Elitejournalismus
»Wir wissen nichts besser«

Elitejournalist ohne Allüren: Ulrich Deppendorf, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, über Alpha-Journalisten, Nähe zur Kanzlerin und die Gefährdungen des Metiers.

Unter den Berliner Hauptstadtjournalisten ist Ulrich Deppendorf einer der einflussreichsten. Als Leiter des ARD-Hauptstadtstudios entscheidet der WDR-Journalist mit darüber, welcher Politiker auf den Schirm kommt – und wie. Er ist der Mann des Ersten, er verkörpert das Selbstbewusstsein des weitreichenden Senderverbunds. Aber »Elite« – davon will Deppendorf nichts wissen. Eher schon kennt er die Gefährdungen der Nähe, des alltäglichen Umgangs mit der politischen Klasse, einer Elite, die die Journalisten umgarnt und einspannen will. Im Message-Gespräch sagt Deppendorf, wie er Distanz hält.

Herr Deppendorf, wir haben kürzlich erlebt, dass ein Angehöriger der politischen Elite, CSU-Sprecher Hans-Michael Strepp, beim ZDF anruft und versucht, die Berichterstattung über die politische Konkurrenz herunterzudimmen. Haben Sie dergleichen auch schon mal erlebt?

Deppendorf: Nein, das war eine Premiere. Ein Parteisprecher, der durch seine Anrufe die Berichterstattung über eine andere Partei verhindern will, das gab es noch nicht. Gut, dass dieses Mitglied der politischen Elite mit seinem Versuch gescheitert ist. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Da muss bei der CSU-Elite ganz schöner Druck geherrscht haben, denn Herr Strepp galt als ein besonnener Sprecher.

Was verbinden Sie persönlich mit dem Begriff »Elite«?

Ehrlich gesagt kann ich damit nicht viel anfangen. Ich weiß, dass ich hier eine Position habe, mit der eine hohe journalistische Verantwortung verknüpft ist. Ich fühle mich verpflichtet, kritisch nachzuhaken, die Politik kritisch zu begleiten, nichts zu verpassen und den Zuschauer – möglichst verständlich und mit adäquaten dramaturgischen Mitteln – über die politischen Entscheidungen zu informieren.

Es gibt die Meinung, die wahre Elite des Journalismus sei noch immer in der Presse zu Hause. Es seien die großen Blätter, die Einfluss nähmen auf die Meinungsbildung der anderen Funktionseliten, weniger das Fernsehen. Haben Sie den Eindruck, dass Fernsehkommentare bei Politikern ankommen, bei Wirtschaftsbossen? 

Wenn ich mir die Reaktionen anschaue, die ich auch aus diesen Kreisen bekomme, würde ich sagen: ja. Wenn man zu wichtigen Themen pointiert Stellung nimmt, bekommt man schnell Resonanz, da kommen Rückmeldungen wie »Das habe ich so noch nicht gesehen« oder »Das ist ein sehr guter Gedanke«.

Nun gibt es seit Jahren Klagen über den Zustand des Hauptstadtjournalismus. Der sei heute weniger politisch als damals im kuscheligen Bonn, er bausche innerparteiliche Meinungsverschiedenheiten zu großen Krisen auf und biete Belanglosigkeiten eine Bühne. Sogar von »Verwahrlosung« war die Rede. Ist das übertrieben?

Nein, übertrieben finde ich das nicht. Ich gebe freimütig zu, dass natürlich eine Beschleunigung eingetreten ist. Und es hat auch Zuspitzungen gegeben. Was mir Sorge macht, ist, dass wir alles nur unter einem sehr negativen Aspekt wahrnehmen. Ich glaube, da müssen wir Journalisten uns fragen, was wir zur Politikverdrossenheit hierzulande beitragen. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu einem Klima beitragen, in dem jeder politische Prozess grundsätzlich negativ betrachtet wird. Jede politische Entscheidung unter Generalverdacht zu stellen, das führt dazu, dass es irgendwann keiner mehr machen will.

Denken wir an Ihre letzte große Chinareise mit der Kanzlerin, an die dabei entstehende große Nähe. Wie wahrt der Journalist Deppendorf da die Distanz? Führen vertrauliche Gespräche zu zu viel Vertrauen?

Wir haben ja häufiger vertrauliche Gespräche in Berlin, mit der Kanzlerin gibt es zweimal oder dreimal im Jahr einen Hintergrundgesprächskreis, da sind alle Büroleiter drin. Uns gibt das eine Vorstellung, wie tickt sie, wo will sie hin – und manchmal kann man das dann andeuten in bestimmten Artikeln und Stellungnahmen. Davon lebt der Journalismus. Ich finde das weniger dramatisch, man muss nur immer klar sagen: Die Kanzlerin vertritt die eine Seite und wir stehen auf der anderen Seite.

Ist das nicht ein schwieriger innerer Prozess?

Sicher ist das kein einfacher Prozess, keine Frage. Es sind ja auch Leute unter den Politikern, die sind ganz sympathisch, und da fällt es nicht immer leicht, Distanz zu halten. Ich glaube aber, dass das Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten heute distanzierter ist als früher.

Zu den Ritualen des Berliner Politikbetriebs gehören ja die Sommerinterviews. Die Kritik ist in den meisten Fällen nicht zufrieden. Bei Ihrem diesjährigen Sommerinterview mit der Kanzlerin konnte man den Eindruck gewinnen, Sie bekämen sie nicht wirklich zu fassen. Auf derwesten.de hieß es, es sei der »Teflon-Kanzlerin« gelungen, jegliche Kritik abperlen zu lassen. Zuschauer kommentierten auf Facebook, das Interview sei »sehr enttäuschend« gelaufen, lasse sie »ratlos« zurück. Woran lag das?

Also erstens waren das vielleicht zehn oder zwölf Kommentare bei Facebook von 1,8 Millionen, zweitens, derwesten.de ist ganz nett, drittens habe ich es in letzter Zeit nie erlebt, dass Printmedien Fernsehinterviews positiv gewürdigt haben. Das ist auch gewissermaßen unfair, denn Printmedien werden so lange durchredigiert, bis alles stimmt, aber wir machen es live oder quasi-live, da gibt es nichts mehr zu verändern. Es gibt bei einem Interview zwei Varianten: Entweder gehe ich nach jedem zweiten Satz rein und unterbreche und frage so lange nach, dass andere Themen wegfallen. Oder ich lasse mein Gegenüber den Gedanken auch mal zu Ende führen, frage dann nach, aber möchte zusätzlich noch mehrere Themen ansprechen. Wir hatten nur 19 Minuten. Wenn die Politiker nicht wollen, dann wollen sie eben nicht.

Wie führt man ein Vorgespräch mit Angela Merkel? Gibt es bei solchen Begegnungen Vorgespräche darüber, was gefragt werden darf und was nicht?

Nein, darauf würden wir uns nie einlassen. Aber es war ja klar, dass wir die Kanzlerin zum Beispiel zum Euro fragen, denn wir stellen Fragen zu den aktuellen Themen. Die Zuschauerfragen kommen ja auch spontan, die kennt man vorher gar nicht.

Wir erwähnten Facebook und damit die neuen sozialen Medien. Setzen die den Elitejournalismus klassischer Prägung unter Legitimationszwang? Weil sich plötzlich Laien einmischen und die klugen Weltdeutungen von prominenten Kommentatoren wie Ihnen respektlos in Zweifel ziehen?

Nein. Ich persönlich kann nicht sagen, dass ich durch Facebook einen besonders großen Erkenntnisgewinn erleben würde. Ich glaube, wir sind mit diesen neuen Medien immer noch in einem Findungsprozess. Facebook ist für uns dann nützlich, wenn es unmittelbare Reaktionen auf unser Programm liefert.

Graswurzel-Journalismus, antielitär – was halten Sie davon?

Graswurzel-Journalismus kann im besten Fall eine Ergänzung für unser Angebot sein. Und die Möglichkeiten zu sehen, wie bestimmte Gruppen ticken, sind größer geworden. Man erfährt dadurch mehr aus der Zivilgesellschaft und kann es in die eigenen Berichte integrieren.

Es gibt ja auch Blogs, die politisch kommentieren und die sich direkt an das Publikum wenden – sehen Sie da eine Konkurrenz?

Nein, ich denke, es wird immer Leitmedien geben. Seit Jahren wird geunkt, die Leitmedien würden eingehen. Die Akzeptanz ist zurückgegangen – bei der Tagesschau ist es noch nicht so weit, die hat immer noch ihre neun bis elf Millionen Zuschauer jeden Abend –, aber die Leitmedien werden immer da sein. Manche Blogs sind interessant, das ist sicherlich eine gute Ergänzung. Aber meine Sorge ist, dass durch diese Blogs und dadurch, dass jeder versucht, möglichst schnell Informationen zu veröffentlichen, nicht mehr sorgfältig gearbeitet wird. Da werden schnell unrecherchierte Behauptungen aufgestellt.

Meinen Sie, dass dies ein spezifisches Problem von Bloggern ist?

Ich kann nur sagen, dass es bei uns nicht so ist. Aber es gibt insgesamt eine Beschleunigung, und es werden auch Sachen zugespitzt, um in diesem Online-Konkurrenzkampf überhaupt wahrgenommen zu werden. Sicherlich ist es da manchmal schwierig für uns, im Verhältnis zur Tagesschau- und Tagesthemen-Redaktion in Hamburg zu sagen: Die Lage ist vielleicht ein bisschen anders, da müssen wir nicht gleich draufschwenken.

Interessant, wie zuversichtlich Sie davon ausgehen, dass es auch weiterhin die alten Leitmedien geben wird und dass Sie Blogs so wenig Konkurrenzpotenzial zusprechen. Ist das nicht eher die Perspektive Ihrer Generation?

Nein, das glaube ich nicht. Ich möchte nicht sagen, dass ich den Blogs gar nichts zutraue. Aber ich glaube nicht, dass sie uns ablösen, und sie sind für uns im Moment keine Konkurrenz. Wir haben ein ganz anderes Problem: Immer mehr Inhalte werden online abgerufen, und dieses »immer mehr« bezieht sich auf Personen und Sendungen, aber nicht unbedingt auf Systeme. Der Nutzer achtet nicht so sehr darauf, ob es das Erste oder das Zweite ist. Das heißt, wir müssen noch mehr tun, damit die User immer wissen: Das kommt vom Ersten. Das ist unsere größte Aufgabe. Wir brauchen mehr Markenbindung.

Zurück zum Thema Elite: Sie legitimiert sich, wenn sie etwas besser weiß als andere. Doch wie ist das bei einem hyperkomplexen, chaotischen Geschehen wie der Euro-Krise?

Da sollte sich keiner überheben. Wir wissen nichts besser. Wer als Journalist sagt: »Ich habe in dieser Krise immer den Durchblick gehabt«, der sagt nicht die Wahrheit. In zwanzig Jahren können Historiker vielleicht sagen, ob das, was jetzt entschieden wurde, richtig war. Aber es muss jetzt entschieden werden.

Wenn Elite, positiv verstanden, eine Avantgarde ist, die die Gesellschaft voranbringt: Was wären dann die Aufgaben für den Elitejournalismus?

Jeder Journalist will doch irgendetwas erreichen. Nehmen wir als Beispiel die Euro-Krise: Dass ich da eine bestimmte Haltung zu Europa einnehme, das vermittele ich schon gerne. Ich bin nicht für den Austritt irgendeines Landes. Das kann ich dann in Kommentaren zeigen oder in Deppendorfs Woche und kann auf diese Weise vielleicht den einen oder anderen Gedanken nach vorne bringen.

Sein elitäres Deutungsmonopol hat der Journalismus schon verloren – wie kann er dafür sorgen, überhaupt noch gehört zu werden?

Er muss sich noch stärker darauf konzentrieren, die Vielstimmigkeit einzuordnen. Er muss vermehrt versuchen, eigene Themen zu setzen. Und sein größtes Kapital ist: Die Fakten müssen stimmen. Wenn man das Vertrauen in die Faktengenauigkeit zurückgewinnt und es schafft, ein Medium zu sein, das Meinungen zusammenführt, dann sehe ich große Chancen.


Die Fragen stellten Message-Herausgeber Volker Lilienthal und Praktikantin Helene Debertin.

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