Netzwerk Recherche
Eine schwierige Beziehung
Netzwerk Recherche legt ein 10-Punkte-Programm zur Verbesserung des Verhältnisses von Pressesprechern und Journalisten vor. Fehlverhalten und Defizite gibt es auf beiden Seiten.
von Günter Bartsch
Beim Thema Wahrhaftigkeit sind sich die deutschen Pressesprecher ziemlich einig: Man dürfe bestimmte Sachverhalte auslassen, meinten 83 Prozent von ihnen in der Berufsfeldstudie »Profession Pressesprecher 2007« die am Lehrstuhl für Öffentlichkeitsarbeit der Universität Leipzig im Auftrag des Bundesverbandes deutscher Pressesprecher (BdP) durchgeführt wurde.
6 Prozent teilten mit, das Pressesprecher unter bestimmten Umständen auch lügen dürften. 11 Prozent meinten, sie müssten immer die Wahrheit sagen. In einem Interview in der Zeit (19/2008) drückte es Helmut Schmidts Sprecher Klaus Bölling so aus: »Man muss die Wahrheit gelegentlich dosieren. Wenn Sie zur falschen Zeit etwas andeuten, sind Sie Ihren Kopf los. Spekulieren dürfen Journalisten. Der Sprecher darf sich nicht von Fakten entfernen.« Merkel-Sprecher Ulrich Wilhelm pflichtete ihm bei: »Genau. Aber lügen darf ein guter Regierungssprecher nicht.«
»Flexibler Umgang mit Fakten«
Mit Wilhelms Satz ist nun eine These zum »flexiblen Umgang mit Fakten« im Positionspapier »Die Macht der Pressesprecher – und die Rolle der Journalisten« überschrieben, welches das Netzwerk Recherche (NR) im Februar veröffentlicht hat (www.netzwerk-recherche.de). Der Entwurf für das Papier war von den NR-Mitgliedern bei der Jahresversammlung 2008 diskutiert worden. Damals hatte der frühere VW-Kommunikationsvorstand Klaus Kocks die »Unkultur der gegenseitigen Verachtung« angeprangert (Message 3/2008). Die Beschreibung ihrer Tätigkeit dürfte nicht allen Pressesprechern gefallen: Dass Ausweichmanöver ebenso zum Alltagsgeschäft gehörten wie das Dementieren und das Abblocken unliebsamer Fragen, »sollte für Journalisten zum Grundwissen über diese Berufsrolle gehören«.
Dabei richtet sich das Papier weniger gegen die Pressesprecher als an die eigene Profession: Journalisten machten es den Pressesprechern leicht, wenn sie unzureichend vorbereitet ins Gespräch gingen. Das bestätigt auch erwähnte Studie: 49 Prozent der Pressesprecher beklagten darin, dass Journalisten »zu wenig über die Themen informiert« seien.
Gegenchecks fehlen
Laut NR-Papier versäumen Journalisten häufig, Wahrheitsgehalt und Nachrichtenwert der Botschaften von Pressesprechern zu überprüfen. Auf Gegenchecks werde verzichtet, um Arbeitszeit und Personal zu sparen. Pressesprecher orientierten sich bei der Veröffentlichung von Pressemitteilungen am Zeittakt der Redaktionen. Sie verhinderten dadurch in konfliktreichen Situationen Gegenrecherchen oder engten sie bewusst ein.
Die zunehmende Orientierung an Servicethemen biete ein Einfallstor für PR-Beiträge. Zudem ließen sich Redaktionen immer wieder auf Kopplungsgeschäfte ein, bei denen Anzeigenkunden Gefälligkeitsartikel versprochen würden.
Umgekehrt bestraften Pressestellen kritische Berichterstattung nicht selten mit Informationsentzug und anderen Maßnahmen wie der »diskreditierenden Medienschelte vor Kollegen bis hin zu schriftlichen Interventionen eines Ministeriums oder &sraquo;juristischen Abschreckungsaktionen&slaquo;«.
Solche gehen allerdings häufig nach hinten los: So forderte die Deutsche Bahn im Februar den Blogger Markus Beckedahl (netzpolitik.org) dazu auf, eine Unterlassungserklärung wegen »Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen« abzugeben. Beckedahl hatte zuvor ein internes Memo des Berliner Datenschutzbeauftragten zur Mitarbeiter-Rasterfahndung bei der Bahn veröffentlicht. Zahlreiche Medien berichteten über den Fall – und bescherten der Bahn auf diese Weise reichlich Negativ-PR.
Strukturelle Veränderungen sind nötig
Doch nicht immer geht es um brisante Dokumente. Selbst bei Fragen zu fachlichen Details führt an Pressestellen oft kein Weg vorbei, da die zuständigen Mitarbeiter instruiert werden, Journalisten keine Auskunft zu geben. Im Positionspapier des Netzwerks gibt es dazu einen Ratschlag: »Durch Recherchen im Organigramm der Institution oder die nachdrückliche Bitte um Gesprächspartner mit langjähriger Berufserfahrung kann man Pressesprecher umgehen.«
Das Papier plädiert für drei strukturelle Veränderungen:
- Erstens sollen Institutionen ihren Sprechern fachliche Autonomie garantieren und Rollen-Vermischungen mit Marketingabteilungen, Corporate-Social-Responsibilty-Einheiten oder auf Werbung zielende Arbeitsbereiche ausschließen.
- Zweitens sollen sich nach NR-Auffassung die Berufsverbände der Pressesprecher stärker berufsethischen Fragen widmen, die PR-Kodizes bekannter und für die Praxis relevanter machen sowie Fehlverhalten »deutlich sanktionieren«. Das es hier Nachholbedarf gibt, zeigt die Pressesprecher-Studie: 53 Prozent der Befragten gaben an, die Kodizes nicht zu kennen.
- Drittens wünscht sich das Netzwerk, dass sich die Kommunikationsverantwortlichen der Bundesregierung und der Landesregierungen »die sachliche Vermittlung von Fakten in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen, die Informationspflicht verinnerlichen und die intensive Zusammenarbeit mit externen PR-Agenturen kritisch überprüfen«.
Die Forderung fußt in der Erfahrung, dass Pressesprecher gern Auskunft geben, wenn sie sich davon einen Nutzen für ihre Institution versprechen – jedoch mauern, wenn kritische Fragen gestellt werden. Etwa die politischen Magazine von ARD und ZDF müssten sich meist »mit dürftigen schriftlichen Statements zufrieden geben«. NR-Vorsitzender Thomas Leif betrachtet das Papier als weitere Säule in der programmatischen Ausrichtung des Netzwerks, ergänzend zu bisherigen Leitlinien wie dem Medienkodex: »Die jüngsten Datenskandale bei der Deutschen Bahn, Discountern und der Deutschen Telekom haben belegt, dass in den Pressestellen oft Informationsverhinderung vor Transparenz geht.«
Kritik: »Reichlich schiefe Ebene«
Von Presse-sprechern wird das Papier kritisch beäugt: Klaus Vater, Sprecher von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, erkennt schon im Titel eine »reichlich schiefe Ebene«: »Als ob es die Macht der Journalisten nicht gebe.« Er kenne viele Sprecher, die ihren Job sehr ernst nehmen und deshalb intern ständig Konflikte auf sich laden würden, »weil sie eben informieren wollen.«
Auf der anderen Seite erlebe er ständig Medienleute, deren ausschließliches Interesse darin bestehe, ihre Arbeitsthese zu verifizieren, »die nicht einen Gedanken daran verschwenden, dass Arbeitsauffassungen ohne Belege auch falsifiziert werden müssen, damit die Realität hervortreten kann«.
Ähnliches hat auch Lars Großkurth, Manager bei Reemtsma und BdP-Präsident, erlebt – und daraus die Konsequenz gezogen, mit bestimmten Redaktionen nicht mehr zu sprechen, wenn diese »ausdauernd unsachlich« berichteten. Dies sei die seltene Ausnahme, habe aber gute Gründe: »Wenn man als Objekt der Berichterstattung nicht mal mit den Ergebnissen einer Recherche konfrontiert wird, ist das nicht in Ordnung.« Die Pressesprecher würden sich kritischen Fragen durchaus stellen. Kopplungsgeschäfte würden vom Pressesprecher-Verband »in keinster Weise« unterstützt. Nach seiner Erfahrung kämen aber die Anregungen für solche Geschäfte häufig aus den Redaktionen selbst.
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