Henri-Nannen-Preis
»Die Hauptjury war auch begeistert«
Trotz Medienkrise erhielten die Juroren desHenri-Nannen-Preises diesesJahr mehr exzellente Arbeiten als je zuvor. Doch auch die Kritik anihrer Arbeit nimmt zu, von Mauscheleien ist die Rede. Peter Sandmeyer,Organisator des Preises, nimmt zu den Vorwürfen Stellung.
von Albrecht Ude
Seit Jahren wird in denMedienredaktionen Personal abgebaut, inzwischenauch in Magazinredaktionen wie Spiegel und Stern. Hat sich dies auf dieBewerbungen für den Henri-Nannen-Preis ausgewirkt?
Sandmeyer: Glücklicherweise nicht. Mit 878 Einreichungenhaben wirziemlich genau die gleiche Zahl an Arbeiten bekommen wie in denVorjahren.
Nehmen wir den Egon-Erwin-Kisch-Preisfür Reportage, er gilt als der renommierteste der Preise. Wie groß war eigentlich der Anteilan Tageszeitungs-Reportagen unter den Einreichungen?
Sandmeyer: Die Magazineführen mit rund 90 Einreichungen, esfolgen die überregionalen Tageszeitungen mit knapp 80, dann dieregionalen Tageszeitungen mit knapp 70; Wochenzeitungen und dieMagazine der großen Tageszeitungen haben jeweils etwa 20 Arbeiteneingereicht.
>Die am Ende nominierten Reportagen kommen wie stets von Spiegel, Geound Die Zeit, aber von keiner Tageszeitung. Woran liegt das?
Sandmeyer:Schlicht gesagt daran, dass die besten Reportagen des Jahres inSpiegel, Geo und Zeit erschienen sind. Es gibt ja keine Quote fürTageszeitungen.
In den vergangenen Jahren gab es Kritik an der Vorjury, deren Auswahloft nicht nachvollziehbar und deren Kriterien nicht transparent seien.Was hat sich da geändert?
Sandmeyer: Wir haben das Auswahlverfahren in den letzten dreiJahren fortlaufend verändert und verbessert. Heute haben wir zweispezialisierte Vorjurys mit jeweils drei Mitgliedern für dieKategorien Fotografie und Investigation sowie sieben Vorjurys fürdie Kategorien Reportage, Dokumentation und Humor. JedeText-Einreichung in diesen Kategorien wird von drei Vorjurys gelesen,zwei erfahrenen Kollegen aus den Redaktionen großer Zeitungenoder Magazine und dem Team einer Journalistenschule. DieHenri-Nannen-Schule in Hamburg macht mit, die BerlinerJournalistenschule, die Evangelische Journalistenschule, dieAxel-Springer-Akademie, die Zeitenspiegel-Reportage-Schule inReutlingen, die Deutsche Journalistenschule München und dieSchweizer Journalistenschule.
Wissen demzufolge die Lehrlinge besser,was gut ist, als die Meister?
Sandmeyer: Sicherlich nicht. Aber dieStudenten der Journalistenschulen haben eine andere Wahrnehmung. Siehaben noch nicht so viel gelesen wie die Älteren, vergleichenweniger, sind unbefangener und leichter zu begeistern. Das drücktsich in ihren Bewertungen aus und stößt interessanteDiskussionen an. Die Juroren bewerten ja unabhängig voneinanderjede Arbeit mit null bis zehn Punkten.
Bei der Auswertung zeigt sich, welche Arbeiten am besten bewertetwurden und bei welchen die Wertungen sehr stark differierten. Die Listedieser Arbeiten geht dann noch einmal rum und dient als Grundlagefür ein Treffen der Vorjuroren in Hamburg, bei dem – sehrlange und sehr leidenschaftlich – diskutiert und dann entschiedenwird, welche Einreichungen an die Hauptjury weitergegeben werden.Dieses Verfahren, an dem ja mehr als 30 Vorjuroren beteiligt sind, istsehr aufwändig, aber eben auch sehr sorgfältig und vollkommentransparent.
Viele Beobachter fanden auch, dass dieHauptjury einen bestimmten Reportagestil bevorzuge, wie er vor allem von den Reportern des Spiegelin den vergangenen Jahrzehnten kultiviert worden ist. Man müsseder Jury nach dem Mund schreiben, sagen viele – undbegründen damit auch, warum so selten eine Zeitungsreportage zumZuge kommt. Sehen Sie das auch so?
Sandmeyer: Die Jury hat janicht einen Mund, sondern zehn, und die sind– Gott sei Dank – sehr verschieden. Aus denen kommen auchsehr unterschiedliche Ansichten und Urteile. Der Jury nach dem Mund zuschreiben, dürfte also ein ziemlich schwieriges Projekt sein. ImErnst: Der Eindruck, die Juroren würden einen bestimmtenReportagestil bevorzugen, ist sicherlich falsch. Wenn Sie sich dienominierten Texte des vergangenen und dieses Jahres anschauen, werdenSie ganz unterschiedliche Stile feststellen. Richtig aber ist, dass dieneuartigen Teamarbeiten von Spiegel-Reportern gerade bei dengroßen Themen unserer Zeit wie der Finanz- und Wirtschaftskriseimmer wieder zu exzellenten Reportagen und Dokumentationen geführthaben, die durch Quantität wie Qualität die Reportagetextevon Tageszeitungen an die Wand drängen. Wir müssen unsüberlegen, ob und wie wir die unterschiedlichenHerstellungsbedingungen solcher Texte – die klassischeTageszeitungs-Reportage entsteht ja meist unter vielgrößerem Zeitdruck und hat viel weniger Platz – beimNannen-Preis stärker berücksichtigen können.
Im vergangenen Jahr wurde auch dieArbeit der Hauptjury kritisiert. Da sei nachträglich noch ein Text unter die drei Besten aufgenommenworden. Haben die Juroren der jeweiligen Disziplin – nehmen wirdie zwei begehrtesten: Reportage und Investigation – völligfreie Hand? Setzen sie sich auch mal über die Empfehlungen derVorjuroren hinweg?
Sandmeyer: Die Vorjurorengeben keine »Empfehlungen«, sondern legen der Hauptjury eine Kollektion von rund 40 Texten vor, von denen die besten 12 nominiert werden. Bei dieser Auswahl hat dieHauptjury freie Hand. Die Nominierungen werden nach derJury-Entscheidung veröffentlicht. »Nachträglich«ist noch nie ein Text »unter die drei Besten« aufgenommenworden.
Auch dieses Jahr haben sich Beobachterdarüber erregt, dass Mitglieder der Hauptjury – zum Beispiel Spiegel-ChefredakteurGeorg Mascolo, Geo-Chef Peter-Matthias Gaede und Zeit-ChefredakteurGiovanni di Lorenzo – nach Meldeschluss noch Texte aus dereigenen Redaktion nachgereicht hätten.
Sandmeyer: Diese Erregungscheint mir im Wesentlichen ein professioneller Reflex notorisch argwöhnischer Medienjournalisten zu sein. Was ist aufregend daran, dass ein Juror seinem Eindruck folgt,eine wichtige Arbeit sei von den Vorjuroren übersehen oder falschbeurteilt worden und sie dann seinen Co-Juroren noch zur Beurteilungvorlegt? Er manipuliert nichts, er mauschelt nicht, er stellt sich demkompetenten und meistens auch sehr deutlichen Urteil seiner Kolleginnenund Kollegen in der Jury. Trotz aller Gewissenhaftigkeit der Vorauswahlist die Möglichkeit für Juroren, Arbeiten nachzunominieren,ein wichtiges Instrument, das zusätzliche Sicherheit schafft– wie die Notbremse im Intercity.
Wenn es sich um Arbeiten ausdem eigenen Stall handelt, hat das für viele ein»Gschmäckle«. Sollten die Juroren nicht konsequent inden Ausstand treten?
Sandmeyer: DieGeschäftsordnung für die Jury ist in diesemPunkt ganz klar. Es heißt darin: »Die Juroren halten sichbei der Diskussion über Arbeiten aus ihrem Haus zurück undenthalten sich bei der Abstimmung über sie der Stimme.«
Sprechen wir über die Kategorie »Investigation«, ebenfalls Prunkstück des Henri-Nannen-Preises. Ein Streitpunktdrehte sich um die Frage, wer den »Vertuschungs-Skandal«nach der Tankwagen-Bombardierung am Kundus zuerst enthüllt hat:die Bild-Zeitung oder die Süddeutsche. Angeblich soll die Arbeitder Bild-Redakteure nachträglich unter dieprämienwürdigen Einreichungen aufgenommen worden sein.
Sandmeyer: Bei investigativen Arbeiten gibt es verschiedene Kriterien der Beurteilung. Eines ist sicherlich die Wirkung einerVeröffentlichung. Ein anderes die investigative Leistung, die zudieser Veröffentlichung geführt hat. Diese Leistungließ sich von der Vorjury für die Kundus-Enthüllung derBild-Zeitung zunächst nicht zuverlässig beurteilen. Andereinvestigative Leistungen waren deutlicher und deutlich besser undwurden von der Vorjury deswegen bevorzugt. Noch vor der ersten Sitzungder Hauptjury gab es dann aber weitere Erkenntnisse über dieRecherchen, die der Veröffentlichung von Bild zugrunde lagen. DieVorjury hat daraufhin ihr Urteil korrigiert und dieBild-Enthüllung zusätzlich in die Endrunde geschickt.
War die Vorjury bei der Überprüfung dieser Rechercheleistung überfordert? Nach wenigen Minuten Datenbankrecherche weißman, dass Jan Meyer und Julian Reichelt von der Bild-Zeitung am 26.November 2009 als Erste den internen Feldjäger-Berichtveröffentlichten, der belegt, dass Minister Jung wegen derZivilopfer die Unwahrheit gesagt hat.
Sandmeyer: Wenn eineEnthüllung die Erste ist, ist das gewiss einKriterium für die Bewertung der journalistischen Leistung. Abereben nur eines. Mindestens ebenso wichtig sind doch Fragen wie: Wiesind die Reporter an ihre Informationen gekommen? Sind die durch eigeneRecherchen erarbeitet oder von einem Informanten –möglicherweise gegen Geld – angeboten worden? Sind dievielleicht sogar in einem Bieterwettbewerb mehrerer Redaktionenersteigert worden? Nicht dass so etwas ehrenrührig wäre, abereine dolle investigative Leistung wäre das ganz gewiss nicht.
Es waren solche Fragen, die für die Bild-Enthüllungzunächst nicht geklärt werden konnten. Da hat es weder anKompetenz der Vorjuroren gefehlt noch an Recherchen-Fleiß,sondern an Informationen der Kollegen von Bild, die esermöglichten, ihre Arbeit zu beurteilen. Diese Informationen sinddann nachgeliefert worden.
Schließlich wurden in dieserKategorie neben dem Spiegel zwei Recherchen von Tageszeitungen nominiert. Zeigt sich darin einestärkere Beachtung des tagesaktuellen Journalismus?
Sandmeyer: BeideNominierungen sind Folgen von mehrerenVeröffentlichungen, die geradezu beispielhaft die Kunst und dieKraft der investigativen Arbeit vorführen.
Mit mehr als 30 Artikeln und immer neuen Enthüllungen haben Klaus Ott und seineKollegen von der Süddeutschen Zeitung den Skandal um den Kauf derHypo Alpe Adria durch die Bayern LB durchforstet, Widersprücheaufgedeckt, Unwahrheiten an den Tag gebracht, Kumpanei und Korruptionsichtbar gemacht. Und nicht weniger respektabel war die Recherche vonzwei Kollegen der Aachener Zeitung, die – ebenfalls in einerSerie von Veröffentlichungen – das Geflecht vonUngereimtheiten und Verschleierungen um den Gefängnisausbruch inAachen auseinander nahmen und ihre Landes-Justizministerinschließlich der Fehlinformation und Falschaussageüberführten.
Beide Nominierungen zeigen mustergültig,wie Journalisten »dranbleiben« an einem Skandal, nichtlocker lassen, sich nicht abspeisen lassen mit offiziellenVerlautbarungen, immer wieder nachfassen und die Wahrheit ans Lichtzerren, Stück für Stück. Das können Tageszeitungenanders und besser als Magazine.
>Wenn Sie die diesjährigenEinreichungen mit jenen frühererJahre vergleichen: Wie steht es um den deutschen Journalismus und seineLeistungen – sinkt das sprachliche Niveau, schwindet der Biss,wie allenthalben geklagt wird?>
Sandmeyer: Es grenzt an einWunder, aber trotz – oder vielleichtgerade wegen – der wirtschaftlichen Krise, in der Verlage undRedaktionen stecken, war das Niveau der Einreichungen beimHenri-Nannen-Preis noch nie so hoch wie in diesem Jahr.
Man kann den Eindruck gewinnen, die Journalisten reagierten auf die Herausforderungder ökonomischen Bedrohung mit einem Kreativitätsschub undeiner Qualitätsoffensive. Vorjuroren klagen, dass es kaum nochArbeiten gibt, die sie nach zwei, drei Absätzen zur Seite legenkönnen – und freuen sich natürlich gleichzeitigdarüber. Auch in der Hauptjury herrschte regelrechte Begeisterungüber die Vielzahl hervorragender Texte, die dann allerdings dieWahl der Allerbesten sehr schwer macht.
Sollte man darum in Zukunftstatt »die beste Arbeit« lieber mehr Kandidaten nominierenund dann »die drei besten Arbeiten« gleichrangigprämieren?
Sandmeyer: Natürlich würde man am liebstendie doppelte oder dreifache Anzahl Arbeiten nominieren und viel mehrPreise vergeben. Aber es ist eben beim »Henri« wie beim»Oscar«: Den gibt es ja, egal wie viele exzellente Filme imWettbewerb sind, pro Kategorie auch nur einmal.
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