Editorial
das hektische Hecheln nach Anerkennung, verbunden mit der Sucht, sich dauernd in Szene zu setzen: Diese Krankheit nennt der Volksmund Hysterie. Die Aufgeregtheit, mit der Medienmacher jede technikgetriebene Innovation umjubeln, trägt hysterische Züge.
Ein Blick in eine normal aktive Medienredaktion zeigt dies: Wir twittern alle, bringen täglich ein neues Video und viele Slideshows, schreiben unseren Usern griffige Blog-Einträge, posten unsere Website bei Facebook, Xing und Youtube, testen Shortnews, stellen ein Set neuer Apps zusammen und stricken an einem Content, der auf Smartphones, bald auch auf dem iPad und anderen E-Readern läuft. Wir lesen täglich zehn Mail-Newsletter und zehn Branchen-Blogs, haben zu 25 Sites RSS-Feeds gelegt, setzen ständig neue Google- und Yahoo-Bookmarks und bearbeiten unsere E-Mails auch im Auto, in der Bahn und während der Pressekonferenz. Täglich rufen wir die Nutzerdaten unseres Onlineauftritts und die der Konkurrenten ab oder verfolgen die Klickraten in Echtzeit auf dem Monitor, checken die Zahl unserer Follower und filtern die Einträge bei Meedia, Horizont, Wuv, Kress, Turi2 und so weiter, von den vielen amerikanischen Blogs und Plattformen ganz zu schweigen. Hart recherchieren und profunde Texte schreiben? Leider keine Zeit.
Vielleicht kommt diese Hysterie daher, dass Redaktionen und Journalisten sich nach der Anerkennung sehnen, die ihnen ihre Verlagschefs seit ein paar Jahren verweigern. Dass sie Angst haben, abgeschoben zu werden und unterzugehen. Man kann diese Angst angesichts neuer Entlassungswellen in verschiedenen Redaktionen gut verstehen. Und doch führt das Anhimmeln der Techno-Hypes ins Kopflose, es entstellt den Journalismus und macht ihn am Ende entbehrlich. Dass umgekehrt der Journalismus die neuen Technologien zur Stärkung seiner Rolle in der Gesellschaft nutzen sollte, ist das Hinter-grundthema dieser Ausgabe – und Mittelpunkt unserer Themenstrecke.
Im hinteren Teil des Heftes werden Sie eine Neuerung finden: das »Podium« genannte Special. Nachfragen zeigten, dass ein großer Teil unserer Leser die »Werkstatt«-Beilage kaum nutzt, sie vielmehr für einen Service hält, den Berufseinsteiger brauchen können. Ob dies eine zutreffende Einschätzung ist, bleibe dahingestellt. Entscheidend war für uns, dass die befragten Message-Leser größeren Wert auf Informationen über aktuelle Trends des Medienwandels, des Medienmanagements und der praktischen Medienforschung legen.
Mit unserem »Podium«, Nachfolger der Werkstatt, kommen wir diesem Wunsch nach – und eröffnen die Reihe mit der Dokumentation der IPJ-Fachtagung »Für die Zeitungen von morgen – Crossovertrends zwischen Print und Online«, welche im Februar in Leipzig stattfand.
Dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, diese Neuerung mit Gewinn nutzen werden, wünscht sich
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