Whistleblower
Der Preis des Whistleblowing
Ob es um Folter im Libanon geht oder um Missstände in einem
Pflegeheim: Die Enthüller schützt niemand. Zwei Geschichten über Disziplinarmaßnahmen, Gerichtsverfahren und Arbeitslosigkeit.
von Uwe Krüger
Libanon: 1. Akt
Aufreibende Tage liegen hinter Kriminaloberkommissar Ralph Trede und seinen Terrorfahnder-Kollegen aus Deutschland, Amerika und Australien. Sie sind nach Beirut geflogen, um drei mutmaßliche Al-Qaida-Mitglieder festzunehmen, die am Telefon offenbar über einen geplanten Anschlag in Deutschland geredet haben. Aus einem Hotelzimmer haben die Fahnder den Lauschangriff mit modernster Abhör- und Peiltechnik koordiniert, und als sich die Verdächtigen in einem Restaurant treffen wollten, haben sie zugegriffen. Es ist September 2002, der Krieg gegen den Terror läuft seit einem Jahr.
Verhört werden die Festgenommenen nun im Gefängnis des libanesischen Militärgeheimdienstes. Ralph Trede vom Bundeskriminalamt ist der Verbindungsmann zu den Libanesen – die müssen mit Fragen aus Meckenheim bestückt werden. Trede bekommt per verschlüsselter E-Mail Fragenkataloge, gibt sie einem Übersetzer und dann einem Colonel des libanesischen Geheimdienstes. Wenn die Antworten kommen, gibt er sie zurück nach Deutschland, wo daraus neue Fragen werden.
Schnelle Antworten aus dem Gefängnis
Der 41-Jährige wundert sich, dass die Antworten aus dem Gefängnis so schnell kommen. Mehrmals täglich, manchmal stündlich bekommt er Material. Seltsam auch, dass er und seine Kollegen keine Erlaubnis bekommen, die Gefangenen zu sehen. Einer wird bald in ein Krankenhaus eingeliefert, um für die Vernehmung wieder fit gemacht zu werden. Trede sieht im Hotelzimmer ein Video, das ein BKA-Kollege heimlich von der Festnahmeaktion gemacht hat; dort bekam er eine Ahnung, dass es hart zur Sache ging.
Man unterhält sich darüber, dass die Verhörmethoden im Libanon mitunter brutal sind; ein ehemaliger Geheimdienstmann namens Joseph, der für das BKA-Verbindungsbüro in Beirut arbeitet, trägt Anekdoten aus seiner Dienstzeit bei: Stromstöße in die Hoden seien ein beliebtes Hilfsmittel, weil es keine sichtbaren Spuren hinterlasse.
Drei Monate später sitzt der gebürtige Rheinländer längst wieder am heimischen Schreibtisch in Meckenheim, da erzählt ihm sein Vorgesetzter: BKA-Beamte durften inzwischen zu den Gefangenen, und zwei von ihnen haben behauptet, sie seien gefoltert worden und hätten Aussagen unterschreiben müssen, die sie nicht gemacht hätten. Bei der Morgenbesprechung ist das kurz Thema, neben vielem anderen. Trede geht davon aus, dass sein Vorgesetzter die nötigen Schritte einleitet, nach dem ehernen Dienstweg-Gesetz des Berufsbeamtentums.
Disziplinarverfahren am Hals
An einem Montagmorgen im März 2003 erfährt Trede, dass der BKA-Präsident gegen ihn ein Disziplinarverfahren einleiten und bei der Staatsanwaltschaft Bonn eine Strafanzeige stellen werde – Trede soll private Gespräche von dienstlichen Telefonen aus geführt und nicht entsprechend deklariert haben. Trede vermutet einen Kollegen dahinter, mit dem er sich schon lange in der Wolle hat; der ist vor kurzem sein Chef geworden, und es gab Streit um Tredes Beförderung.
Es ist nicht das erste »Diszi«, das Trede am Hals hat – jeder Polizist, der viel arbeitet, fängt sich welche ein. Aber diesmal zeigt ihn kein Festgenommener wegen Freiheitsberaubung an, sondern der eigene Dienstherr. Trede ahnt: Er ist abgeschossen, das ist das Ende seiner Karriere. Er verliert das Gleichgewicht, oben und unten gibt es nicht mehr. Kopfschmerzen, Schweißausbrüche, Tinnitus: Ein Arzt schreibt ihn dienstunfähig.
Trede soll nun tausende Telefonate aus den letzten acht Monaten aufdröseln – er hatte ständig ein Handy am Ohr, schon von Berufs wegen, und aus der Ferne musste auch zu Hause viel geregelt werden, zumal er unmittelbar vor dem Beirut-Einsatz ein ganzes Jahr in Kolumbien Dienst geschoben hatte. Zu klären ist nun, ob seine privaten Anrufe erlaubte »Fürsorgetelefonate« gewesen waren; einem Bonner Staatsanwalt soll er erklären, mit wem er über was gesprochen hat. Er und sein Rechtsbeistand verlangen jedoch vorher einen Termin beim BKA-Präsidenten.
Am 26. August 2004 empfängt sie Präsident Jörg Ziercke in seinem Dienstzimmer, abends um 18 Uhr. Trede trägt sein Anliegen vor: »Ich möchte Sie aus Gründen der Loyalität darüber informieren, dass es in einigen Telefonaten um Folter im Libanon ging – bevor ich das öffentlich bei der Staatsanwaltschaft vortrage.« Ziercke ist misstrauisch: Erfindet Trede etwas, um seine Position im Disziplinarverfahren zu verbessern? Als Trede hartnäckig verneint, springt Ziercke auf und kündigt an, in dieser Sache Strafanzeige zu erstatten und unverzüglich den Generalbundesanwalt zu informieren.
Doch er hat es nicht besonders eilig damit. Erst nach mehr als zwei Monaten schickt Ziercke einen Brief nach Karlsruhe, und dort wird seltsamerweise kein Aktenzeichen in der Sache angelegt. Mehr Eifer zeigt der BKA-Präsident, wenn es gegen Trede geht: Als der Bonner Staatsanwalt das Telefonkosten-Verfahren einstellen will, weil er beim besten Willen keine Straftat erkennen kann, beschwert sich Ziercke bei dessen Vorgesetztem; das Verfahren wird nicht eingestellt.
20. Juli 2005. Trede hat ein Gespräch bei einem prominenten Anwalt, vermittelt vom Vorsitzenden der Kripo-Gewerkschaft, der diesen Anwalt privat kennt. Es ist Wolfgang Bosbach, Vizevorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag und darüber hinaus gerade Schatten-Innenminister jener CDU-geführten Regierung, die alle nach der vorgezogenen Bundestagswahl erwarten. Bosbach hört aufmerksam zu und bietet an, sich um den Fall zu kümmern.
Pflegeheim: 1. Akt
Es ist ein Freitag, der 13., an dem Petra Richers aus dem heimatlichen Rheinland nach Oberbayern übersiedelt. Mit Sack und Pack und den zwei Söhnen, deren zwei Väter längst nicht mehr Teil ihres Lebens sind. Es ist Februar 2004; ein Pflegeheim in Brannenburg bei Rosenheim hat ihr einen Job angeboten.
Es ist schon am Anfang einiges merkwürdig. Die Bezahlung liegt unter Tarif. Aber okay, sie ist neu in der Branche, hat eigentlich Krankenschwester gelernt und nach einem schweren Arbeitsunfall noch Pflegemanagement studiert, um nicht mehr mit den Muskeln arbeiten zu müssen, sondern als Pflegedienstleiterin mit dem Kopf. Seltsamer ist schon, dass im Arbeitsvertrag ihre Aufgaben nicht beschrieben sind. »Man stellte mich den Mitarbeitern als neue Schreibkraft vor«, erinnert sich Petra Richers, die doch eigentlich den Pflegern gegenüber weisungsbefugt sein sollte.
Bald wird ihr klar, dass das Methode hat. Die Besitzer und Leiter des »Hauses Wendelstein« – ein älteres Ehepaar und seine zwei Söhne, die alle mit im Haus wohnen – wollen offensichtlich keine anderen Autoritäten zulassen. Die Konflikte lassen nicht lange auf sich warten.
Heizung und Putzfirma – überflüssig
»Wenn ein Bewohner verstarb, dann wurde er sofort nach unten in die Leichenkammer geschafft«, sagt Richers. Das ist laut Bestattungsgesetz verboten, erst muss ein Arzt gerufen werden, der den Tod feststellt. »Ich gab die Anweisung, den Toten nicht runterzubringen, aber die Besitzer haben gedroht: Wer ihn nicht runterbringt, dem wird gekündigt! Die wollten den Toten nicht im Haus haben.«
Ohnehin scheinen die Bewohner lediglich ein Kostenfaktor zu sein. Im kalten April 2004 wird über Wochen die Heizung abgestellt, um Heizöl zu sparen; Bewohner und Personal frieren. Manchen Senioren schreibt man Limonade auf die Rechnung, wenn sie nur Wasser bekommen haben. Zum Frühstück gibt es jeden Morgen das Gleiche: eine einzige Scheibe Toast mit Marmelade, der immergleichen Marmelade.
Es fehlt an Desinfektionsmitteln, Waschlappen, Gummihandschuhen. Gebrauchte Windeln werden nicht weggeworfen, sondern getrocknet und wieder verwendet. »»Es gab oft keine Seife, keine Körperlotion. Aber für all das bezahlen die Pflegekassen das Pflegegeld!«
Das Personal reicht hinten und vorne nicht, Pfleger müssen wochenlang durcharbeiten und werden sogar zum Putzen abgestellt, weil die sparsame Heimleitung der Putzfirma gekündigt hat. Petra Richers schreibt eine Notiz über »gravierende personelle Unterbesetzung«: Die Pflege der Bewohner sei nicht mehr gewährleistet, sie könne die Verantwortung dafür nicht übernehmen. Sie will, dass der Vize-Heimleiter dieses Papier unterschreibt, aber der weigert sich.
Die ganze Zeit schluckt die 43-Jährige ihre Wut hinunter. Die Magensäure sprudelt, Richers erbricht Blut, ihre Speiseröhre entzündet sich. Freunde raten ihr, endlich diesen Job hinzuschmeißen. Im Juli 2004, ein halbes Jahr nach ihrer Einstellung, legt sie die Kündigung aufs Fax.
Dann geht sie ins Landratsamt zur Heimaufsicht, die alle Pflegeheime kontrollieren sollte, und erstattet auch Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Die Heimaufsicht begeht das Heim, es passiert nicht viel. Auch der Staatsanwalt sprüht nicht gerade vor Aktivität. Im September 2004 greift Petra Richers zum Telefonhörer und ruft das Oberbayerische Volksblatt an, die Lokalzeitung für Rosenheim und Umgebung.
Libanon: 2. Akt
Hans Leyendecker ruft an. Trede ist überrascht – er hatte gar nicht daran gedacht, an die Medien zu gehen, und die Süddeutsche Zeitung kannte der Rheinländer schon gar nicht. »Ich hatte damals auch noch gar keine Vorstellung, dass meine Geschichte überregional interessant sein könnte«, erzählt er.
So aber fährt er nun mit seinem Rechtsbeistand zu Leyendecker nach Hause. Es ist nicht weit, der Star-Rechercheur wohnt auch im Rheinland. Sie sitzen stundenlang im Garten, es ist Sommer. Trede ist ein angenehmer Whistleblower – zwar psychisch angeschlagen, nervös und fahrig, aber er hat viele Akten dabei. Anschließend telefoniert Leyendecker, bekommt unter der Hand Auskünfte, die zu der Geschichte passen. Als er die beteiligten Behörden offiziell anfragt, mauern alle: schwebendes Verfahren.
Die Süddeutsche veröffentlicht am Freitag vor der Bundestagswahl, am 16. September 2005. Es ist die große Seite-Drei-Geschichte, mit Anriss auf dem Titel: »Einsatz in Beirut – Wird gefoltert im Namen der Freiheit?« Eine Geschichte mit vielen Fragezeichen und ohne strahlenden Helden; für Leyendecker ist zumindest sonderbar, warum Trede erst nach der Eröffnung seines Disziplinarverfahrens mit der Folter-Geschichte rausrückte.
Verhaltenes Echo auf die Süddeutsche
Trede, der immer noch dienstunfähig geschrieben zu Hause sitzt und einen Brief-Krieg mit dem BKA ausficht, spürt wenig Echo. Lediglich Josef Hufelschulte ruft an, der beim Focus auf Geheimdienstliches spezialisiert ist. Sie treffen sich, und am 31. Oktober 2005 veröffentlicht Hufelschulte die zwei Seiten lange Story »Stromstoß in die Hoden«.
Es kommen Anrufe vom Fernsehen: Das ARD-Magazin Kontraste möchte einen Beitrag machen, auch Report München ruft an. Kontraste bekommt den Zuschlag, obwohl man aus München droht, etwas Unvorteilhaftes über Trede zu bringen, wenn er nicht kooperiert. »Ich war erstaunt, dass zwischen den öffentlich-rechtlichen Sendern so harte Konkurrenz herrscht«, erinnert sich Trede.
Für die Dreharbeiten mit dem Kontraste-Team fährt Trede nach Berlin, die Redakteure filmen ihn vor dem Bundestag und vor dem Innenministerium. Der BKA-Mann ist beeindruckt, wie professionell die Fernsehleute agieren. Er fasst neuen Mut: Wenn es einmal im Fernsehen ist, dann muss auch etwas passieren.
Abgeordnete fordern Aufklärung
Zwischenzeitlich legt Leyendecker in der Süd-deutschen nach, mit dem Zweispalter »Gravierender Folter-Fall« am 17. Dezember 2005. Darin fordern CDU-Mann Wolfgang Bosbach und der Grüne Hans-Christian Ströbele Aufklärung.
Fünf Tage später läuft in der ARD der Kontraste-Beitrag »Folter im Libanon – Wie deutsche Terrorfahnder von Menschenrechtsverletzungen profitieren«. Trede sieht ihn in der Wohnung seiner Vertrauten Heike Möller, die zufällig an jenem 22. Dezember Geburtstag hat. Die ganze Party ist auf die Sendung um 21.45 Uhr ausgerichtet; ein Dutzend Freundinnen und Freunde sind vor dem Schirm versammelt. »Die politische Führung und die entsprechenden Behördenleiter haben gezielt weggeschaut, als unten im Libanon die Drecksarbeit gemacht wurde und die Erkenntnisse aus Foltervernehmungen in deutschen Verfahren verwendet wurden«, sagt Trede im Fernsehen. BKA-Präsident Jörg Ziercke und Generalbundesanwalt Kay Nehm machen keine gute Figur: Sie haben Interviews verweigert.
Die Partygesellschaft schweigt betroffen, dann kommt die Empörung hoch: »Das kann doch alles nicht sein!« und »Wie ist das denn für dich?« Tredes Handy piept, Kollegen und Freunde gratulieren per SMS. Er fühlt sich im Aufwind, er hat sich endlich öffentlich mitgeteilt, und jetzt wird alles aufgeklärt und Trede, der seit seinem 16. Lebensjahr Polizist mit Leib und Seele ist, rehabilitiert.
Der Kontraste-Beitrag zeigt auch anderswo Wirkung: Der Innenausschuss des Bundestages wird aktiv. Für die nächste Sitzung wird der Punkt »Bericht des Bundesinnenministeriums zu Vorwürfen des Kriminaloberkommissars Ralph Trede« auf die Tagesordnung gesetzt, auf Antrag der Fraktion Die Linke.
Pflegeheim, 2. Akt
Der Redakteur des Oberbayerischen Volksblattes ist nicht besonders glücklich mit seiner Whistleblowerin. Mehrmals haben sie telefoniert, Petra Richers hat ihm von Skandalen erzählt und von Beweisen. Dann war sie bei ihm in der Redaktion, aber mit den Beweisen war das so eine Sache.
»Ich habe nichts Stichhaltiges bekommen. Keine klassischen Pflegeskandale, die etwa Angehörige hätten bestätigen können. Sie hat sich auf den autoritären Führungsstil der Heimleitung konzentriert, wie die menschlich mit den Bewohnern und dem Personal umgeht«, sagt der heute 41-jährige Ludwig Simeth, Rosenheimer und seit dem 19. Lebensjahr beim Oberbayerischen Volksblatt, mit Unterbrechung fürs Studium. »Das ist schwer zu handhaben. Da stoße ich als kleiner Lokalredakteur an meine Grenzen.«
Keine Zeit für Investigatives
Und seine Grenzen sind eng. Mit ein bis zwei Kollegen muss er täglich zwei Seiten produzieren, dazwischen Richtfeste, Autobahnunfälle und Grundstücksstreitereien beleuchten. Eigentlich hat er für so etwas gar keine Zeit; aber er nimmt sich immer mal eine halbe Stunde.
Schwierig ist zum Beispiel Richers’ Vermutung, das Heim würde vor scharfen Kontrollen des Landratsamtes verschont, weil der Oberkontrolleur gemeinsame Sache mit den Betreibern mache. Das Gerücht, das Richers schon von mehreren Seiten in der Pflegebranche gehört hat, geht so: Die Heimbetreiber besäßen in Florida ein Ferienhaus, und der Heimaufseher im Landratsamt würde dort kostenlos Urlaub machen.
Prinzipiell ist so etwas schon möglich, denkt Redakteur Simeth; Pflegeheime sind ein gutes Geschäft in der landschaftlich reizvollen Gegend, in die Senioren aus ganz Deutschland ziehen. Aber wie soll er das aufklären? Er ruft einen ehemaligen Redakteurskollegen an, der mittlerweile Sprecher des Landratsamtes ist. Der sagt ihm im Vertrauen: »Die Sache ist hier schon geprüft worden, und du kannst mir glauben: Der Mann war noch nie in den USA.«
Und so erscheint dann am Nikolaustag 2004 – drei Monate nach dem ersten Anruf von Petra Richers in der Redaktion – auf der Rosenheim-Lokalseite der Aufmacher »Ein Pflegeheim unter Beschuss«. Richers, namentlich nicht genannt, wird mit ihren Vorwürfen zitiert; der Heimleiter nennt das eine »ganz üble Hetzkampagne« und kontert, die Probleme hätten an ihrer »Unfähigkeit« gelegen, sie sei mit ihrem Job als Führungskraft »völlig überfordert« gewesen. Das Landratsamt sagt, man habe das Heim kontrolliert, und tatsächlich habe man »Mängel festgestellt, die inzwischen zum Teil behoben« worden seien. Ein Schlagabtausch ohne großen Erkenntnisgewinn.
Pflegerin recherchiert auf eigene Faust
Die öffentliche Kritik an ihrer Person trifft Richers schwer; in ihrem Arbeitszeugnis hatte der Heimleiter sie noch als »sehr qualifizierte, stets engagierte und absolut zuverlässige Mitarbeiterin« bezeichnet. Und sie recherchiert selbst, spricht mit anderen ehemaligen Mitarbeitern des Heims; viele haben dort gekündigt. Auch ihre Vorgängerinnen hatten den Verdacht, das Landratsamt kündige seine Kontrollen an.
Anfang 2005 kommt Bewegung in die Sache, der Staatsanwalt schaltet sich doch noch ein. Eine Handvoll Polizisten zieht los, interviewt frühere Mitarbeiter des Heims. Es wird eine Akte angelegt. Die Polizisten stellen ihre Arbeit zwar bald wieder ein, aber Richers kommt über verschlungene Wege an die Akte. Jetzt hat sie etwas in der Hand, jetzt kann sie sagen: Es gibt eine polizeiliche Akte über das Heim und den Kontrolleur des Landkreises.
Das gibt ihr Kraft für ihren Kampf, denn persönlich geht es ihr nicht gut. Dreimal wird sie am Magen operiert, während sie eine berufliche Wieder-eingliederungsmaßnahme absolviert. Danach ist sie gezwungen, Hartz IV zu beantragen – denn als Krankenschwester kann sie nicht mehr arbeiten, und als Pflegedienstleiterin darf sie nicht mehr. Die Pflegekassen bescheinigen ihr, sie habe in den letzten fünf Jahren nicht genügend Berufserfahrung gesammelt. »Berufsverbot« sagt Richers dazu, die ohnehin den Eindruck hat, dass in Bayern viele Stellen erstaunlich eng zusammenarbeiten.
Das »Horror-Heim«: Aber wo steht es?
Die Medien kommen noch einmal ins Spiel: Buchautor Markus Breitscheidel, der in Wallraff-Manier Missstände in Pflegeheimen aufgedeckt hat, recherchiert für den Nachfolgeband seines Bestsellers »Abgezockt und totgepflegt« ihren Fall. Unter der Überschrift »Das Horror-Heim« veröffentlicht er die Ergebnisse; aber weil der Verlag juristische Konsequenzen fürchtet, werden Heim und Personen nicht namentlich genannt. Richers ärgert das.
Durch Breitscheidel vermittelt, ruft daraufhin Monitor an. Ein Redakteur recherchiert und dreht mit seinem Team zwei Tage lang in ihrer Gegend. Am 28. September 2006 kommt dann der Beitrag »Schweigen und leiden – Alltag in deutschen Pflegeheimen«. Acht ARD-Minuten lang geht es um das Schicksal von Altenpflegerinnen, die Alarm geschlagen haben. In zwei Minuten wird die Geschichte von Petra Richers erzählt; das Haus Wendelstein wird zwar gezeigt, aber nicht genannt; nicht einmal das Bundesland
wird erwähnt.
Auch kein Wort über den Kontrolleur im Land-ratsamt, kein Wort über ihren Ärger mit den Pflegekassen und ihr Hartz-IV-Problem. »Es ist ein Larifari-Beitrag«, schimpft Petra Richers, »total nichtssagend.«
Im November 2007 schreibt sie einen langen Brief an Sat.1, an die Redaktion des Magazins Akte 07, und schildert ihren Fall. Sie erhält keine Antwort.
Libanon, 3. Akt
Nach der Kontraste-Sendung kann sich Ralph Trede vor Journalisten kaum retten. Seine Zeit und seine an-ge-schlagene Gesundheit erlauben es nicht, alle Wünsche zu erfüllen. Dem Stern sagt er ab, dem Spie-gel, Sat.1, N24. Zu Besuch kommt ein Redakteur der Zeit, jemand vom Kölner Stadtanzeiger und ein Fernsehmann vom RTL Nachtjournal.
Am 5. Januar 2006 legt Kontraste nach. Eine Stellungnahme des BKA wird zitiert: »Die im Libanon gewonnenen Erkenntnisse waren nicht Grundlage für strafprozessuale Maßnahmen (…) in Deutschland.« »Doch das ist falsch«, erklärt der Kontraste-Sprecher, »es ging den deutschen Behörden um das Verfahren gegen Mevlüt K. Gegen ihn wird in Deutschland ermittelt.« Der FDP-Abgeordnete Max Stadler verlangt »im Innenausschuss eine detaillierte Erklärung darüber, was denn mit den unter Folter erzielten Aussagen im Libanon bei uns geschehen ist«, und CDU-Mann Wolfgang Bosbach fragt: »Was haben sich die Verantwortlichen bei dieser Vorgehensweise gedacht?«
Am 9. Januar 2006 erscheint der Focus mit einer kurzen Notiz zur »BKA-Affäre«. Trede erzählt darin eine Episode aus seinem Beiruter Hotelzimmer: Ein libanesischer Oberst »überreichte uns einen ganzen Packen Zettel mit handschriftlichen Verhörnotizen. Diese Unterlagen waren ausdrücklich nicht für die offizielle Ermittlungsakte bestimmt.« Und Wolfgang Bosbach verlangt »umgehend eine Ermittlung zur Aufklärung der BKA-Affäre«.
18. Januar 2006: Während der Kölner Stadt-Anzeiger und die mit ihm verbundene Mitteldeutsche Zeitung in Halle mit einem großen Trede-Porträt erscheinen, tritt in Berlin der Innenausschuss des Bundestages zu einer nichtöffentlichen Sitzung zusammen. Wolfgang Bosbach ist nicht gekommen. Trede ist nicht eingeladen, obwohl es um ihn geht. Dafür hat der BKA-Präsident Gelegenheit, ausführlich seine Sicht auf den Libanon-Einsatz darzulegen.
»Alles, was dort passiert ist, ist in absoluter Regie des Generalbundesanwalts durchgeführt worden«, sagt Ziercke, »es gab keinerlei Hinweis auf Folter.« Trede sei mit dieser Geschichte zu ihm gekommen, um einen »Deal« zu machen, einen »Kuhhandel«, damit sein Telefonverfahren glimpflich endet. Ziercke führt noch das Video von der Festnahmeaktion im Libanon vor, das Trede in den Medien als Folter-Indiz bezeichnet hatte; es ist nichts Schlimmes darauf zu sehen.
Die meistenim Raum sind überzeugt. Der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger bricht eine dicke Lanze für Ziercke: »Es ist unsere Aufgabe, die Exekutive zu kontrollieren. Ich finde aber, es ist auch unsere Aufgabe, uns vor die Exekutive zu stellen, wenn wir wissen, dass nichts, aber auch gar nichts dran war. Ich finde, wir haben als deutsches Parlament dem Herrn Trede lange genug Aufmerksamkeit gewidmet.«
Die Linken und die Grünen haben allerdings noch Fragen; deshalb soll der BKA-Präsident noch einmal in den Ausschuss kommen.
»Eine Art von Outsourcing«
Tags darauf erscheint die Zeit mit einem langen Artikel: »Wie deutsche Ermittler die anrüchigen Dienste arabischer Geheimdienstler nutzten – und von Folter nichts wissen wollten«. Wolfgang Bosbach wundert sich darin, »dass trotz all dieser gravierenden Punkte keine Aufklärung betrieben wurde«, und der Grüne Wolfgang Wieland rügt: »Da ist eine Art Outsourcing entstanden.« Im Artikel steht außerdem, dass Ziercke mit der Zeit ein »ausführliches Hintergrundgespräch« geführt habe; »öffentlich äußern möchte er sich zu diesen Punkten aber nicht.«
Am 6. Februar 2006, zwei Tage bevor der BKA-Präsident noch einmal vor den Innenausschuss tritt, erscheint im Focus eine weitere Meldung. Es ist das letzte Mal, dass der Fall in einem Massenmedium stattfindet. Trede, der das Protokoll der Innenausschuss-Sitzung zugespielt bekommen hatte, behauptet darin, der BKA-Präsident habe den Innenausschuss »belogen«. »Der Oberkommissar sagte zu Focus, Ziercke habe dienstliche Abläufe falsch dargestellt. Auch ein im Innenausschuss vorgeführter Film von der Festnahme der beiden Tatverdächtigen sei wohl manipuliert worden.«
8. Februar 2006. Jörg Ziercke steht noch einmal vor dem Innenausschuss. Ralph Trede ist wieder nicht eingeladen. Ziercke beteuert: »Ich habe Ihnen wahrheitsgemäß berichtet.« Und um zu beweisen, dass das Video nicht manipuliert war, hat er den BKA-Beamten mitgebracht, der es aufgenommen hat. Der nimmt seinen Präsidenten in Schutz.
Ein SPD-Mann meint am Ende ge-nervt: »Meine persönliche Bereitschaft, weitere Lebensarbeitszeit in diesen Sachverhalt zu investieren, ist nicht mehr sehr ausgeprägt.« Der Grüne Wolfgang Wieland bohrt noch nach: »Wurden bei dieser Festnahme eigentlich zwei oder drei Personen festgenommen? Ich habe gesehen, dass zwei auf dem Boden lagen. Wurde möglicherweise noch eine dritte Person, die nicht mit auf dem Videofilm war, bei dieser Gelegenheit festgenommen?« Ziercke antwortet, es seien wohl drei gewesen. Damit ist die Sache irgendwie erledigt.
Den Fremdkörper ausstoßen
Für Trede allerdings noch nicht. Er ist längst zum Fremdkörper geworden in dem Apparat, der einmal seine Heimat war; er muss ausgestoßen werden. Im Mai 2006 leitet das Bundesministerium des Innern ein Entlassungsverfahren ein. Die Liste der Vorwürfe ist lang, darunter »Medienauftritte« und »Geheimnisverrat«.
Mit Tredes Gesundheit geht es wieder bergab. Jedesmal, wenn ein Brief des Ministeriums kommt, fängt seine Nase an zu bluten, und ihm fliegen die Zeilen davon. Manchmal wacht er nachts auf und merkt im Dunkeln recht spät, dass er schon wieder blutbeschmiert ist.
An drei Tagen im Sommer 2006 wird in der Bonner Außenstelle des Ministeriums in dieser Sache vernommen. Trede kann den Beamten befragen, der das Video in Beirut aufgenommen hat, und einen Adjutanten des BKA-Präsidenten. Trede möchte auch Jörg Ziercke vernehmen, aber dazu kommt es nicht.
Im November 2007 kommt ein Schreiben des Ministeriums in Tredes Haus: Das Verfahren wurde eingestellt. Es »konnte der Verdacht eines schuldhaften Verstoßes gegen Dienstpflichten nicht mit der notwendigen, an Sicherheit grenzenden Gewissheit festgestellt werden. Zu Ihren Gunsten gilt die Unschuldsvermutung.«
Ralph Trede ist nach wie vor Angehöriger des BKA. Eine Entscheidung darüber, in welcher Abteilung er in Zukunft arbeiten soll, ist noch nicht gefallen.
Pflegeheim, 3. Akt
»Ich fühle mich wie ein gehetztes Tier«, sagt Petra Richers zur Begrüßung an einem Nachmittag im Januar 2008, wir fahren in ihre kleine Wohnung. Eine halbe Beruhigungstablette hat sie schon genommen. Morgen ist Gerichtstermin in der Kreisstadt, wir werden früh raus müssen. Für sie kein Problem, sie schläft ohnehin seit Monaten miserabel.
Man könne keine großen Sprünge machen mit Hartz IV, erzählt Richers, zumal wenn man viel rauche. Sie greift zu einer Schachtel West. »Normalerweise stopfe ich, aber heute bin ich zu nervös dazu.« Ihre Haare hat sie kupferrot gefärbt, weil sie ein Herbsttyp ist und warme Farben zu ihr passen. Auf den Tisch hat sie gelbe Tulpen gestellt, obwohl Silvester erst ein paar Tage her ist. Sie will, dass Frühling wird.
Die Staatsanwaltschaft habe sämtliche Verfahren gegen das Haus Wendelstein inzwischen eingestellt, erzählt Richers, mit der Begründung, die Bewohner müssten selbst aktiv werden. »Die können das aber gar nicht«, sagt sie, »die sind dement.«
Kleiner Gerichtssaal, kaum Zuschauer
Vor Gericht am nächsten Morgen geht es nicht darum, ob in dem Pflegeheim die Bewohner tatsächlich ausgepresst werden wie Zitronen. Es geht auch nicht darum, ob der Kontrolleur im Landratsamt beide Augen zudrückt und mit den Heimbetreibern gemeinsame Sache macht. Im wohnzimmergroßen Saal B 139 des Landgerichts Traunstein geht es darum, ob Petra Richers verbreiten darf, dass der Heimaufseher seine Kontrollen offenbar ankündigt und möglicherweise korrupt ist. Denn der hat auf Unterlassung geklagt.
Es gibt nicht viele Zuschauer. Die Presse ist in Gestalt einer freien Journalistin da, die noch nicht weiß, wer ihr den Artikel abnimmt. »Wenn Richers gewinnt, könnte das sogar in München gedruckt werden, in Bild oder im Merkur«, sagt sie. Vom Whistleblower-Netzwerk sitzt Antje Bultmann da, die Richers beraten und ihr einen guten Anwalt vermittelt hat.
Sie habe niemals behauptet, der Mann sei korrupt, sondern immer gesagt: »Aus der Akte geht hervor«. Das ist ihre Verteidigungsstrategie, aber sie geht nicht auf. Zeugen werden gehört, mit denen Petra Richers über das Thema gesprochen hat. Zunächst geht es noch um die Frage, ob Richers wirklich jedes Mal »aus der Akte geht hervor« dazugesagt hat. Irgendwann wird das aber auch egal, denn in der Akte stehen ja auch bloß wiedergegebene Gerüchte.
Die letzte Zeugin macht Richers noch einmal Hoffnung: Es ist eine ihrer Vorgängerinnen im »Haus Wendelstein«. Sie sagt, dass das Florida-Gerücht in der Pflegebranche schon kursierte, lange bevor Richers nach Bayern kam. Auch sie hat Schlimmes in dem Heim erlebt, und als sie deshalb zur Heimaufsicht ging, wurde ihr gekündigt. Wegen »Anschwärzen beim Landratsamt«, wie die Betreiber damals begründeten.
»Wer schützt die Bewohner?«
Doch das spielt alles keine Rolle. Schließlich platzt Richers der Kragen, sie wird laut: »Aber wer schützt die Bewohner, die uns anvertraut sind? Wer schützt die Generation, die Deutschland für uns wieder aufgebaut hat? Darum geht es mir!« »Darum geht es hier aber nicht«, entgegnet der Richter, und die junge Rechtsanwältin des Heimaufsehers legt nach: »Seit 2004 verbreiten Sie diese Gerüchte, und das ist verboten!« »Sie müssen den Wahrheitsbeweis antreten«, ermahnt sie der Richter.
Richers hat keine Wahl: Sie unterschreibt eine Unterlassungserklärung. Verstößt sie dagegen, muss sie 250.000 Euro bezahlen oder ein halbes Jahr ins Gefängnis. Der Richter lächelt begütigend und gibt einen Tipp: »Am besten, Sie nehmen den Namen des Klägers einfach nicht mehr in den Mund.«
Bis heute hat Petra Richers keinen neuen Job gefunden; auf 200 Euro Gerichtskosten sitzt die Hartz-IV-Empfängerin immer noch. Im Oberbayerischen Volksblatt erschien zwei Wochen nach der Verhandlung ein kurzer Gerichtsbericht der freien Journalistin, ohne Namen. Und im Pflegeheim hat sich offenbar bis heute nichts geändert.
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