Deutscher Presserat
Wenn zu viel geplaudert wird

Ungebetene Geburtstagsglückwünsche, ungeschwärzte Autokennzeichen: Redaktionen gehen oft sorglos mit dem Bürgerrecht auf informationelle Selbstbestimmung um.

von Horst Schilling

Mit Entsetzen haben Bekannte reagiert, als sie von anderen Menschen darauf hingewiesen wurden, dass ihr Geburtstag in der Zeitung ausgedruckt sei«, schrieb ein Leser der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung im März 2004 an den Deutschen Presserat. Sie hätten, wenn sie von der Zeitung gefragt worden wären, niemals ihre Einwilligung dafür gegeben – schließlich gebe es Menschen, die es gerade auf ältere Personen abgesehen hätten, um sie für unlautere Machenschaften auszunutzen.

Die Chefredaktion der Zeitung erklärte, ein Mitarbeiter übernehme die Daten aus öffentlich zugänglichen Kirchengemeindeblättern. Die Redaktion der Stadtteilausgabe sei bislang davon ausgegangen, dass die von ihr veröffentlichten Daten durch den vorherigen Abdruck frei verfügbar seien. Unter Verweis auf Richtlinie 8.7 des Pressekodex sprach der Presserat einen Hinweis aus. Allein die Tatsache, dass bestimmte personenbezogene Daten bereits an anderer Stelle veröffentlicht worden seien, bedeute keine uneingeschränkte Zulässigkeit jeder weiteren Veröffentlichung. Die Redaktion hätte sich daher in jedem Einzelfall vergewissern müssen, ob der betreffende Jubilar mit der Veröffentlichung seines Namens, seines Alters und seiner Adresse einverstanden sei.

Welche Lokalredaktion weiß das schon, und welche tut es? Aber so will es der Datenschutz; der Presse ist per Gesetz die Pflicht auferlegt, das Grundrecht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung zu respektieren. Ursprünglich sollte in jeder Redaktion ein – von Weisungen freier – Datenschutzbeauftragter wirken, der die Recherche der Journalisten und die redaktionelle Bearbeitung, Veröffentlichung sowie Archivierung ihres Materials unter Berücksichtigung des Datenschutzes kontrolliert.

Problembewusstsein niedrig

Eine neue Regulierung für den Redaktionsdatenschutz war notwendig geworden, nachdem die EU 1995 ihre Datenschutzrichtlinie formuliert und damit die Basis für ein neues Bundesdatenschutzgesetz gelegt hatte. Nach intensiven Beratungen haben sich Presserat, Verleger- und Journalistengewerkschaften mit dem Bundesinnenministerium für den Bereich der Presse auf ein integriertes Modell der Selbstregulierung verständigt. 2001 wurden die Publizistischen Grundsätze der Freiwilligen Selbstkontrolle um Bestimmungen für den redaktionellen Datenschutz ergänzt. Dem Presserat obliegt also heute die Aufgabe, darüber zu wachen, dass im Print- und Online-Angebot der Pressehäuser stets eine faire Abwägung stattfindet zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Interesse des Einzelnen am Schutz seiner Privatsphäre und seines Persönlichkeitsrechts. Beschwerden über mögliche Verstöße bearbeitet ein eigens dafür zuständiger Beschwerdeausschuss Redaktionsdatenschutz.

Die Zahl der Verlage, die an der Freiwilligen Selbstkontrolle Redaktionsdatenschutz teilnehmen, nimmt von Jahr zu Jahr zu, sie stieg von 714 im Jahr 2004 auf 855 im Jahr 2005. Darunter befinden sich 115 Anzeigenblattverlage. Die Zahl der Beschwerden hält sich dagegen in Grenzen, da das Problembewusstsein in der Öffentlichkeit noch nicht vollends geweckt zu sein scheint. Im Jahre 2002 gab es zwölf, im Jahr 2003 acht, im Jahr 2004 zwanzig, im Jahr 2005 zwölf und im Jahr 2006 sechs Beschwerden.

Eine nicht-öffentliche Rüge erhielt das Anzeigenblatt Eifel-Zeitung, das im Juli 2003 die Reproduktion eines privaten Briefes veröffentlicht hatte. In dem Schreiben an den Geschäftsführer des Verlages hatte der Anwalt einer Rechtspflegerin Schmerzensgeldansprüche geltend gemacht. Das Blatt hatte zuvor der Frau unter namentlicher Nennung vorgeworfen, ihre beruflichen Kompetenzen einseitig zu Lasten bestimmer Firmen auszunutzen. Für durch diese Veröffentlichung entstandene gesundheitliche Beeinträchtigungen forderte die Betroffene nun finanziellen Ausgleich. Dies nahm die Redaktion zum Anlass, den kompletten Brief mit Namen, Anschrift sowie genauer Beschreibung des gesundheitlichen Zustandes der Frau abzudrucken. Dies sei eine klare Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, stellte der Presserat fest. Bei dem Schreiben handele es sich um eine vertrauliche Korrespondenz, die zudem als anwaltliche Post besonders schützenswert sei und an deren Inhalt kein öffentliches Interesse bestehe.

Ebenfalls um ein Anwaltsschreiben ging es im Fall der Sport-Bild. Die hatte im September 2006 den Box- Weltmeister Arthur Abraham gefragt, ob er glücklich darüber sei, dass er bei seinen Kämpfen nicht mehr als Schlumpf auftreten dürfe. Dem Interview waren Auszüge aus einem Schreiben beigefügt, das die Anwältin der Inhaber der Rechte an der Schlumpffigur an den Boxer und die Veranstalter seiner Kämpfe gerichtet hatte. Dabei war der vollständige Briefkopf erkennbar, die Anwältin sah ihre Persönlichkeitsrechte verletzt. Der Beschwerdeausschuss hielt die Beschwerde für begründet. Den Namen der Anwältin hätte die Zeitung nennen, nicht aber ihre Anschrift angeben dürfen. Da der Verlag seinen Fehler eingesehen und inzwischen eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben hat, sah das Gremium von einer Maßnahme ab.

Einkommensangabe im Leserbrief

Die Badischen Neuesten Nachrichten behaupteten im August 2004, das Land schütte das Füllhorn über seine Pensionäre aus. Das regte einen früheren Schulleiter derart auf, dass er einen Brief an den Chefredakteur des Blattes verfasste, in dem er bekundete, dass ihm von 2.970 Euro nur 2.321 Euro verblieben. Zu seinem Erstaunen veröffentlichte die Zeitung sein Schreiben, das nur der Information hatte dienen sollen, als Leserbrief. Der Presserat reagierte auf seine Beschwerde mit einem Hinweis. Der Leser habe seine Einkommensverhältnisse zu Informationszwecken offengelegt, ohne diese zur Veröffentlichung freizugeben. Unter diesen Voraussetzungen hätten die konkreten Zahlen unter voller Namensnennung nicht veröffentlicht werden dürfen.

In einer satirischen Vorschau auf eine Fernsehserie mit dem Titel Finanzamt Mitte – Helden im Amt bezog die Frankfurter Allgemeine Zeitung im November 2002 die Namen und Dienstanschlüsse dreier leitender Mitarbeiter des Berliner Finanzamtes Mitte/Tiergarten ein und suggerierte damit, bei dem Finanzamt der Serie handele es sich um die Behörde der drei Betroffenen. Die real existierenden Finanzbeamten wurden mit ironischen Wertungen und Beschreibungen des fiktionalen TV-Geschehens verknüpft. Dazu zählten Formulierungen wie »Hier lässt man gerne mal fünf gerade sein, wenn die Arbeit für den Fiskus gerade massiv stört« oder »Alle arbeiten für ein Ziel (…), aber alle stehen sich auch irgendwie im Wege«. Sogar von einem »Sodom und Gomorrha im Finanzamt Mitte« war die Rede. Der Presserat begründete seine Missbilligung mit der Feststellung, der Autor der Glosse habe die Daten der Beschwerdeführer willkürlich aus der Internetseite des Berliner Finanzamtes übernommen und unbeteiligte Personen ohne deren Einwilligung zu Versatzstücken einer medialen Text- Inszenierung gemacht.

Im Juli 2002 berichtete die Bild-Zeitung, bei einem Zusammenstoß mit einem Lastwagen sei eine dreiköpfige Familie tödlich verunglückt. Ein Foto zeigte die beiden beteiligten Fahrzeuge. Auf der Frontseite des Lastwagens war der Name des Fahrzeughalters zu lesen. Dessen Anwalt beklagte beim Presserat, dass der Namenszug auf dem Foto nicht unkenntlich gemacht worden sei. Zwar werde der Name seines Mandanten im Text nicht genannt, jedoch sei er durch das Bild deutlich mit dem »Horror-Unfall« in Verbindung zu bringen. Der Presserat wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Der Unternehmer habe seinen Namenszug auf einem am öffentlichen Straßenverkehr beteiligten Fahrzeug angebracht und damit einen Werbeträger gewählt, der den besonderen Risiken des Straßenverkehrs ausgesetzt sei. Im vorliegenden Fall habe sich dieses Risiko verwirklicht.

Einen Hinweis kassierte Bild jedoch, weil es im April 2004 das Kennzeichen eines Autos, mit dem ein junger Mann in eine Gruppe von Fans eines Bundesligaclubs gerast war, nicht geschwärzt hatte. Die Rechtsabteilung des Verlages hatte eingeräumt, dass eine entsprechende Anweisung des Autors in der Hektik des Produktionsprozesses nicht befolgt worden sei. In diesem Fall sahen die Datenschützer des Presserats die Betroffenen in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt, weil durch die Veröffentlichung Fahrer und Halterin des Fahrzeuges identifizierbar seien.

Intimes aus der Telefonaktion

Im Januar 2004 löste eine Telefonaktion des Bergsträßer Anzeigers zum Thema »Übergewicht bei Kindern« die Beschwerde eines Familienvaters aus. Der scheinbar vertrauliche Informationsaustausch zwischen ihm und einem Kinderarzt in der Redaktion sei zwei Tage später in einem Aufmacher der Zeitung über die Telefonaktion wiedergegeben worden. Dabei seien Vorname, Alter, Größe und Gewicht seiner sechsjährigen Tochter, deren Essensgewohnheiten, mögliche traumatische Situationen sowie der Wohnort der Familie ohne seine Zustimmung preisgegeben worden.

Der Chefredakteur der Zeitung erklärte, Telefonaktionen mit Experten seien für die Zeitung ebenso gängige Praxis wie die anschließende Berichterstattung darüber. Diesmal sei es um ein Thema mit ausgeprägt persönlicher Komponente gegangen. Dass die Nennung des Vornamens und des Wohnorts der Betroffenen in einer Kleinstadt Eingeweihten die Entschlüsselung der Person ermöglicht habe, sei nicht beabsichtigt gewesen und werde bedauert. Der Presserat missbilligte die Veröffentlichung. Der Vorgang hätte anonymisiert dargestellt werden müssen, aus zwei Gründen: Zum einen handelte es sich auf Grund des Themas der Telefonaktion um einen äußerst sensiblen Bereich personenbezogener Daten. Zum anderen stand ein sechsjähriges Mädchen im Fokus der Veröffentlichung. Der Beschwerdeausschuss kritisierte, dass für Leser, die an der Telefonaktion teilnehmen wollten, nicht erkennbar war, dass die Telefonate von der Redaktion mitgehört und aufgezeichnet werden sollten und die Sachverhalte zur Veröffentlichung gedacht waren.

Privaten Wohnsitz präsentiert

Die Berliner Zeitung beschrieb im Juli 2005 in einer Immobilienbeilage die außergewöhnliche farbliche Gestaltung eines privaten Wohnhauses. Sie zeigte in einem Foto eine geöffnete Tür zum Garten und gab im Text die vollständige Adresse des Hauses an. In einem Ausschnitt aus dem Stadtplan zeigte ein Pfeil auf den Standort des Anwesens. Die beiden Eigentümer des Hauses beschwerten sich darüber, dass der Artikel ohne ihr Wissen und Einverständnis veröffentlicht worden sei. Das Gebäude sei ein schlichtes 30er- Jahre-Einfamilienhaus, wie es in der Stadt tausende gebe. Das Haus stehe, wie es das Erscheinen in der Immobilienbeilage der Zeitung suggerieren könnte, auch nicht zum Verkauf. Die Beschwerdeführer hielten die Veröffentlichung für ein nicht zu kalkulierendes Sicherheitsrisiko.

Nach Auskunft der Rechtsabteilung des Verlages war der Autor des Beitrages durch ein Fachblatt für Maler und Lackierer auf das Haus aufmerksam gemacht worden. Der Architekt habe ihm bereitwillig Auskünfte über die Gestaltung des Hauses erteilt und dem Redakteur erlaubt, das veröffentlichte Foto zu verwenden. Die Zeitung habe daher keinerlei Anhaltspunkte dafür gehabt, dass die Eigentümer mit der Veröffentlichung nicht einverstanden sein könnten. Im Nachhinein habe man sich selbstverständlich für die Verfahrensweise in aller Form entschuldigt.

Der Beschwerdeausschuss Datenschutz bedachte das Blatt mit einer Missbilligung. Durch die Angabe der genauen Adresse sei für jeden Leser der Zeitung der private Wohnsitz, der nach Richtlinie 8.2 einen besonderen Schutz genieße, erkennbar. Die Einschätzung der Redaktion, dass die Beschwerdeführer durch die Wahl eines auffallenden Farbanstrichs selbst in gewissem Maße ein Interesse der Öffentlichkeit erregt hätten, begründe nicht eine Berichterstattung mit Adressenangabe. Trotz der Veröffentlichungen in einer Malerzeitschrift sowie einer Wiedergabe von Fotos auf der Internetseite des Architekten hätte die Redaktion die Einwilligung der Hauseigentümer zu einer Veröffentlichung im Immobilienteil der Tageszeitung einholen müssen. In keiner der vorausgegangenen Veröffentlichungen war zudem die Adresse des Hauses genannt worden.

Datenschutz in der Kriminalgeschichte

Im Mai 2002 schilderte die Magdeburger Volksstimme in einer Serie über historische Kriminalfälle eine Gewalttat im Jahre 1964. Sie bezeichnete den damaligen Täter dabei in Überschrift und Text als Mörder, obwohl an einer anderen Stelle des Textes deutlich wurde, dass die rechtskräftige Verurteilung auf Totschlag lautete. Der Betroffene wurde in dem Bericht mit Vornamen und dem Anfangsbuchstaben des Nachnamens genannt. Der Presserat sprach in diesem Fall eine öffentliche Rüge aus. Die Tatsache, dass die Redaktion wider besseres Wissen der »Griffigkeit« wegen die Bezeichnung »Mörder« gewählt hatte, sah er als einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht insbesondere im Umgang mit personenbezogenen Daten an. Durch die unzureichende Anonymisierung sei der damalige Täter in seinem dörflichen Umfeld auch heute noch eindeutig zu identifizieren. Der Schutz der Resozialisierung werde mit einer partiellen De-Anonymisierung unterlaufen. Mit der Bezeichnung Mörder statt Totschläger werde diese Verletzung noch vertieft.

In fast allen Beschwerdefällen wies der Presserat darauf hin, dass eine in einer Veröffentlichung enthaltene Rechtsverletzung nicht fortbestehen darf, z. B. durch die Vorhaltung des Artikels in einem für jedermann abrufbaren Archiv. Er mahnte die Zeitungen und Zeitschriften daher, Vorkehrungen zu treffen, um eine Wiederholung der Regelverletzung auch durch Dritte zu vermeiden. Die in Richtlinie 3.2 geforderte Richtigstellung ist ebenso wie die Entscheidung des Presserats unübersehbar zu den gespeicherten Daten zu nehmen, damit Datenschutzverletzungen nicht unabsichtlich wiederholt werden können.

Jörg Steinbach, Vorsitzender des Beschwerdeausschusses Redaktionsdatenschutz, hält mehr Aufklärung und präventive Arbeit in den Redaktionen und Verlagen für nötig. Nicht nur, damit Journalisten weiterhin ihren grundgesetzlich gesicherten Freiheitsspielraum ohne staatliche Einflussnahme verantwortlich nutzen können. Es gehe auch darum, Autoren und Verlagen Kosten zu ersparen, die durch Nichtbeachtung der Datenschutzbestimmungen entstehen könnten. Verstöße sanktionierten Zivilgerichte nicht mehr nur bei prominenten Zeitgenossen, sondern zunehmend auch bei Normalbürgern mit Entschädigungszahlungen. In vielen Redaktionen und Verlagen sei die Unsicherheit im Umgang mit dem neuen Datenschutzrecht aber noch groß und die Maßnahmen zur Vermeidung von Verstößen weiterhin völlig unzureichend.

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