Diskursiver Journalismus
Viel Gerede, aber kein Gespräch
Beruf Krawallmacher – Journalisten jagen Statements hinterher, spitzen zu und heizen Konjunkturen an. Nur ihre gesellschaftliche Aufgabe erfüllen sie kaum mehr: Debatten anstoßen und führen.
von Carsten Brosda
Eine Auslese aus drei Tagen Qualitätspresse im März 2009: Am Montag titelt die Süddeutsche: »Seehofer widersetzt sich der Kanzlerin« (16.3.09), am Dienstag folgt die Schlagzeile: »Seehofer dreht bei« (SZ, 17.3.09). Kurz darauf stellt die FAZ fest: »In der Großen Koalition geht so gut wie nichts mehr« (18.3.09), während an anderer Stelle das Problem präzisiert wird: »Der Kanzlerin entgleitet die Union« (SZ, 18.3.09). Und zwischen alledem – zwischen Amokläufen, einstürzenden Archiven und Prozessen gegen »Inzest-Monster« – fragt der Boulevard ganz aufgeregt: »Warum gibt’s im Osten immer noch mehr Rente?« (Bild, 18.3.09)
Ist das wirklich das »große Selbstgespräch über Dinge, von denen die meisten ein bisschen verstehen und für die sie sich über den individuellen Wirkungskreis hinaus interessieren«, das sich der Politikchef der Zeit, Bernd Ulrich vor rund anderthalb Jahren wünschte (Die Zeit, 6.9.2007)? Wird durch derartige Aufregung »eine so zerklüftete Gesellschaft wie unsere« wirklich zusammengehalten? Dass wir das Gespräch über Sport, Wetter und Politik brauchen, steht fest. Aber findet es auch statt?
Reden wir angemessen über Politik?
Die Vorstellung vom gesellschaftlichen Selbstgespräch ist alt und verweist zurück auf zeitungswissenschaftliche Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert. Zugleich aber reicht sie auch an den Kern dessen, was wir von öffentlicher Kommunikation erwarten müssen, wenn wir Demokratie leben wollen. Die Unterstellung, dass wir uns öffentlich auf Gemeinsames einigen können, ist schließlich Voraussetzung dafür, dass wir Interessenkonflikte in Verfahren domestizieren und vernünftige Problemlösungen erarbeiten können.
Gesellschaftliche Öffentlichkeit muss heute in Teilen das zwischenmenschliche Gespräch ersetzen, das nicht mehr ausreicht, um Zusammenleben in einer 80-Millionen-Gesellschaft zu koordinieren. Das, was unsere Vorfahren im kleinen Kreis besprechen konnten, debattieren wir medial vermittelt. Zumindest unterstellen wir, dass diese Debatte möglich ist.
Zeit-Politikchef Ulrich sieht primär den Journalismus in der Pflicht, dieses große Selbstgespräch der Gesellschaft zu initiieren und in Gang zu halten. Dem Journalismus werden damit große Erwartungen aufgebürdet. Aber reden wir in Deutschland eigentlich noch so über Politik, wie es einer Demokratie angemessen ist? Kommt alles zur Sprache, was von Bedeutung ist? Spielen Argumente überhaupt noch eine Rolle? Oder ist der Journalismus mit solchen Anforderungen nicht zunehmend überfordert?
»Alles eine Rederei«
Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung zu sein in unserer liberalen Öffentlichkeit: Es wird schließlich viel geredet in Deutschland. Oft auch so, dass es alle mitbekommen können. »Alles eine Rederei«, wie eine arg selbstreferenzielle Fernsehdebatte über Talkshows einmal verkündete: Wir reden über neue Superstars und alte Helden. Über Skandale und Affären. Über Verfehlungen und Verheißungen. Auch über politische Vorhaben, Reformen, Gesetze und ihre Betroffenen. Geredet wird in Pressekonferenzen, in Talkshows, in Fernsehstudios, in Büros, in Hinterzimmern, in Kneipen, auf der Straße. Es reden die Politiker, die Lobbyisten, die Verbandsvertreter, die Arbeitgeber, die Gewerkschafter und zwischendurch immer mal auch der gern gehörte »kleine Mann«, …
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