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Die Story hinter den Zahlen
Von Rohdaten und Statistiken zur exklusiven Geschichte mit interaktiver Infografik: Die nächste nr-Fachkonferenz soll Interessierten den Einstieg in den Datenjournalismus erleichtern.
von Christina Elmer
Eigentlich kann die Formel nur aufgehen: Faktenbasierte Recherchen, exklusive Geschichten und digitales Storytelling. Es ist gerade die Verknüpfung journalistischer Ansprüche und neuer Möglichkeiten, die den Datenjournalismus so spannend macht. Denn wenn Journalisten Datenbanken am Computer auswerten und ihre Ergebnisse in interaktiven Infografiken präsentieren, bedient das nicht nur unsere Faszination für neue Technologien; vielmehr stärkt guter Datenjournalismus die journalistische Unabhängigkeit und ermöglicht besonders fundierte Storys, die sich abheben vom Mainstream: wie Parteispenden verschleiert werden, was Facebook über uns weiß oder wie weit die Vorratsdatenspeicherung reicht.
Trend mit Anlaufschwierigkeiten
Kein Wunder also, dass Datenjournalismus zurzeit dermaßen präsent ist: in Fachmagazinen, auf Konferenzen, in Ausbildungsplänen und bei Preisverleihungen. Trotzdem gehören Datenjournalisten noch immer zu den Exoten der deutschen Medienlandschaft. Meist treten sie als Spezialisten in Erscheinung, die für einzelne Projekte eingekauft werden und für Leuchttürme sorgen sollen. Integriert ist die Datenrecherche nur in ganz wenigen Redaktionen.
Dass sich diese Arbeitsweise nicht schneller verbreitet, liegt sowohl an der Mentalität der Journalisten als auch an der Datenkultur in Deutschland. Für viele Kollegen passen Zahlen und Journalismus einfach nicht zusammen. Sie vermeiden es tunlichst, mit Statistiken zu arbeiten, in ihren Texten räumen sie Zahlen nur ungern Platz ein. »Wenn ich Mathe gekonnt hätte, dann wäre ich doch nicht Journalist geworden«, meinte einmal eine Seminarteilnehmerin. Vielen Kollegen fehlen schlicht der Zugang zu Daten und die Ausbildung, um sicher und kreativ mit ihnen umzugehen. Deshalb bleiben Statistiken für sie zwangsläufig leblos, dröge und unhandlich. Sich selbst definieren Journalisten gerne als Schreiberlinge – und halten Datenjournalisten nicht selten für sonderbare Freaks.
Zudem ist der Einstieg alles andere als einfach. Wer sich als Datenjournalist versucht, muss einen langen Atem haben und nicht nur neue Techniken und Werkzeuge lernen, sondern auch eine neue Herangehensweise an journalistische Geschichten. Wo die Recherche hingeht, wird oftmals erst klar, wenn die Datengrundlage bereinigt, Kerngrößen berechnet und weitere Datensätze hinzugezogen sind. Vielleicht zeigt sich an diesem Punkt aber auch, dass die Grundlage zu wenig hergibt und das Thema gestorben ist. Dermaßen ergebnisoffen kann nur arbeiten, wer seine zeitlichen und technischen Ressourcen flexibel einsetzen kann. Dafür fehlt vielen freien Journalisten die Absicherung. In Redaktionen lässt sich diese Arbeitsweise darüber hinaus nur schwer integrieren.
Mangelhafte Behördendaten-Kultur
Nachholbedarf besteht auch bei der hiesigen Datenkultur, die das Recherchieren in Statistiken tendenziell erschwert. Zwar gibt es Informationsfreiheitsgesetze (IFG) für die Bundesbehörden und einige Landesbehörden. Aber das System ist uneinheitlich, lückenhaft und noch relativ jung. Seit 2006 gilt das IFG des Bundes – ein junges Gewächs, verglichen mit entsprechenden Regelungen in anderen Ländern. In den USA, dem Vorzeigebeispiel für eine offene Datenkultur, haben entsprechende Gesetze seit mehr als vier Jahrzehnten das öffentliche Bewusstsein geformt. Dass Behördendaten prinzipiell zugänglich sein sollten, ist Bürgern, Journalisten und auch Behörden dort sehr viel stärker bewusst als hier in Deutschland.
Leider verstärken sich die beschriebenen Probleme zusätzlich gegenseitig: Wenn Behörden ihre Daten unter Verschluss halten, erschweren sie die Arbeit von Datenjournalisten und demotivieren jene, die erste Erfahrungen in der Datenrecherche sammeln wollen. Und wenn Journalisten nicht offensiv nach Daten fragen und ihre Veröffentlichung einfordern, setzen sie ein falsches Signal.
Workshops, Training und Projekte
Auf der nr-Fachkonferenz »Daten, Recherchen, Geschichten« stehen datenjournalistische Techniken und Werkzeuge im Fokus. In Workshops lernen die Teilnehmer, wie sie Daten beschaffen, sinnvoll auswerten und aussagekräftig visualisieren können. Einzelne Werkzeuge wie Google Fusion Tables und Excel werden ebenso vorgestellt wie Strategien für die Recherche und Analyse von Daten. Zudem zeigen Experten, wie sich datenjournalistische Ergebnisse für verschiedene Medienkanäle aufbereiten lassen – etwa als interaktive Karte, mehrstufiges Flächendiagramm oder animierter Zeitverlauf. Dazu gehört online in der Regel auch die Veröffentlichung der zugrundeliegenden Rohdaten.
Neben Vorträgen und Workshops wird die Konferenz den Teilnehmern die Möglichkeit geben, Techniken vor Ort mit Hilfestellungen erfahrener Trainer zu vertiefen. Dafür wird ein offenes Forum bereitstehen, das von Experten unterschiedlicher Schwerpunkte betreut wird. Teilnehmer können dort neue Werkzeuge ausprobieren, eigene Projekte voranbringen oder Teams für komplexe Fragestellungen bilden. Damit soll die Konferenz zu einem Nährboden für Netzwerke werden, in denen sich angehende wie gestandene Datenjournalisten austauschen und Ideen gemeinsam realisieren können.
Viel Fleiß, viel Ehr’
Wie aus Rohdaten Vorzeigeprojekte werden, zeigt die Fachtagung anhand prominenter Beispiele – von der Idee bis zum fertigen Produkt. Im Erzählcafé berichten Datenjournalisten von erfolgreichen Recherchen und zeigen, welche Bandbreite an Impulsen, Konstellationen und Stolpersteinen bei datenbasierten Geschichten möglich ist. Sie sollen einen realistischen Eindruck geben, wie viel Zeit und Aufwand in solche Projekte investiert werden muss. Und sie sollen die Teilnehmer motivieren, trotzdem in Daten nach Geschichten zu graben – unabhängig, ergebnisoffen und mit der Chance auf großartige Visualisierungen.
Die nr-Fachkonferenz »Daten, Recherchen, Geschichten« wird an einem Wochenende im Frühjahr 2012 bei Gruner + Jahr in Hamburg stattfinden.
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