NETZWERK RECHERCHE
»Reporter (m/w) gesucht«

Die nr-Konferenz zum Lokaljournalismus zeigt: Nähe muss sein – Unabhängigkeit aber auch. Wie im Lokalen zusätzlich Hintergründe beleuchtet werden können, zeigt eine kleine niedersächsische Zeitung.

von Gert Monheim

Der Chefredakteur der Böhme-Zeitung aus dem niedersächsischen Soltau, Jörg Jung, konnte die Überraschung vieler Kollegen nicht nachvollziehen. Grund für die Aufregung war eine kleine Annonce mit dem klangvollen Titel »Investigativer Reporter (m/w) gesucht«, die das Blatt mit einer Auflage von 11.000 Stück im April 2012 beim Online-Portal newsroom.de eingestellt hatte.

Dem Aufsehen, das die Jobanzeige auf der Netzwerk Recherche-Konferenz zum Lokaljournalismus Anfang November in München erregte, begegnete Jung ganz pragmatisch: Gute Hintergrundberichterstattung brauche mehr Zeit, als sie im normalen Tagesgeschäft vorhanden sei. Deshalb habe man aus 15 ernstzunehmenden Bewerbern drei Kollegen ausgesucht, die sich als freie Mitarbeiter eine Redakteursstelle teilen. Seit Ende Mai 2012 bearbeiten sie für die Böhme-Zeitung rechercheintensive Themen wie das politische Geschacher um die Neustrukturierung des Heidekreis-Klinikums oder die undurchsichtigen Hintergründe der Insolvenz eines Munsteraner Immobilienmaklers.

Verleger gibt den Anstoß

Einige der rund 250 Teilnehmer und Referenten der im Verlagshaus der Süddeutschen Zeitung veranstalteten nr-Fachkonferenz wollten angesichts der zuletzt vermeldeten Hiobsbotschaften für den Berufsstand ihren Ohren nicht trauen. Wegen der schwierigen Situation auf dem Zeitungsmarkt kam die Frage auf, ob denn Verleger Martin Mundschenk diese Initiative mittrage? Jung antwortete: Mundschenk habe sogar den Anstoß für die Annonce gegeben, weil er überzeugt sei, dass eine Lokalzeitung nur mit Qualität bestehen könne.

Eine mutige Entscheidung, die aber auch damit zu tun haben mag, dass viele Zeitungen immer stärker durch die Leser finanziert werden. Die Böhme-Zeitung, die früher zu zwei Dritteln durch Anzeigen finanziert wurde, wird heute etwa zur Hälfte durch den Erlös aus dem Verkauf getragen. Das entspricht in etwa dem bundesdeutschen Durchschnitt. Danach erzielen die Zeitungen inzwischen ihre Erlöse zu 53 Prozent durch die Leser und nur noch zu 47 Prozent aus dem Anzeigengeschäft.

Keine Kritik – kein Ärger

Wie schwierig die finanzielle Situation gleichwohl sein kann, wenn große Anzeigenkunden aussteigen, zeigte das Beispiel der gastgebenden Süddeutschen Zeitung. Nach einer kritischen Berichterstattung über Mediamarkt und Saturn entzog der Metro-Konzern der SZ ein Jahr lang die Anzeigen. Die SZ nahm die ausbleibenden Anzeigenerlöse in Höhe von mehreren Millionen Euro in Kauf und unterstrich damit ihre Unabhängigkeit. Der Fall ist aber auch ein Hinweis darauf, wie massiv große Anzeigenkunden versuchen, auf die Berichterstattung einzuwirken. Dass weniger renommierte und potente Zeitungen es sich gar nicht leisten können, auf solche Anzeigenkunden zu verzichten und dem Druck zu widerstehen, darüber herrschte auf dem Plenum Einigkeit. Mehr noch als solche Einflussnahme spielt nach Aussage vieler Lokaljournalisten die tägliche Arbeitsbelastung eine entscheidende Rolle für die Qualität ihrer Zeitung. Innerhalb eines Tages mehrere Seiten zu »schrubben«, sei keine Seltenheit. Da bleibe es nicht aus, dass Redakteure dankbar für jede Pressemeldung seien, die man abdrucken könne. Für eine ordentliche Gegenrecherche fehle oft die Zeit. Hinter vorgehaltener Hand wurde ein weiterer Aspekt hinzugefügt: Eine Übernahme von Inhalten oder eine freundlich-unkritische Berichterstattung ersparen der Redaktion mitunter viel Ärger. Zum Arbeits- und Geldaufwand geselle sich die Sorge, wegen des Zeitdrucks nur halbrichtig oder ganz falsch zu berichten. Kein Wunder also, dass komplizierte Themen, die zudem Ärger mit lokalen Größen erwarten lassen, nicht selten unter den Tisch fallen.

Das Grunddilemma des Lokaljournalismus, das richtige Maß an Nähe zu finden, klang im Untertitel der Veranstaltung mit: »Lokaljournalismus zwischen Recherche und Regionalstolz«. Regionalstolz ist für eine Lokalzeitung essenziell, stellt er doch die notwendige emotionale Bindung zum Leser her. Doch diese Bindung ist Segen und Fluch zugleich.

Simone Wendler, Chefreporterin der Lausitzer Rundschau, sagte, dass sie ihre Arbeit ohne Liebe zu den Menschen und der Region gar nicht machen könne. Sie fügte aber hinzu: »Richtige Liebe schließt Kritik ein«. Es falle ihr schwer, immer die richtige Balance zu halten. Einerseits wolle sie für eine gute Geschichte möglichst nah an die handelnden Personen herankommen. Andererseits müsse man die Personen, mit denen man fast täglich zu tun habe und die man für die künftige Berichterstattung auch weiterhin als Ansprechpartner brauche, mitunter heftig kritisieren.

Zu weit weg von den Problemen vor Ort

Wolfgang Messner von der Stuttgarter Zeitung, der vorher auch Erfahrungen bei kleineren Zeitungen gesammelt hatte, beschrieb das Dilemma: »Insbesondere die kleineren Lokalzeitungen sind Teil des örtlichen Systems. Deren Journalisten fühlen sich nicht selten zur Elite der Gemeinde gehörig und stellen deshalb unterbewusst das System, dessen Teil sie ja sind, nicht infrage.« Diese Haltung nehme aber mit der Größe der Zeitung ab und die Distanz zu, was an sich gut, zugleich aber auch schon wieder ein Problem sei, weil man möglicherweise zu weit weg von den Problemen der Menschen vor Ort sei.

Bei all den Schwierigkeiten, über die aus den Lokalredaktionen berichtet wurde, ist es bemerkenswert, wie viele gute Beiträge im Lokalen trotzdem erscheinen (s. Kasten). Und das, obwohl rechercheintensive Themen neben dem Tagesgeschäft kaum zu bearbeiten sind. Insofern ist die Konsequenz, die die kleine Böhme-Zeitung gezogen hat, indem sie einzelne Leute für investigative Recherchen freistellt, vielleicht ein nachahmenswerter Versuch auch für andere Lokalredaktionen.

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