Leserbindung
»Kein Voyeurismus«
Kann eine Regionalzeitung Leser-Reporter in den Redaktionsalltag integrieren? Hier der Erfahrungsbericht eines Projektmanagers.
von Marcus Haas
Am 17. Oktober 2006 startete die Mediengruppe Main- Post mit dem »Leser-Reporter«-Projekt. Von der Praxis einer großen Boulevard-Zeitung, die unter diesem Begriff ein System der Volkspaparazzi aufgebaut hat, grenzt sich die Main-Post durch die Vorgabe klarer Regeln ab: Wir wollen, dass die Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte der Menschen von den Leser-Reportern respektiert werden.
Wir wollen keinen Voyeurismus. Promis, die in der Nase popeln, Festbesucher beim Pinkeln und blanke Busen – solche Themen überlassen wir den Boulevardmedien. Auch PR-Texte und Werbung haben bei uns keine Chance.
Neue Zugangswege
Das Prinzip unseres Projekts: Die Leser-Reporter senden Hinweise und Bilder; die Redakteure recherchieren und machen dann daraus Artikel.
Die technischen Funktionen stammen dabei von MINDS (Mobile Information and News Data Services), eine im März 2005 gestartete Plattform der dpa-infocom, der Multimediatochter der Deutschen Presse-Agentur. Damit können Zeitungshäuser mobi- le Dienste in ihr Angebot integrieren.
»Vierzwanzigzwanzig« – mit dieser Nummer können sich die Leser bei der Main-Post einbringen. Das funktioniert über drei Zugangswege: Per E-Mail an die 42020@mainpost.de und mit dem Stichwort mp reporter per MMS oder SMS an die Kurzwahl 42020. Die MINDS-Plattform führt alle Einsendungen in einem Postfach zusammen, das zentral am Newsdesk Aktuelles bei der Mediengruppe Main-Post verwaltet wird. Dort entsteht der überregionale Zeitungsinhalt; und dort sitzt ein Cross-Media- Beauftragter mit am Tisch, der die eingegangenen Hinweise an die passende Redaktion weiterleitet, die die Geschichten dann gegebenenfalls ins Blatt bringt.
Im Artikel hängt auch das Leser-Reporter-Logo mit den Zugangswegen, und der Leser-Reporter wird namentlich genannt – sofern er nichts dagegen hat. Eingegangene Bilder werden einfach dazugestellt. Eventuell gibt es hier auch einen Hinweis auf das Internetangebot www.mainpost.de.
Ebenfalls im Rahmen des »Leser-Reporter«-Projekts startete die Main-Post einen Fotowettbewerb und forderte die Leser auf, die schönsten Herbstbilder aus Unterfranken einzuschicken. 400 Fotos liefen nach einem Monat über die neuen Zugangswege ein. Zudem kamen 50 Hinweise für Geschichten in der Redaktion an, aus denen Artikel in der Zeitung wurden.
Die Bilder wurden in der Internetausgabe veröffentlicht. Die Leser hatten die Möglichkeit, die Fotos mittels Skala von 1 bis 6 zu bewerten. Die beliebtesten Bilder wurden auf einer Thema- Seite in der Zeitung abgedruckt, unter denen dann wiederum per Telefon und SMS-Abstimmung drei Sieger ermittelt wurden. Die drei besten Fotografen sowie drei der an der Abstimmung beteiligten Leser, per Zufallsgenerator ausgewählt, bekamen Preise. Das Siegerbild sowie die Namen der Gewinner wurden dann nochmals in der Zeitung veröffentlicht.
Schneller und direkter
Neu sind solche Beteiligungsmöglichkeiten auch bei der Main- Post nicht. Im Onlinebereich beispielsweise laden Umfragen und Foren zur Meinungsäußerung ein. In der Zeitung gibt es schon lange den heißen Draht zur jeweiligen Lokalredaktion. Unter den Kommentaren und Kolumnen stehen E-Mail-Adressen, es gibt die Möglichkeit, Leserbriefe zu schreiben. Leser reichen auch direkt Kritik oder Anregungen an den Leseranwalt der Main-Post weiter, der diese verarbeitet und wieder ins Blatt bringt.
Der Unterschied zu den bisherigen Beteiligungsmöglich- keiten: Nun fließen die Hinweise mittels moderner Kommu- nikationswege viel schneller, leichter und direkter in die Redaktion, wo sie an einer Stelle zusammenlaufen, sortiert und gezielt weiterverteilt werden. Auf diese Weise können künftig keine qualifizierten Leser-Hinweise mehr verloren gehen.
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