Frankreich
Subventionen bis zum Tod

Die nationale Presse Frankreichs erlebt einen dramatischen Niedergang. Sture Gewerkschaften, mangelnder Unternehmergeist und blinde Subventionspolitik verhindern die nötigen Reformen.

von Marc Christian Ollrog

In einer idealen Welt würde l’Humanité nicht existieren«, lautet der Slogan des kommunisti- schen Parteiorgans. Vor dem Hintergrund seiner dramatischen wirtschaftlichen Umstände liest sich dieser Slogan schon fast wie eine Realsatire. Denn diese ideale Welt scheint nicht mehr weit entfernt: Nur mehr 50.000 Exemplare beträgt die verkaufte Auflage der Zeitung. Die Verluste liegen bei zehn Prozent der Erlöse. Und zieht man die staatli- chen Subventionen ab, sind sie doppelt so hoch.

Ähnliches gilt für France Soir, Frankreichs einst- mals führende Boulevardzeitung, die vor vierzig Jahren eine Millionenauflage besaß.

Fatale Nebeneffekte

Die beiden Fälle sind nicht einmal die dramatischsten. Die gesamte Gattung der zwölf »national« genannten überregionalen Tageszeitungen Frankreichs steht am Abgrund. Wie überall in Europa, so brechen die Anzeigenerlöse weg. Und wie woanders auch, sinken die Auflagen und Reichweiten. Doch anders als im benachbarten Ausland existieren die Blätter nur mehr dank massiver Geldspritzen reicher Unternehmer und staatlicher Subventionen. Und bei einigen reicht auch dies nicht mehr.

Die linksgerichtete Libération zum Beispiel bean- tragte im September Insolvenz. Der Bankier Edouard Rothschild ist Mehrheitseigner und fordert den Abbau von 76 Stellen auf 200 Mitarbeiter. Nur unter dieser Bedingung würde er weiterhin Geld in das Blatt ste- cken. Bereits 2004 waren 56 Mitarbeiter entlassen worden.

Oder die Gruppe des Renommiertitels Le Monde: Sie machte in den beiden vergangenen Geschäftsjahren zusammen 90 Millionen Euro Verlust und konnte nur dank erheblicher Kapitalaufnahmen überleben. Der Rüstungsfabrikant Serge Dassault wiederum leistet sich den Figaro als politisches Sprachrohr und gleicht des- sen Verluste über die erfolgreichen Zeitschriftenableger und die Gewinne des Gesamtkonzerns aus.

Der einzige rentable Titel der »presse quotidienne nationale« (PQN) ist Aujourd’hui, das Kopfblatt einer Pariser Regionalzeitung. Die beiden anderen rentablen Blätter sind Spartenblätter: L’Equipe (Sport) und Les chos (Wirtschaft). Wenn sie sich nicht an Haupt und Gliedern erneuerten, hätten die nationalen Blätter höchstens »noch zehn Jahre Zukunft«, prophezei- te der Chef des französischen Zeitschriftenriesen Lagardère (Eigentümer von Hachette) der PQN. Stéphane Bribard vom Nationalvertrieb der Presse NMPP urteilt noch härter: »Wenn nur unser System nicht so pervers wäre, wären von heute auf morgen die meisten Zeitungen tot.«

Bribard meint die Staatssubventionen. Doch ein ebenso großer Krisenverursacher ist Bribards eigener Pressevertrieb NMPP, der die Zeitungen an die Kioske bringt. Dieser ist nach dem Genossenschaftsprinzip organisiert, was den Tageszeitungsverlegern zunächst den Vorteil bringt, dass sie nicht die echten Vertriebskosten bezahlen müssen. Allerdings führen die chronischen Defizite der Tageszeitungssparte – 30 Millionen Euro allein 2006 – zu fatalen Nebeneffekten. Denn die NMPP, die gesetzlich zum Vertrieb der Blätter verpflichtet ist, wird von der Zeitschriftenlobby (wie Lagardère) dominiert. Und die hat an einem leistungsstarken Zeitungsvertrieb kein Interesse.

Marodes Vertriebssystem

Zudem werden die Einzelhändler – sie sind das schwächste Glied der Vertriebskette – nur schlecht von den NMPP entlohnt. Folglich geht die Zahl der Einzelverkaufsstellen dramatisch zurück. Im dünn besiedelten Flächenland Frankreich existieren rund 29.000 Einzelverkaufsstellen – in Deutschland gibt es das Vierfache. Doch im Unterschied zu Deutschland werden in Frankreich mehr als 70 Prozent der natio- nalen Zeitungen über den Einzelhandel verkauft.

Dass dieses marode Vertriebssystem noch immer existiert, dafür steht das weit verzweigte System direkter und indirekter Subventionen, die der Staat aus dem Steuersäckel verstreut.

Die direkten Subventionen für die Presse betru- gen 2006 rund 280 Millionen Euro (2005: 278 Millionen Euro). Die indirekten Subventionen (Steuererleichterungen für Presseunternehmen sowie Sondertarife beim Posttransport) liegen noch weit darüber. So werden die Gesamtsubventionen auf jähr- lich mehr als eine Milliarde Euro geschätzt. Dies sind annähernd zehn Prozent des Gesamtumsatzes der französischen Tagespresse.

Veraltetes Selbstverständnis

Diese Subventionitis geht zurück auf die Zeit der Befreiung von Hitler-Deutschland 1944. Alle Blätter, die mit den Nazis kollaboriert hatten, wurden ver- boten. Lizenzen für neue Zeitungen erhielten vor allem Kommunisten und Mitglieder der Résistance. Der damals geschaffene gesetzgeberische Ordnungs- rahmen gilt bis heute fast unverändert.

Beispielsweise erhielten die in der kommunisti- schen Gewerkschaft CGT organisierten Drucker und Setzer das Einstellungsmonopol für die Druckereien. Noch heute stehen an den Rotationen der Pariser Zeitungsdruckereien bis zu drei Mal mehr Arbeiter als in Deutschland; was die Druckkosten um rund 40 Prozent erhöht.

Um die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nachrichten sicherzustellen, sicherte damals der Staat den finanzschwachen Neu-Verlegern finanzielle Unterstützung zu. Und so blieb es bis heute. »Die gedruckte Presse trägt in wesentlichem Umfang zur Information der Bürger und zur Verbreitung von Gedanken und Meinungen bei. Ihr Wohlergehen und ihre Zukunft sind deshalb gewichtige Ziele unseres demokratischen Lebens«, heißt es im Haushaltplan 2006 des französischen Kulturministeriums. »Das ist der Grund, warum der Staat es sich seit langer Zeit zu eigen macht, die Freiheit der Presse zu garantie- ren, die Entwicklung ihres Vertriebs zu unterstüt- zen und die Bedingungen des Pluralismus und ihrer Unabhängigkeit zu fördern und ihre Modernisierung voranzutreiben.«

Der größte Posten der Staatssubvention geht mit 109,4 Millionen Euro (2007) an die Nachrichtenagentur AFP, deren größter Abonnent im Übrigen der französische Staat ist. An zweiter Stelle kommt die Tagespresse. Und so war es für die linke Libération ganz selbstverständlich, den Staat an seine »Pflicht« zu erinnern, der Zeitung aus ihrer Krise zu helfen. Dass diese Krise – wie bei vielen anderen Zeitungen auch – zu erheblichen Teilen auf das Missmanagement der Verlage und ein veraltetes Selbstverständnis der Redaktionen zurückgeht, wird vielerorts geleugnet.

Und auch dies ist eine Folge der Subventionitis: Sie hat die Blattmacher lange Zeit darüber hinweg- getäuscht, dass ihre nationalen Blätter nicht mehr zeitgemäß gemacht sind. »Der Staat subventioniert eine Presse, die immer weniger Leser hat«, empört sich Luc Lemaire, Chefredakteur der Gratiszeitung 20 Minutes. Tatsächlich hält der Staat die nationale Presse am Gängelband der Subventionen, fern von einer Ausrichtung auf den Lesermarkt. Er garantiert ihren Fortbestand – ganz egal, wie schlecht diese auch wirtschaftet.

Die überlebenswichtigen Staatshilfen machen aus den Watchdogs der Demokratie in zunehmen- dem Maße brave Schoßhündchen der Machtelite. Es kann darum kaum überraschen, dass der inves- tigative Journalismus der PQN weitgehend verloren gegangen ist. Ein von der Redaktion von Le Monde unternommener Wiederbelegungsversuch endete vor zwei Jahren in Schimpf und Schande für den damali- gen Chefredakteur Edwy Plenel. Seitdem halten sich die quotidiens nationaux wieder an den Räsonier- und Meinungsjournalismus, der Fakten und Kommentare häufig miteinander vermengt.

Schallende Ohrfeige

Die von den nationalen Zeitungen zunehmend enttäuschte Bevölkerung stillt inzwischen ihr Informationsinteresse über ein wachsendes Angebot informativ gemachter Gratiszeitungen. 53 Prozent der Franzosen gaben unlängst in einer Umfrage an, ihr Informationsbedürfnis mit gratis erhältlichen News ausreichend decken zu können – eine schal- lende Ohrfeige für die Kaufpresse. Vor allem junge Leute in den Ballungszentren greifen immer häufiger zu den Gratisblättern und immer seltener zu natio- nalen Zeitungen. Prompt beschloss die französische Regierung eine neue Subvention in Höhe von vier Millionen Euro jährlich. Deren Zweck: Förderung der Nutzung von Tageszeitungen bei Jugendlichen.

Noch scheint der Kaufzeitungsmarkt nicht ganz ver- loren: Ende November kündigte der Springer-Konzern an, im Laufe des Jahres 2007 eine Bild à la française herauszubringen. Und auch ihr Chefredakteur steht schon fest. Er heißt Didier Pourquery und kommt von der Gratiszeitung Metro.

Kommentar hinterlassen

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.