Ostdeutschland
Keine blühende Presse-Landschaft
Spiegel, Süddeutsche oder Frankfurter AllgemeineZeitung finden in Ostdeutschland kaum Leser. Seit zwanzig Jahrenscheitert die überregionale (West)Presse im Osten. Warum? EinInterview mit dem Medienwissenschaftler Hans-Jörg Stiehler.
Message: Seit 20 Jahren scheitern die überregionalen Printmedien inOstdeutschland, ihre Reichweite ist dort sehr gering. Die FAZ oder auchdie ZEIT haben nur rund 10.000 Abonnenten in den neuenBundesländern. Warum?
Stiehler: Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächstin die Jahre 1989/90 zurückgehen. Die DDR war ein sehr kleinesLand. Dennoch gab es quantitativ gesehen eine sehr hohe Pressedichte.80 bis 90 Prozent der Haushalte hatten Tageszeitungen abonniert, vielesogar mehr als eine Zeitung und Zeitschrift im Briefkasten. Es gab einesehr breite und preiswerte Palette an Angeboten von der regionalenTageszeitung über Jugend- und Kinderzeitungen bis hin zuIllustrierten und überregionalen Wochenzeitungen. Die Inhaltewaren auch nicht unsinnig. Selbst aus dem SED-Zentralorgan NeuesDeutschland konnte man als kritischer Geist herauslesen, was die daoben im Staatsapparat so dachten.
Was hat das alles mit der heutigen Situation zu tun? Die Kulturdes Zwischen-den-Zeilen-Lesens fand 1989 ebenso schnell ein Ende wiedas Neue Deutschland seine Stellung als Leitmedium verlor.
Stiehler: Viel. Denn die nun folgende Umbruchzeit war grundlegend: Dasgroße Andersherum vollzog sich besonders in den Medien enormschnell. In den Redaktionen wurde plötzlich viel mehr überden Rezipienten nachgedacht und nicht mehr über die AbteilungAgitation und Propaganda (Agitprop) beim Zentralkomitee der SED. Bisdahin war die Agitprop der oberste Gralshüter der in der DDRveröffentlichten Meinung. 1990 wurden viele Chefredaktionen abserviert; Zeitungstitel neubenannt; neue, jüngere Redakteure kamen in die Redaktionen. DieZeitungen waren im April 1990 bereits ganz andere als im Oktober 1989.
In diesen Monaten erweiterte sich auch das Presse-Angebot rasant …
Stiehler: Der ostdeutsche Markt wurde von Angebotenaus Westdeutschland geradezu überschwemmt. Da gab esplötzlich alles – vonder Bildzeitung über die Süddeutsche bis hin zu Spiegel oderBrigitte und dazu noch all die bunten Blättchen. Danebenversuchten sich auch einige Optimisten an Zeitungsneugründungen imOsten. Teilweise aus den Bürgerbewegungen heraus entstanden auchoriginär ostdeutsche Titel, zum Beispiel der telegraph in Berlin,Die Leipziger Andere Zeitung (DAZ) oder das Informationsblatt des NeuenForums. Über die Bürgerbewegungenallein hätte damals wohl niemand eine neue Tageszeitung oder garüberregionale Zeitung stemmen können. Dazu fehlten das Geldund sicher auch das verlegerische und journalistische Know-how.… und wahrscheinlich auch das Massenpublikum. Die eherlinksdemokratischen Vorstellungen der Bürgerbewegten waren nachwenigen Monaten nicht mehr massenattraktiv.
Stiehler: Da ist was dran.Die Geschichte der DAZ bestätigt das. Im Oktober 1989 verteiltenLeute vom Leipziger Neuen Forum ihre Flugblätter auf denMontagsdemos nochillegal. Der Bedarf und die Neugier der Demonstranten waren riesig.Sofort nach dem Mauerfall im November gründeten die Schreiberdeshalb die erste unabhängige DDR-Zeitung, die DAZ – ohneTelefon, ohne westdeutschen Partnerverlag, ohne journalistischeErfahrungen.
Die DAZ verkaufte zunächst die spektakuläre Auflage von40.000. Stasi-Enthüllungen, Umwelt, Subkultur, Rathausskandale,Wendeverlierer, die Perspektive des »kleinen Mannes«. DieseThemenmischung mag den braven Bürger .…
Die Fragen stellte Lutz Mükke
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