Editorial
wer in St. Petersburg mit Journalistik-Studierenden und ihren Dozenten diskutiert, der lernt einen klugen, aber auch vorsichtigen und allemal stolzen Nachwuchs kennen: junge Leute, die sich wohl eine andere Gesellschaft wünschen, aber auch mit den Verhältnissen, wie sie nun einmal sind, umzugehen wissen. Kritischen Journalismus definieren sie nicht »westlich«, sie müssen und wollen ihren eigenen Weg finden.
Russland und seine Medien, mal geknechtet und bedroht, mal aufbegehrend und freiheitlich gesonnen, sind das Titelthema dieser Ausgabe, mit der Message in den Jahrgang 2014 startet. Putin gilt als der große Manipulator der Medien. Erst vor Kurzem hat er die Nachrichtenagentur RIA Novosti und den Rundfunksender Golos Rossii (Stimme Russland) auflösen und zur neuen Internationalen Nachrichtenagentur Rossija Segodnja (Russland heute) fusionieren lassen. Neuer Chef ist der Hardliner Dmitry Kiselyov.
Immerhin: RIA Novosti traute sich auf seiner englischsprachigen Website, die Verfügung des Kreml als ein Beispiel für »zunehmende Staatskontrolle im ohnehin stark regulierten Mediensektor« zu kritisieren. Dies allein zeigt, dass sich auch die russischen Staatsjournalisten nicht mehr alles bieten lassen. Russland ist zu groß und stark, zu vielfältig und widersprüchlich, als dass ein Präsident dem ganzen Land seinen Willen aufzwingen könnte.
Unser Heft verharrt nicht bei den altbekannten Übergriffen und Repressalien gegen Journalisten, sondern will das allmähliche Wachsen freier Medien in den Nischen des politischen Systems Russlands ins Bewusstsein rücken (ab Seite 8). Oft kleine Zeitungen sind das, die in den Provinzen gegen Korruption und Machtmissbrauch und für Erleichterungen im Alltag ihrer Leser kämpfen.
Um Alltag, und zwar den zwischen Familie und Beruf, geht es auch in einem weiteren Themenschwerpunkt ab Seite 50. Journalistinnen, die Verantwortung übernehmen und doch auch gute Mütter bleiben wollen, haben immer noch zu kämpfen. In deutschen Journalistik-Seminaren stellen Frauen längst die absolute Mehrheit. Bald wird das auch in den Redaktionen der Fall sein.
Und auf noch einen Schwerpunkt möchte ich Sie hinweisen: Recherche-Journalismus als neue globale Kraft – Message hatte diese neue Entwicklung bereits im vorletzten Heft als Titelthema. Jetzt traf sich die Internationale der Investigation in Rio de Janeiro – namhafte deutsche Journalisten, die zur Global Investigative Journalism Conference flogen, hatten Message vorab versprochen, Augenzeugenberichte mitzubringen. Und sie hielten Wort. Lesen Sie unser packendes Rio-Spezial ab Seite 30.
Dies ist die erste Ausgabe, die ohne Michael Haller entstand. Er gründete Message 1999 und leitete die Zeitschrift über all die Jahre durch etliche Höhen und Tiefen. Für diese Kärrnerarbeit zollen wir ihm allen Respekt! Nun werden Lutz Mükke und ich das Heft weiterführen und das eine oder andere neu justieren.
Wir wünschen uns, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, uns dabei begleiten – kritisch und an dem interessiert, was uns verbindet: die Sorge um und die Freude am Qualitätsjournalismus.
Ihr
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