Recherche
Milliarden im Halbschatten

Derzeit wird über die EU-Agrarsubventionen derkommenden Jahre verhandelt. Bisher wurde darüber informiert, werHilfen erhalten hat. Doch gerade jetzt wird die Transparenzeingeschränkt.

von Brigitte Alfter

Ein altes Fabrikgebäude in Brüssel: 20 Journalisten undProgrammierer aus verschiedenen EU-Ländern beugen sich überPapierstapel und aufgeklappte Computer, sie sprechen mitgedämpfter Stimme, zur Kaffeekanne gehen sie mit leisen Schritten.Die Räumlichkeiten sind karg, die Verpflegung besteht neben Kaffeeaus Stapeln trockener Sandwiches. Konzentration und Neugierprägten die Atmosphäre.

Es sind die ersten Maitage des Jahres 2010. Fast alle 27 EU-Regierungenhaben gerade pünktlich zum Stichtag – dem 30. April –die neuesten Listen der Empfänger von Agrarsub­ven­tionenveröffentlicht. Es ist ein Wust aus Tabel­len undZah­len­kolonnen, die einige hochinteressante Geschichtenverstecken. Ihnen sind die Journalisten, einige davon ausgewieseneExperten auf dem Gebiet des Computer Assisted Reporting (CAR), mitUnterstützung der Programmierer auf der Spur.

Tote und Minderjährige werden gefördert

Es ist ein Low-Budget-Vorhaben: Kosten wie die der Anreisebeziehungsweise Versorgung der Rechercheure werden mit Stiftungsgeldernfinanziert. Die Beträge, um die die gemeinsamen Recherchenkreisen, sind aber alles andere als Peanuts: Es geht um hunderttausendeEuro.

Ein bulgarischer Journalist steht auf. Er hat einen interessanten Fallaufgespürt: »Schaut mal«, sagt Stanimir Vaglenov, undblickt gebannt auf seinen Bildschirm. Er hat gerade herausgefunden,dass die 27-jährige Tochter des ehemaligen früherenstellvertretenden Landwirtschaftsministers seines Landes in einem Jahrwährend der Amtszeit des Vaters über 700.000 Euro anAgrarsubventionen bezogen hat. Eine Woche später kann Vaglenovnachlegen: Auch die Gattin des Ministers hat hunderttausende EuroSubventionen erhalten, versteckt in Einzelbeträgen an vieleUnternehmen ihres Firmennetzwerks.

Die schwedische Journalistin Helena Bengtsson gleicht dieSubventionsempfänger mit dem schwedischen Personenregister ab. Undsiehe da: Mehrere verstorbene Schweden sowie ein 14-Jährigerbezogen anscheinend Agrarsubventionen. Der dänischeLandwirtschaftsminister bekommt selbst große Summen. Wird erunbefangen sein, wenn er mit den anderen EU-Ministern über diezukünftige Förderpolitik entscheidet?

Zahlen mit Sprengkraft

In Deutschland fließen Landwirtschaftssubventio­nen selbst indie Energie- und Waffenindustrie. Das ist zwar vollkommen rechtens,doch ist es interessant zu wissen, wo Steuergelder überallhingehen. Bayern ist das deutsche Bundesland mit den höchstenZuschüssen. Was bedeutet es nun aber für die Verhandlungenüber die Zukunft der Fördergelder, dass die fürDeutschland verhandelnde Bundesministerin für Ernährung,Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ilse Aigner (CSU) aus Bayernkommt, sie also besonders ihre bayrischen Wähler im Hinterkopf hat?

Themenkomplexe wie die EU-Agrar­sub­ventionierung eignen sichbesonders für internationale Rechercheprojekte: Denn Gelder,Richtlinien und Zustände sind eine gemeinsame, europäischeAngelegenheit. Die jeweiligen Geschichten müssen jedoch mitKenntnis der lokalen Gegebenheiten im jeweiligen Land recherchiert unddie Daten entsprechend analysiert werden. Überall gibt es viel zuentdecken. Auch in Großbritannien.

Die Briten waren das einzige EU-Mitglied, das der EU-Pflicht zurVeröffentlichung seiner Agrarsubventionen 2010 nicht nachkam. Kurzvor der Parlamentswahl Anfang Mai hatten die britischen Behördensich entschlossen, mit der Veröffentlichung zu warten. Siebefürchteten, die Informationen würden im Wahlkampf genutzt.Die Angst vor den europaweit zum gleichen Zeitpunktveröffentlichten Daten scheint groß zu sein.

Gemeinsame Öffentlichkeit

Immerhin geht es um einen der größten Haushalts­postender Europäischen Union. Für die mehr als 55 Milliarden Eurokönnte …

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