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Mit Weitsicht
Namhafte Publizisten erzählen in Message von ihren Vorbildern. Diesmal erinnert sich Peter Scholl-Latour, Urgestein des deutschen Journalismus, an seine Anfänge an der Seite des damaligen französischen Präsidenten Charles de Gaulle.
Mein Antrieb, Journalist zu werden, war der Wunsch, möglichst viel zu reisen – die Welt zu sehen und Menschen zu treffen. Karl Mays Beschreibungen von entfernten Ländern regten als Kind meine Fantasie an und ließen mich von Abenteuern träumen. Obwohl er selbst nie dort gewesen ist, sind beispielsweise seine Beschreibungen des Orients erstaunlich treffend. Karl May gehörte aber nie zu meinen Lieblingsautoren, geschweige denn zu meinen Vorbildern.
Vorbilder habe ich nämlich keine – sehr wohl aber Menschen, die ich schätze. Einer dieser Menschen ist Charles de Gaulle. Er war ein Mensch, der große und natürliche Würde ausstrahlte. Ich begleitete ihn als junger Journalist auf Reisen und erlebte ihn im Umgang mit Menschen. Was mich an ihm so sehr beeindruckte, waren sein politischer Mut, Entscheidungen zu treffen und seine Belesenheit. Er hatte Tugenden und Fähigkeiten, die vielen Journalisten gut zu Gesicht stehen würden.
Zwei Abschnitte aus seinem Leben, die ich nicht in unmittelbarer Nähe erlebt habe, sind mir in Erinnerung geblieben. Beispielhaft für seinen Mut war die Zeit, als sein Land von den Deutschen besetzt war. Trotzdem leitete er in dieser verzweifelten Situation Widerstand und rüttelte seine Mitbürger mit deutlichen Reden auf. Dazu gehört Rückgrat.
Beeindruckt hat mich aber auch eine spätere Episode seines Werdegangs. Zu Beginn seiner Zeit als Präsident hatte er eine schwierige politische Lage zu bewältigen. Der Algerienkrieg engte seinen Spielraum stark ein; der Widerstand gegen die französischen Armee in dem nordafrikanischen Land, das damals noch offiziell zur Republik gehörte, war groß.
Im Januar 1960 drohte schließlich die Niederlage. Heftige Aufstände erschütterten das nordafrikanische Land. Die Moral der französischen Armee war am Boden, und das, obwohl sie eigentlich bereits die entscheidende Schlacht gewonnen hatten. De Gaulle musste nun die Aufstände klar verurteilen und einen Weg finden, die französische Armee ein letztes Mal zu motivieren. Diese Radio- und Fernsehansprache war eine seiner besten Reden – durch sie verhinderte er, dass sich die Franzosen letztendlich in den Aufständen endgültig aufrieben.
Aber nicht nur das: Er hatte später die politische Weitsicht, den Algerienkrieg zu beenden. Das war angesichts der Ereignisse der vorangegangenen acht Jahre kein leichter Schritt, aber der einzige, der Frankreich aus der Starre holen konnte. Diese Entscheidung in ihrer historischen Dimension zu erkennen und zu treffen, erfordert ein ungeheures Maß an Weitsicht.
Ich habe mir keine Vorbilder oder Lehrmeister gesucht. Anfangs hatte ich nur meinen Traum, die Welt zu bereisen. Diesen Weg bin ich letztendlich gegangen und habe dabei einige wenige Menschen getroffen, deren Leistungen ich respektiere – und dazu gehört auch Charles de Gaulle.
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