Verleger
Die Moralisten außer Dienst
Die größten deutschen Verlage sind ohne Ausnahme Familien-unternehmen. Der Gründergeneration der journalistischen Patriarchen folgten die kühlen Manager. Und wer kommt nun?
von Marc-christian Ollrog
Das hohe Lied erschallte bis zum Sommer. Solider, sozialer und viel nachhaltiger seien Familienunternehmen – schlechterdings das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Als sich dann die Wälzlagerbauer von Schaeffler an Conti heranschlichen und sich nun an der Übernahme fast verschlucken, staunten die Zuschauer nicht schlecht über unschöne und harsche Methoden, die an Finanzinvestoren erinnern.
Die Öffentlichkeit begriff peu à peu: Auch Familienunternehmen handeln kapitalistisch. Das ist an sich keine schlechte Nachricht, sondern durchaus beruhigend. Das bedeutet nämlich zunächst, dass Familienunternehmen noch zeitgemäß sind. Das wiederum macht zukunftsfest. Und wer es noch nicht ist, fährt gerade einen Spar- und Entlassungskurs.
Verfolgte und Exilanten
Wie nur wenige andere Branchen in Deutschland liegt das Verlagswesen fast vollständig in der Hand von Familienunternehmen. Von Bertelsmann bis Springer reicht die Reihe der familiengeführten Gesellschaften, auch wenn manche davon börsennotiert sind. Wie es dazu kam, erzählt einer, der es wissen muss: Verleger-Urgestein Dirk Ippen.
Als die alliierten Siegermächte das Zeitungsgeschäft nach dem Krieg neu ordneten, vergaben sie Lizenzen an Bürger ohne NS-Vergangenheit. »Die erste Generation, das waren Verfolgte, Exilanten – hervorragende Leute mit einer wirklich demokratischen Gesinnung«, sagt Ippen gegenüber Message. Journalisten mit Sendungsbewusstsein seien es gewesen, die aus der Not heraus auch Kaufleute wurden.
Kapitalistische Veranstaltungen
So wie Hans Kapfinger, der 1946 von den Amerikanern mit der Lizenz 16 die Passauer Neue Presse (PNP) gründete. Während der alte Kapfinger noch ganz Journalist war, steht sein Nachfolger, Schwiegersohn Axel Diekmann, für die zweite Verlegergeneration nach dem Krieg: Er ist Manager wie viele andere, die die Verlage weiterführten.
»Warum sollte der Sohn eines herausragenden Journalisten ebenfalls ein herausragender Journalist sein?«, fragt Diekmann im Gespräch. »Die Zeiten, als man einen Verlag mit einer guten Idee und einem Füllfederhalter aufmachen konnte, sind vorbei. Heutzutage sind Verlage eine kapitalistische Veranstaltung«, sagt Diekmann. »Wenn ich Journalist hätte werden wollen, hätte ich so etwas studiert.« Der zweifach promovierte Humanmediziner und Kieferchirurg hatte etwas anderes vor, als »selbstständiger Chefredakteur« zu sein wie Kapfinger.
Kranke Teile entfernt
Auf Wunsch seines Schwiegervaters stieg Diekmann 1984 bei der PNP als Stiftungsratsvorsitzender ein. Hans Kapfinger hatte ihn auf dem Totenbett schwören lassen: »Axel, versprich mir, dass du dich um die Neue Presse kümmerst.« Der tat, wie ihm geheißen, gab seine sieben Sprechzimmer große Arztpraxis auf und behandelte hinfort die Neue Presse.
Und die hatte es nötig. Die Gesellschafterverhältnisse zwischen Stiftung, Gesellschaftern und Beirat waren so verfahren, dass Entscheidungen kaum möglich waren. Diekmann bohrte verkrustete Strukturen auf, entfernte kranke Teile, zahlte einen Kapfinger-Sohn aus, implantierte stabile Mehrheitsverhältnisse und baute auf der Sperrwies vor der Stadt ein neues Verlagsgebäude unter optimaler Ausnutzung der steuerlichen Vorteile. »Niemand hat so sehr von der Zonenrandförderung profitiert wie wir«, sagt Diekmann.
Und die PNP wiederum profitierte von der Akribie und den Managementqualitäten Diekmanns, die ihr eine neue wirtschaftliche Basis schufen. Und die Leser? Die mussten auf die flammenden und nicht selten auch einseitig polarisierenden Leitartikel Kapfingers verzichten. »Das geht heute nicht mehr«, sagt Diekmann und plädiert für Ausgewogenheit. »Passau hat jetzt einen SPD-Oberbürgermeister.« Dirk Ippen hält dagegen: »Die Presse muss immer auf der Seite derer stehen, die nicht die großen Schuhe anhaben. Unpolitisch zu sein ist die vielleicht größte Gefahr für die Presse.«
Engagement im Osten
Ein paar Jahre nach dem Einstieg Diekmanns bei der PNP brach der Realsozialismus zusammen. Viele Verlage witterten ein gutes Geschäft. Die DDR-Blockzeitungen waren teuer, in Polen (Polska), Tschechien (Denik, Prager Tageszeitung, Glanc) und der Slowakei (Petit Press) konnte man mit wenig Einsatz etwas erreichen. Diekmann und sein damaliger Geschäftsführer Xaver Hirtreiter trauten sich.
Heute gehören die Passauer – wie auch die Rheinische Post und die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) – mit flächendeckender Präsenz in …
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