Social Media
Gezwitscher im Minutentakt

Vermehrt setzen Redaktionen auf Social-Media-Strategien. Via Mitmach-Newsseiten oder Twitter wollen sie junge Leser erreichen. Resultat: Banalitäten-Beschuss und peinliche Selbstbespiegelung.

von Sebastian Feuß

»Wie isch yigg«, will mir der User »Rewolution« erklären. Was sich liest wie Kölscher Slang ist die Top-Meldung auf der Mitmach-Nachrichtenseite: Yigg. Was »Rewolution« mit Yigg so Tolles anfängt, hat er in zehn Punkten zusammengefasst. Zum Beispiel: »an interessanten Diskussionen teilnehmen/mit Usern flirten (Reihenfolge nachträglich geändert!)«; und: »je nach Laune« auch »Nachrichten einstellen«. Dann folgt noch ein dickes Lob an die Yigg-Mannschaft: »Gutes Konzept. Weiter so«.

Prima Portal-PR. Manche Leser wie UsualRedAnt kommentieren Rewolutions Text begeistert: »¡Rewolution Das ist aber mal nen dickes Stück, (…). Dabei sind die meisten doch zum spielen hier …« Die Identität von »Rewolution« erfahre ich nicht, »Usual-Red-Ant« jedenfalls ist laut Profil als »Hanf-Aktivist, Cannabislobbyist« und »Autor« in Berlin tätig.

Schöne neue Welt

Top-Meldung Nummer zwei auf Yigg: »Über 500$ mit Google AdSense an nur einem Tag.« Ich werde verlinkt zu »Bloggertips.de – Tipps und Tricks rund um Bloggen, WordPress, und SEO«. Bloggertips.de wird laut Webseite betrieben von Richard Olbrecht und Dani Schenker. Ich erfahre: »Richard hat bereits für zahlreiche sehr bekannte Internet-Portale wie Chip.de, DrWeb.de und Spieletipps.de geschrieben. Außerdem ist er der Gründer von BloggerTips. Dani war einer der ersten Besucher auf BloggerTips und hat sich spontan dazu entschlossen, zu dem Projekt als Autor beizutragen. Er bloggt bereits seit Jahren auf zahlreichen eigenen Blogs. Außerdem lebt er zur Zeit in Costa Rica.« Na dann.

Die Nachricht vom 500-Dollar-Super-Gewinn entpuppt sich als schlechter Scherz, den der unerfahrene Internet-Nutzer nicht sofort entlarven kann. Google AdSense ist ein Dienst, der Webseiteninhalte analysiert und passende Werbeanzeigen platziert. Sowohl der Werbende als auch der Webseitenbetreiber bekommt eine bestimmte Geldsumme pro Klick. Dies sind meist Cent-Beträge. Reich wird man davon nicht.

Bloggertips.de hat lediglich ein Netz-Programm ausgegraben, bei dem der gewünschte Gewinn eingetragen werden kann. Anschließend gelangt man auf eine Seite, die das Design der Google AdSense-Seite kopiert. Der Gewinn erscheint, ein Screenshot davon – schon ist der Beweis erbracht, man habe 500 Dollar Gewinn gemacht.

Schöne neue Social-Media-Welt: PR aus unbekannter Quelle, Hanf-Aktivisten und Nachrichten-Fakes. In dieses Umfeld drängt es Deutschlands Medienmacher verstärkt. »Die Redaktionen verschwenden derzeit viel Energie in Dinge, die nicht originär den Journalismus betreffen, ihn jedenfalls nicht verbessern«, sagt der Münsteraner Medienwissenschaftler Christoph Neuberger. Dies betrifft neben Social-Newssites auch die Präsenz in Social-Networks wie Facebook oder den Hype um das Social-Media-Tool Twitter.

Beliebiger Text mutiert zur Top-Meldung

Yigg und Mitbewerber wie Webnews verstehen sich als Nachrichten-Webseiten ohne Nachrichten-Redaktion. Mitmach-Nachrichten nennen sie das. Es werden keine eigenen Inhalte produziert, die User stellen Informationen Dritter ein: Blog-Texte stehen unmittelbar neben Beiträgen der Mainstream-Medien und PR-Texten. »Es findet keine Differenzierung statt, der Journalismus kann sich hier nur schwer als Marke etablieren. Diese Differenzierung ist aber notwendig, um den Mehrwert, die besondere Qualität des Jourmalismus deutlich zu machen«, sagt Neuberger.

Die User bestimmen die Relevanz von Beiträgen, indem sie die Texte bewerten. Bei Yigg funktioniert das …

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