr als 14.000 Voll-Abos abzuschließen, aktuell sind es noch 9.000.
OZ-Chef Joachim Braun sieht die Entwicklungen des Kölner Stadtanzeigers positiv – glaubt aber, dass nicht nur der digitale Wandel wichtig ist. „Wir haben es geschafft, dass wir bei der OZ die Zahl der zu produzierenden Seiten um ein Drittel reduziert haben, die Zahl der Reporter aber gleichgeblieben ist – weil Qualität eben mehr Zeit braucht“, sagt Braun. Die Lokaljournalist:innen in Ostfriesland haben demnach mehr Zeit, an einem Bericht zu arbeiten und tiefer in die Recherche einzusteigen – etwas, das aufgrund des Kostendrucks bei vielen anderen regionalen Tageszeitungen oft nicht möglich sei, sagt Braun. Um wieder mehr Vertrauen beim Publikum zu schaffen, sei es daher nicht nur wichtig, ein digitales Angebot zu schaffen, sondern mit qualitativen Analysen und Recherchen zu überzeugen. Und dafür reicht der Terminjournalismus nicht mehr aus.
1. Juli 2021