Editorial
bloggen Sie in Ihrer Freizeit – oder schon während Ihrer Redaktionsarbeit, weil Ihr Arbeitgeber mehr Nutzerdialog verlangt? Und wenn Sie es tun: Haben Sie selbst in dieser Sache schon umgedacht? Verändert sich Ihre Vorstellung von Ihrem Beruf? Die Meinungen gehen hier auseinander. Unstrittig aber ist, dass eine rasant wachsende Zahl an Medienhäusern ihre Online-Angebote um den »Nutzer-Dialog« erweitert: Kommentar-Mails, moderierte und nicht-moderierte Foren, Redaktions- und Nutzerblogs, Bildergalerien und Video-Tubes, Onlineleser als Reporter, Geschichtenerzähler und Textjury.
Nur eine Mode? Ich glaube nicht. Wir beobachten hier einen Prozess, der nicht einfach beendet oder zurückgedreht werden kann. Dies ist der Unterschied zu Trends wie vor ein paar Jahren der Nutzwert oder derzeit »Online first«. Mit der Erweckung des Nutzers als Dialogiker müssen die Journalisten Abschied nehmen von der Rolle des selbstgerechten Nachrichtenkönigs und vom oberschlauen Welterklärer. Und die vielen Tausend, die früher einfach unbekannt, ungeliebt und oft auch unerwünscht waren, werden jetzt als die lieben Kollegen umschmeichelt. Da ist auch viel Marketing-Heuchelei dabei. Und oft genug pusten die lieben neuen Kollegen gedankenloses Palaver ins Netz, sind Dampfplauderer oder hohle Hinterherschwätzer. Die Umwertung der Journalistenwerte jedenfalls ist nicht nur lustig.
Wie weit dieser Prozess schon fortgeschritten ist, dies hat eine Forschergruppe unter Prof. Christoph Neuberger an der Universität Münster mit einer umfassenden Erhebung untersucht. Ihre Befunde und Deutungen finden Sie exklusiv in diesem Heft, erweitert um Redaktionsporträts der wichtigsten Onlinedialog-Anbieter. Hier zeigt sich hinter der Euphorie die tiefe Ambivalenz in den Köpfen der Onlineredakteure.
Hätten wir zum Titelthema gemacht, was die Journalistenzunft in Deutschland derzeit besonders heftig umtreibt, dann stünde das Trio Infernale Stefan Aust, Armin Mahler und Mario Frank im Vordergrund unseres Coverbildes – und die beiden Augstein-Erben im Hintergrund. Doch das ist nicht unser Stil. Wir haben auf andere Weise versucht, an diesem Thema vorbeizukommen.
Sehr viel mehr Gewicht haben in unserer Ausgabe der Bericht über das Medien-Tabuthema »Uranmunition« sowie die Arbeitsberichte zweier ausgezeichneter Rechercheure: der scharfsichtige Blick eines Undercover-Reporters hinter die Kulissen der rechtsextremen Rockszene und die atemberaubenden Dritte-Welt-Recherchen der Spiegel-Reporterin Michaela Schießl, die aufgedeckt hat, wer die wahren Nutznießer der Hungerhilfen sind.
Dass Ihnen diese Message-Berichte neue Aufschlüsse und viele Anregungen geben, dies wünscht sich
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