Online
Das Diktat der Quote
Eine Studie zeigt, wie deutsche Online-Redaktionen mit Klickraten umgehen.
von Benedikt Tüshaus
Auch deutsche Printredaktionen versuchen herauszufinden, was den Lesern schmeckt und was nicht: per »ReaderScan« etwa, indem eine Stichprobe der Leser elektronisch markiert, »was« und »bis zu welcher Stelle« gelesen wurde. Oder anhand von Klickraten, die Online-Redaktionen für ihre Print-Kollegen zusammenstellen. Ob sich der Journalismus durch solche Akzeptanzmessungen verändert, lässt sich bereits bestens beobachten: in den Online-Redaktionen.
Hier hat sich längst der ständige Blick auf die soge- nannten PageImpressions (Maßzahl für Seitenaufrufe) und Click-Through-Rates (Anteil abgegebener Klicks auf ein Inhaltselement einer Seite an der Gesamtheit der Seitenaufrufe) etabliert. Endlose Tabellen und bunte Diagramme sind Standard, vereinzelt ergänzt durch Techniken wie die Heat-Map. Damit surfen die Redakteure wie gewohnt durch das eigene Angebot, während gleichzeitig per Mouse-over-Einblendung zu jedem Seitenelement Informationen über seine Klickhäufigkeit geliefert werden.
Die Klickdaten werden immer genauer, immer schneller und immer besser in den Arbeitsalltag inte- griert – das Ganze im Jahres-, Monats-, Tages- oder gar Minutenrückblick.
Viele Aspekte
In den entsprechenden Online-Redaktionen spricht man daher auch von Echtzeit-Quoten. Eine von mir als Abschlussarbeit an der Hochschule Darmstadt durchgeführte Untersuchung zeigt, dass die Beobach- tung der Daten zwar nur sehr vereinzelt vorge- schrieben, in den meisten Fällen jedoch fest in den Arbeitsablauf integriert ist. Unter ihrem Eindruck werden kurzfristig Entscheidungen um einzelne Themen (etwa bei der Hierarchie auf der Startseite) oder langfristig für oder gegen ganze Serien und Dossiers gefällt. Hinzu kommen Erfahrungswerte, die sich leicht auf die Präsentation eines Themas in der Wort- und Bildwahl des Teasers auswirken können. Es gibt viele Aspekte, die bewusst und unbe- wusst mehr oder weniger stark Quoten-Druck auf Online-Journalisten ausüben können. Dazu zählen neben wirtschaftlichen Zielvorgaben Vergleiche mit bereits erzielten Bestmarken, in deren Abhängigkeit beispielsweise die Gehälter leitender Redakteure gestellt werden können.
Zudem besteht die Gefahr der ökonomischen Instrumentalisierung in Medienunternehmen, in denen die Verantwortung für redaktionelle und für bezahlte Inhalte nicht klar getrennt ist.
Neue Standards
Doch die gezielte Nutzung der Quoten birgt auch Chancen: Grundsätzlich steigert das Wissen um die Vorlieben des Lesers die Reflexion über das eigene Produkt, angefangen beim Text-Coaching über das Redaktionsmanagement und das Bilden von neuen Teams zu nachgefragten Themen bis hin zur Überprüfbarkeit, wie man auch vermeintlich langweilige oder komplexe Themen dennoch knapp, spannend und gleichzeitig zutreffend anreißen kann.
Derzeit gibt es in den noch jungen Online- Redaktionen nur vereinzelt formelle oder informelle Vorgaben als Instrumente des Qualitätsmanagements. Gleichzeitig etablieren sich dort wie selbstverständlich neue Standards der Leser-Orientierung. Die Echtzeit- Quote im Online-Journalismus jedenfalls könnte zum Vorreiter für die Akzeptanzmessung in Redaktionen zukünftiger digitaler Medien werden. Dazu gehören neben dem interaktiven Fernsehen mobile Endgeräte und auch die Technik digitalen Papiers, die das Erbe der Morgenzeitung antreten könnte.
Fazit: Die Quoten werden in der crossmedialen Redaktion der Zukunft zum journalistischen Alltag gehören. Eine breite Diskussion steht noch aus.
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