Forshung
Vertrauen in »eine gute Sache«
Eine Studie zeigt: Unicef nutzt das in sie gesetzte Vertrauen, um Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen. Journalisten vergessen jegliche Distanz und setzen so ihre Unabhängigkeit aufs Spiel.
von Ellen Reglitz
Auch bei der vermeintlichen Musterorganisation Unicef lohnt es sich bisweilen nachzuhaken. Das Saubermann-Image des Kinderhilfswerks bröckelte heftig angesichts der Verschwendungsvorwürfe gegen das deutsche Komitee der Organisation. Vor dem Skandal, Anfang Dezember 2007, war dies undenkbar.
Eine Studie am Journalistik-Lehrstuhl von Professor Michael Haller an der Universität Leipzig zeigt, wie sich Journalisten bereitwillig für »die gute Sache« einspannen ließen. Am konkreten Beispiel der Unicef- und Aktion-Tagwerk-Kampagne »Dein Tag für Afrika 2007« wurde deutlich, wie das große Vertrauen in die Organisation die journalistische Sorgfalt aushebelte.
Bundesweit gingen für die Aktion 180.000 Schüler von 817 Schulen einen Tag lang arbeiten und spendeten ihren Verdienst für Hilfsprojekte in Afrika: insgesamt 1,5 Millionen Euro. Eine beeindruckende Bilanz, zu der sicher auch die Medien ihren Teil beitrugen.
»K-Kontinent« Afrika
Ausgangspunkt der Untersuchung war die seit Jahren bemängelte Afrikaberichterstattung deutscher Medien. Kern der Kritik: Afrika wird fast ausschließlich als »K-Kontinent« dargestellt – abseits von Kriegen, Krisen, Krankheiten und Katastrophen thematisieren Journalisten diesen Teil der Erde nur selten.
Welche Gründe gibt es dafür? Bisherige Forschungsarbeiten konzentrierten sich vor allem auf das Feld journalistischer Arbeitsbedingungen: In dünn besetzten Redaktionen bleibt keine Zeit für hintergründige Recherchen, schon gar nicht zu uns fernen Problemlagen.
Dabei geriet außer Acht, dass die Ursachen für das kritisierte Afrika-Bild auch außerhalb des Journalismus liegen könnten.
Welchen Einfluss etwa hat die PR von Hilfsorganisationen? Sie wollen etwas Gutes tun. Damit die dafür nötigen Spenden zusammenkommen, kann ein möglichst krisenhaftes Bild Afrikas nicht schaden. Um die Hilfsbedürftigkeit entsprechend zu vermitteln, betreiben Spendenorganisationen Öffentlichkeitsarbeit.
Dank der hohen Glaubwürdigkeit und des positiven Images von Hilfsorganisationen fällt es Journalisten oft schwer, deren PR-Botschaften distanziert zu betrachten oder gar kritisch zu hinterfragen. Heiligt der Zweck die Mittel? Oder sollten sich Journalisten nicht auch hier an das berühmte Zitat des früheren Tagesthemen-Moderators Hanns-Joachim Friedrichs halten, der sagte: »Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache«?
Naive Erfüllungsgehilfen
Oft werden ökonomische Zwänge für die Abhängigkeit des Journalismus von Informationsleistungen der Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich gemacht. Je weniger Zeit für Recherchen bleibt, desto mehr sind Redaktionen auf die »Zuarbeit« der Pressestellen angewiesen, heißt es.
Geht es dabei auch noch um die gute Sache, laufen Journalisten schnell Gefahr, zu naiven Erfüllungsgehilfen zu werden. Denn häufig fehlt das Bewusstsein dafür, dass auch die »gute PR« von Hilfsorganisationen ein Eigeninteresse verfolgt: Das Eintreiben möglichst hoher Spendensummen. Unicef-Sprecher Rudi Tarneden bekannte im Magazin WirtschaftsWoche (14.12.2000): »Wir arbeiten inzwischen so professionell wie die Direktmailer beim Otto-Versand.«
Welches Ziel dahinter steckt, erklärte der Leiter des Instituts Stiftung und Gemeinwohl an der Privatuniversität Witten-Herdecke, Klaus Neuhoff, gegenüber der Zeitschrift Absatzwirtschaft (1.10.2003): »Es geht darum, Ideen an Interessenten zu verkaufen, die dafür keinen realen Gegenwert bekommen, aber ein gutes Gefühl haben wollen. (…) Es geht darum, dem Spender das gute Gefühl zu vermitteln, dass er ein Samariter ist, etwas für die Zukunft tut oder die Dynamik der Gesellschaft weiterbringt.«
Die Ergebnisse der Leipziger Studie zeigen, dass es im Fall der Kampagne »Dein Tag für Afrika 2007« für die Interessen der PR auf Seiten der Journalisten kein Bewusstsein gab. Im Gegenteil: Die Redaktionen ließen sich bereitwillig einspannen. Verwerflich erschien das den Betroffenen nicht, schließlich ging es ja um die »gute Sache«. Dass die Arbeit von Hilfsorganisationen in Entwicklungsländern zumindest nicht unumstritten ist, wurde oft ausgeklammert.
Keine kritischen Töne
Eine Inhaltsanalyse der journalistischen Berichterstattung über die Kampagne belegte, dass insgesamt 33 Prozent der Artikel direkt auf eine Pressemeldung zurückging. Wertungen aus dem Pressematerial fanden sich in knapp vierzig Prozent wieder. Entsprechend zufrieden waren die Veranstalter Unicef und Aktion Tagwerk. Aus ihrer Sicht war das Ziel der PR, »Themen bestmöglich zu verkaufen« erreicht.
Die Journalisten übernahmen nicht nur bereitwillig die PR-Angebote, sie wurden zudem selbst kaum aktiv. Basierte ein Artikel auf einer Pressemitteilung, so wurden nur wenige sprachliche Veränderungen vorgenommen. Auch den Textaufbau behielten die Journalisten zumeist bei.
Zudem fand eine journalistische Eigenbewertung der Aktion kaum statt. Sowohl in den Pressemitteilungen als auch in der gesamten Berichterstattung fanden sich vorwiegend positive Bewertungen. Die Aktion wurde gelobt und Mitleid für die Kinder in Afrika erregt. Nachfragen, wohin die Spendengelder genau gehen, gab es nicht.
Berichterstattung im Sinne der PR
Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Pressematerial kann angesichts der Studienergebnisse ausgeschlossen werden. Journalistische Distanz konnte so kaum eingehalten werden. In rund der Hälfte der Artikel gab es zwar Hinweise auf Recherchen. Diese konzentrierten sich jedoch vornehmlich auf die Vorstellung der Schüleraktionen. »Das fanden wir auch gut so«, räumte Unicef-Mitarbeiterin Andrea Floß im Interview ein. Die Berichterstattung lief also ganz im Sinne der Öffentlichkeitsarbeit.
Die PR-Profis versuchten gezielt, die Berichterstattung …
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