Elitejournalismus
Die da oben

Freie und festangestellte Journalisten waren und sind sich nicht immer grün. Doch das Verhältnis zueinander ändert sich. Denn: Grün vor Neid muss niemand mehr werden. Die Zeiten sind vorbei.

von Silke Burmester

In die Sammlung von Zitaten und Themen, die ich eventuell für meine taz-Medienkolumne verwenden möchte, ist neulich die Meldung gerutscht, der Journalist Frank Überall fordere seine Kollegen auf, die von ihnen in Anspruch genommenen Presserabatte zu veröffentlichen.

Wenn ich so etwas lese, gleiche ich ab: Was würde ich angeben? Ich sehe, der Kollege nennt seinen Mobilfunkvertrag. Was müsste ich nennen? Die Bahn und die Museen. Die Bahn hat die Vergünstigung zurückgenommen, das hat sich also erledigt und zu den Museen stehe ich. Seiner kleinen, bescheidenen Angabe nach scheint der Kollege ein integeres Kerlchen zu sein, er schreibt im Schwerpunkt über Politik und Korruption und fordert, Presserabatte öffentlich zu machen. Frank Überall ist mir ziemlich egal.

Beziehungsweise, er war mir egal. Bis ich bei der Recherche zum Thema »Neid unter Journalisten« auf einen Artikel stieß, in dem er sagt, er verdiene monatlich bis zu 8.000 Euro brutto. Achttausend! Als Freier! Freie Journalisten haben durchschnittlich ein Monatseinkommen von rund 2.100 Euro brutto. Ich liege deutlich darüber, bin aber von 8.000 so weit entfernt wie Hamburg von Italien. Augenblicklich frage ich mich, wie er das macht und sehe so einen von diesen Checkertypen vor mir, die mit allen (Männern) gut können und mal so eben hier und da ihre Artikel unterbringen. Weil man sich kennt, weil man sich schätzt, weil man dieselbe Sprache spricht. Frank Überall – dem ich in diesem Moment wahrscheinlich Unrecht tu, weil er sicherlich total nett ist und der dennoch als Beispiel herhalten muss (bei 8.000 Euro aber sollte das drin sein) – wird mir augenblicklich unsympathisch. Ich finde ihn instinktiv blöd. Wahrscheinlich trägt er eine Lederjacke.

Meine Reaktion ist kindisch und naiv. Aber sie ist das beste Beispiel für Neid. Für Neid unter Journalisten. Denn so einfach ist es: Ich bin neidisch auf Frank Überall. Weil ich auch 8.000 Euro verdienen will? Nein, das muss nicht sein, das, was ich habe, reicht. Aber ich bin neidisch darauf, dass er es kann. Ist er so viel toller als ich? Wieso? Womit? Warum?

Kopfüber über den Grill

In der Regel entzündet sich die Neid-Debatte bei der Betrachtung der Arbeitssituation von Lokaljournalisten gegenüber denen der prestigeträchtigen Häuser wie Spiegel, Süddeutsche Zeitung und FAZ. Und bei Betrachtung der Einkommenslage von festangestellten und freien Journalisten. Wobei man das heute dahin gehend korrigieren muss zu sagen, zwischen denen, die alte Verträge haben und denen, die zu neueren Konditionen arbeiten.

Um es kurz zu machen, Lokaljournalisten müssen meist im Gartenteich fischen, diejenigen der großen Häuser können Treibnetze ins Meer hängen. Und, zweiter Punkt: Früher wurde bombig bezahlt. Da konnte man selbst bei mittelmäßigem journalistischen Vermögen ein monetäres anhäufen. Als Freier und als Festangestellter. Da wurde Pauschalisten eine mehrere Tausend Mark umfassende Pauschale überwiesen dafür, dass sie ein Stück pro Monat schickten. Wenn es ihnen denn gut ging. Waren die Kopfschmerzen arg, konnte so ein Text schon mal ausfallen. Und ja, auch heute noch gibt es Kollegen, die man kopfüber über den Grill hängen möchte. Diejenigen, die seit Ewigkeiten etwa beim Spiegel arbeiten, zwölf- bis fünfzehnftausend Euro im Monat bekommen und am Ende des Jahres obendrauf die Gewinnausschüttung. Und schon gar nicht mehr wissen, wo sie sich noch ein Ferienhaus kaufen sollen. Das sind zum Teil auch diejenigen, die die tollen Fische fangen. Und auch, wenn etwa beim Spiegel das Einstiegsgehalt heute eher mickrig ist, sind doch die Bedingungen, unter denen die Kollegen vom ersten Tag an dort arbeiten, der Apparat, den sie hinter sich wissen, mit seiner Macht, seinem Geld und nicht zuletzt dem Service der Dokumentation, der Kantine und dem Sportangebot zum Neidischwerden. Mal abgesehen von der Bedeutung der Geschichten, an denen die Kollegen im Gegensatz zu vielen Lokaljournalisten arbeiten können.

Kreativität ist Schnickschnack von gestern

Doch die Neidkluft zwischen festangestellten und freien JournalistInnen hat sich in den letzten Jahren unter den veränderten strukturellen Entwicklungen verringert. Nicht nur, weil Festverträge, die heute geschlossen werden, ein Witz gegenüber denen vor zehn Jahren sind, sondern auch, weil die Arbeitsbedingungen sich so verändert haben, dass keine Seite neidvoll auf die andere zu schauen braucht.

Beginnen wir mit den Festangestellten. Bis zum Einbruch der ersten Medienkrise galt die Festanstellung als das Nonplusultra. Doch nach dem Einbruch des Werbemarktes in Folge des 11. September 2001 und der ersten Wirtschaftskrise im neuen Jahrtausend ließen die Verleger Wirtschaftsberater in ihr Haus, die üblicherweise Marmeladenfirmen und Autozulieferer analysieren. Das Ergebnis hieß: dass es zu viele Journalisten im Betrieb gäbe, und die, die nicht rausgeworfen werden müssten, effizienter arbeiten könnten. Und dass diese die anfallenden Recherchereisen selbst organisieren könnten und auch den Rest der Sekretariatsarbeit übernehmen sollten. Auch kam man zu dem Schluss, dass ein Großraumbüro es auch täte und Konferenzen überflüssig seien. Und natürlich, dass die Freien für weniger Geld arbeiten sollen und wenn sie schon mal vor Ort sind, doch auch gleich die Fotos liefern könnten, wobei der Spesensatz zu reduzieren sei.

Dass dieses neue Verständnis von journalistischer Arbeit nicht nur bei den kleinen Postillen gilt, sondern auch für die Häuser, die ins Neidraster fallen, mag ein Trost für den Einzelnen sein, wird aber zum Problem für den Journalismus. Mit der zweiten Krise 2008/09 flogen dann noch mal all jene raus, deren Produktivität laut BWL-Analysten nicht ausreichend war, und seither sitzt der festangestellte Journalist vielerorts auf einem abgenagten Knochen und versucht, sein Blatt irgendwie zu füllen. Wir Freien haben es daher häufig mit überarbeiteten Redakteuren zu tun, die selbst quasi gar nicht mehr vor die Tür kommen. Ihre Arbeit ist das Bestellen und Abnehmen von Texten. Ist der Text schlecht, bleibt er so, fürs Umschreiben ist keine Zeit mehr vorgesehen. Inspiration? Ideen? Schön schreiben? Das ist Schnickschnack von gestern, der heutige Redakteur muss produzieren. Dazu gehört, den Freien Honorare zu nennen, für die sie selbst nicht losfahren würden. Bildredakteure trauen sich zum Teil schon gar nicht mehr, gute Fotografen anzurufen, weil das, was sie zu bieten haben, schlicht würdelos ist. 220 Euro Tagessatz ohne Reisekostenerstattung, es wird nur ein Tag bezahlt, es sollen aber Fotos für vier Magazinseiten geliefert werden. Da nimmt man doch lieber Anfänger, die machen es für das Geld. Scheiß doch auf die Qualität des Blattes, aus irgend einem Grund finden sich immer noch Doofe, die dafür zahlen. Lustig auch: Wer fürs Lufthansa-Magazin zum Termin fliegen soll, der möge doch bitte bei Air-Berlin buchen.

Festanstellung ist kein Vergnügen

Nein, nein, nein, in diesen Tagen festangestellt zu sein, ist wahrlich kein Vergnügen. Einzig, dass man weiß, dass mit Sicherheit am Monatsende das Geld kommt, mag noch ein Anreiz sein und beim Freien den Neid schüren. Alles andere, die Eitelkeit, das Bewusstsein oder vielleicht auch der Stolz, für ein tolles Blatt, einen renommierten Sender zu arbeiten, kann der oder die Freie auch erleben. Und mehr noch: Man muss sich nicht nur darüber freuen, für ein renommiertes Presseorgan tätig zu sein. Wenn man gut ist, sind es vielleicht sogar mehrere.

Für die Journalisten aus den kleinen Verlagen genauso wie für die Freien gilt: Die Auszeichnungen und Preise gehen meist an Festangestellte der gro­ßen Häuser. Was zum einen daran liegt, dass sich im Kleinen vermeintlich weniger relevante Geschichten finden lassen und zum anderen daran, dass Freie es sich bei den Honorarsätzen der Zeitungen, auch der bedeutenden wie SZ, FAZ und Zeit, schlicht nicht leisten können, wochenlang an einer Geschichte zu arbeiten. Dass es immer dieselben sind, die die Auszeichnungen bekommen, mag diejenigen, die mit neidischem Blick gen Spiegel oder SZ blicken, trösten. Denn es macht deutlich: Festanstellung ist kein Garant dafür, privilegiert arbeiten zu können.

Und die Situation der Freien? Bis vor ein paar Jahren war die Haltung verbreitet: Wer mit 40 Jahren noch frei arbeitet, habe es nicht geschafft. Die Haltung, Freie als Gescheiterte zu verdammen, ist durch den strukturellen Wandel der Branche so gut wie verschwunden. Viele, die heute frei sind, waren ihr Leben lang festangestellt und wurden entlassen. Was soll jemand, dessen gesamtes berufliches Leben auf Journalismus ausgerichtet war, denn tun? Nicht jeder hat Lust, ein Café zu eröffnen.

Die Situation von uns Freien mit all ihren Honorareinbußen, den Budgetkürzungen und verschlechterten Produktionsbedingungen, der geschrumpfte Bedarf an Texten und Fotos bedroht die Existenz vieler von uns und ist alles andere als zum Neidischwerden. Und dennoch hört man gerade in der letzten Zeit häufiger von Festen, dass sie uns beneiden. Meist, weil wir uns so wenig mit diesem internen Schwachsinn abplagen müssen, der in den Redaktionen vor sich geht. Mit den absurden Auswüchsen, zu denen die Sparmaßnahmen in den Verlagshäusern führen und die durch die Überlastung der Kollegen noch verschärft werden.

Nur Verwalter des Übels

Das sind ganz ungewohnte Töne: Festangestellte Redakteure, die mit Neid auf uns Freie blicken und denen gleichzeitig peinlich ist, was sie uns als Honorar oder Spesensatz vorschlagen müssen. Und wir, die wir im Gegenzug wissen, dass der Kollege unser Exposé nicht aus Boshaftigkeit seit vier Wochen nicht gelesen hat, sondern weil er nicht dazu kommt. Dass es keine Rückmeldung auf den abgegebenen Text gibt, weil er keine Zeit hat, ihn zu lesen. Zum ersten Mal, seit ich frei arbeite, seit 16 Jahren, erlebe ich so etwas wie Solidarität zwischen Festen und Freien. Wir Freie wissen, dass der andere nicht Schuld ist am Übel, sondern nur Verwalter eines Übels, das ihm selbst unangenehm ist. Die Festangestellten wissen, dass wir nicht mosern und meckern und sagen: »Für solche Bedingungen arbeite ich nicht!« weil wir so arrogant sind oder um sie zu ärgern, sondern weil wir nicht anders können. Und sie wissen, dass die Qualität unserer Texte nachlässt, nicht, weil wir uns keine Mühe geben, sondern weil wir heute doppelt so viel Menge produzieren müssen, um auf das Geld zu kommen.

Mit dem Bewusstsein, dass die Situation des anderen schwierig ist, ist der Neid geschrumpft, das Verständnis für einander gewachsen. Und auch, wenn die Situation in den Verlagen sich vorerst beruhigt hat: Nicht umsonst schätzen so viele Festangestellte die provokanten Aktionen der Freien-Organisation »Freischreiber« – weil sie wissen, dass sie morgen schon auf der anderen Seite stehen können.

Gute Geschichten gibt es überall

Ich empfinde es als entspannend, dass sich zumindest an diesem Punkt des »Neids unter Journalisten« die Situation beruhigt hat und ich nicht ständig griesgrämig auf die Kollegen schaue und es ungerecht empfinde, was die so alles haben und bekommen. Im Gegenteil: Ich wüsste nicht, wo ich festangestellt arbeiten möchte. Was allerdings auch daran liegt, dass die Hefte so langweilig sind. Und was den Neid an der Stelle betrifft, an denen vermeintlich »kleine« Journalisten auf die »Großen« der Branche schauen – da muss ich sagen, interessante Menschen gibt es überall. Korruption auch. Ergo auch gute Geschichten.

Logisch, dass ich mich auf Frank Überalls Homepage umgesehen habe, um herauszufinden, warum er toller ist als ich. Frank Überall hat schön ausführlich aufgelistet, in welche Sendung er eingeladen war und für wen er gearbeitet hat. Und er führt unter anderem auf, dass er einen »Leitartikel« in der Funkkorrespondenz veröffentlicht hat. Als ich noch Volontärin bei Szene Hamburg war, stellte sich ein junger Mann vor, der für uns Meldungen über Shop-Eröffnungen schreiben wollte. Wie ich ein Berufsanfänger, aber ohne jede Erfahrung oder Ausbildung. Als ich ihn anrufen wollte, sprang der Anrufbeantworter an. »Michael Müller. Journalist. Reportage, Portrait, Foto.« Kurz danach habe ich an einem Seminar zum Thema Selbstvermarktung von Journalisten teilgenommen, in dem auch auf die unterschiedliche Selbstdarstellung von Männern und Frauen eingegangen wurde. Seither muss ich nicht mehr an die Decke gehen, wenn mir solche Typen begegnen. So toll, dass ich 8.000 Euro im Monat verdiene, wäre ich dennoch gern.

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