Wirtschaftskrise
Im Blindflug durch die Krise
Der Finanz-Crash traf viele deutsche Journalisten unvorbereitet. Sie hatten die Entwicklungen am vermeintlich fernen US-Kreditmarkt ignoriert. Und delegieren die Deutungshoheit nun an die Politik.
von Wolfgang Köhler
Die Finanzkrise erreichte Deutschland früher als andere Länder – aber keiner hat es gemerkt. Als Ende Juli 2007 die IKB Deutsche Industriebank AG am Abgrund stand, rieben sich nicht nur viele Zeitungsleser verduzt die Augen: »Subprime? Nie gehört.« Auch den meisten Wirtschaftsredakteuren ist es offenbar so ergangen.
Über die Immobilienblase, die in den USA die Grundstückspreise in schwindelnde Höhen getrieben hatte, haben die Journalisten zwar gelegentlich berichtet. Aber das Zentrum dieses Geschehens lag doch zu weit weg, um sie (und ihre Leser) wirklich aufzuregen. Die ersten Berichte der Wirtschaftspresse im Jahr 2006, dass aus der US-Immobilienblase die Luft entweichen würde, dürften viele Leser verfolgt haben wie Geschichten über Kälterekorde in Sibirien, die man zu Hause vor dem warmen Kamin liest.
Wucherzinsen und aufgeschwatzte Kredite
Deutsche Medienmacher und ihr Publikum waren auf das, was aus der Krise am amerikanischen Immobilienmarkt entstehen sollte, schlecht vorbereitet. Sie wussten nichts von der weiten Verbreitung von Verbraucherkrediten mit Wucherzinsen in den USA; sie wussten auch nichts davon, dass viele US-Banken ihren Kunden Hypothekenkredite regelrecht aufschwatzten.
Dabei hätte jeder die Worte des Ökonomie-Professors Edward E. Leamer von der University of California Los Angeles (UCLA) lesen können, mit denen er bereits 2005 im Time-Magazin (»Americas House Party«, 5. Juni 2005) zitiert wurde: »Jeder, der noch genug Kraft hat, um von der Straße in eines der Kreditbüros zu kriechen, bekommt auch einen Immobilienkredit.«
Vergebens sucht man wohl eine deutsche Zeitung, die im Vorfeld darüber berichtet hatte, dass John D. Hawke, als Rechnungsprüfer (Comptroller of the Currency) im US-Finanzministerium zuständig für die Aufsicht der Banken mit nationaler Lizenz, die ihm unterstellten Institute Anfang 2004 von allen Restriktionen durch Verbraucherschutzgesetze der Bundesstaaten freigestellt hat.
Damit hatte Hawke diesen Banken – und ausdrücklich auch ihren Tochtergesellschaften – einen Freibrief selbst noch für die merkwürdigsten Praktiken bei der Kreditvergabe ausgestellt.
Auch über die landesweite Empörung von Verbraucherschützern, bundesstaatlichen Justizministern und US-Senatoren über diesen Freibrief war wenig bis gar nichts in der deutschen Presse zu lesen. Auch darüber nicht, dass viele Hypothekengeber wegen ihrer merkwürdigen Vergabepraktiken immer wieder mit der Justiz in Konflikt gerieten und nach Vergleichsvereinbarungen selbst in bis zu hohen dreistelligen Millionen-Dollar-Rückzahlungen an übervorteilte Kreditkunden einwilligten.
Stattdessen wurde Household Finance, einer der ganz Großen unter den Subprime-Kreditgebern, der 2002 in einem Vergleich die Rekord-Rückzahlung an Kläger von 484 Millionen Dollar akzeptieren musste, in der Börsen-Zeitung als »Pionier des Kleinkredits« (15. November 2002) gefeiert.
Entwicklungen nicht zu Ende gedacht
Weil im Vorfeld der Krise über die sonderbaren Machenschaften am US-Kreditmarkt hierzulande kaum berichtet worden war, erfuhren auch Banker und Bankaufseher nichts davon – sie hätten schon die einschlägigen amerikanischen Blätter lesen müssen. Aber so konnten sie – und mussten vielleicht auch – davon ausgehen, dass am US-Kreditmarkt wie am heimischen alles mit rechten Dingen zugeht, und dass sie den amerikanischen Banken die strukturierten Kreditbündel ruhigen Gewissens abkaufen können.
Lässt sich daraus ein Vorwurf in Richtung Wirtschafts- und Finanzpresse konstruieren? Wohl niemand hat sich vorstellen können oder ausmalen wollen, was sich aus der Blase am US-Immobilienmarkt entwickeln würde. Offenbar war das Bewusstsein für die Konsequenzen der Globalisierung und der mit ihr wachsenden Interdependenzen unterentwickelt. Globalisierung bedeutet eben nicht nur mehr Exporte und eine Flut billiger Waren aus Niedriglohnländern. Globalisierung bedeutet auch, dass jemand in Lemgo seinen Job verlieren kann, weil in San Diego die Grundstückspreise fallen.
Die deutsche Wirtschafts- und Finanzpresse hätte genauer auf die Entwicklungen am riesigen US-Immobilienmarkt schauen und die Entwicklungen bis zu Ende denken können. Selbstkritische Vorlagen dafür waren in der amerikanischen Presse reichlich vorhanden.
Wohliges Gruseln
Im Rückspiegel betrachtet waren viele Berichte über die Beinahe-Pleite der IKB – und was danach noch kommen sollte – eher zum wohligen Gruseln des Publikums geeignet als zu dessen Aufklärung.
Nehmen wir als Beispiel die Welt, die stets mit hohem Anspruch und hohem Defizit in das Segment der meinungsführenden Presse einzudringen sich bemüht. Die Zeitung berichtete Anfang August über Fehlspekulationen und Missmanagement bei der IKB: »Die Risikomanager des Düsseldorfer Mittelstandsfinanzierers waren in eine der größten Fallen des Bankengeschäfts geraten. Die Bank hatte dem Fonds ›Rhineland Funding‹ eine Kreditlinie für den Notfall zugesichert, die dieser nun zu brauchen drohte, weil er selbst ins Straucheln geraten war. Diese Milliarden hätte sich die IKB jedoch im Fall der Fälle erst selbst leihen müssen. Dazu standen aber andere Banken nicht mehr bereit.« (3. August 2007).
Unfähige Manager also – das musste dem Leser fürs Erste reichen. Faktisch hat er nichts erfahren, weiß nun aber, was er von der Geschichte zu halten hat: Die da oben sind schuld. Zunehmend wurde über Macht und Gier räsonniert. Die einzigen Themen, die am deutschen Stammtisch wirklich angekommen sein dürften, waren wohl die Kommentare über gierige, überbezahlte Manager und die Geschichten über Zocker und Spekulanten.
Aus der Zeit (2. August 2007) erfuhr der Leser schon etwas mehr: »Schon seit Monaten ist in den USA der Markt für Immobilienkredite niedriger Bonität (Subprime) in der Krise. Viele Schuldner können die steigenden Zinsen für ihre Hausfinanzierung nicht mehr bezahlen (…) Da die Banken lange Zeit sehr großzügig waren bei der Kreditvergabe, hat dies in den vergangenen Monaten dutzende Institute in Probleme und einige Finanzmarktakteure in eine tiefe Krise gestürzt.«
Krise im fernen Raum verortet
Fortan machte der Begriff »Subprime« Karriere. Dazu konnte man in der FAZ (3. August 2007) lesen: »In Amerika …
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