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Fakten checken, Spuren löschen
Recherchieren Journalisten im Internet fahrlässig,können Falschmeldungen entstehen. Vielgefährlicher aber sind die Spuren, die manche im Netzhinterlassen. Durch sie droht sogar der Quellenverrat.
von Albrecht Ude
Nicht alle Journalisten wissen richtig mit dem Internet umzugehen, wiezahlreiche Presseenten zeigen, die durch kompetente, strukturierteOnline-Recherche hätten vermieden werden können.
Eine der bekanntesten Enten, die durch das Netz in Umlauf gebrachtwurden, sind die Forderungen des »Bund Deutscher Juristen«.Am 1. Januar 2006 verbreitete Associated Press dessen Pressemitteilung.Der Verein unterstütze die »Folterforderung vonBundesinnenminister Schäuble«. Der Vorsitzende desRichtervereins, Claus Grötz: »Die Gewinnung von Aussagenmittels leichter Foltermaßnahmen und die Verwertung solcherAussagen sind zukünftig möglich zu machen.« Die perE-Mail verbreitete Pressemeldung verwies auf die Webseitebunddeutscherjuristen.org des angeblich 1952 gegründeten Vereins.Zahlreiche Medien, darunter MDR, N-TV, WDR und Spiegel Online brachtendie Meldung.
Vielleicht hatten die zuständigen Redakteure sogar im Netzrecherchiert und waren auf die Wikipedia-Artikel zum »BundDeutscher Juristen« und zu »Dr. Claus Grötz«gestoßen. Doch beide gibt es nicht.
Zum Beispiel hätte bereits stutzig machen können, dass dieWebseite des Bundes Deutscher Juristen kein Impressum hat, wie esdeutsches Recht vorschreibt. Was auch bei solchen Seiten nichtgefälscht sein kann: die URL-Adresse. Mit der simplen Frage»Wem gehört diese Webseite und wer betreibt sie?«hätte man den Fake entlarvt.
Rechercheaufwand: Zwei Minuten
Für Webseiten mit unterschiedlichen Endungen sind in der Regelauch unterschiedliche Organisationen zuständig. Beispielsweise istdas Deutsche Network Information Center (Denic) für alle Domainszuständig, die auf .de enden. Über die Root Zone Database(www.iana.org/domains/root/db), eine Art Nachschlagewerk fürWebadressen, die von der US-amerikanischen Internet Assigned NumbersAuthority (IANA) betrieben wird, lässt sich die zuständigeOrganisation nachrecherchieren und über einen Direkt-Linkerreichen.
Die Webseite des Bundes Deutscher Juristen endete auf .org. Somit istdie Organisation Public Interest Registry (PIR) zuständig. Dortnachgeschaut erfährt man über eine»Who-is«-Suchfunktion, dass bunddeutscherjuristen.org am28.12.2005 eingerichtet wurde – nur drei Tage vor derPressemeldung (http://pir.org/node). Die Domain gehört einerUS-Firma, die mit der Dienstleistung Geld verdient, die Namen ihrerAuftraggeber zu verschweigen.
Die Root Zone Database aufzurufen, dem Link zur Who-is-Datenbank zufolgen und dort den Domain-Eintrag nachzuschlagen, dauert etwa zweiMinuten.
Wikipedia-Eintrag, um PM zu decken
Am Tag, an dem die Ente über den Bund Deutscher Juristen dieRunde machte, gab es auch Wikipedia-Einträge über den Vereinund seinen angeblichen Vorsitzenden Claus Grötz. BeideEinträge wurden von Mitgliedern der Wikipedia-Community an diesemTag als »Fake« enttarnt und gelöscht. Schon vorherhätte ein Klick auf den Link »Versionen/Autoren«gereicht, um zu erkennen, dass die Einträge »just intime« für die Pressemeldung eingerichtet wurden. Dieser Linkist in jedem Wikipedia-Artikel vorhanden.
Der falsche »Wilhelm«
Auch in einem anderen Fall ließ sich die entscheidendeErkenntnis mit einem Klick erlangen: Als Karl-Theodor zu Guttenberg imFebruar 2009 zum Bundesminister für Wirtschaft und Technologieernannt wurde, nannten viele Medien den Nachnamen und die zehn Vornamendes fränkischen Adligen.Einige Medien aber unterstellten ihm einen elften, den er gar nichtträgt: »Wilhelm«. Die Bild-Zeitung brachte denfalschen Namen auf der Titelseite über dem Bruch. Er fand sichaber auch im Netz auf Spiegel Online, handelsblatt.com, taz.de,sueddeutsche.de, heute.de und vielen anderen Medien.
Zur Aufklärung des Fakes führte ein Eintrag am 11. Februar2009 im Bildblog. Ein anonymer Gastautor erläuterte, dass er demWikipedia-Eintrag »Karl-Theodor zu Guttenberg« den»Wilhelm« hinzugefügt habe: »Ich fragte mich, obes jemand merken würde«, schreibt er anonym.
Zwar waren andere Bearbeiter des Artikels in Wikipedia (den es ja schongab), zunächst skeptisch. Für den neuen, unbekanntenVornamen, der am 8.2.2009 um 21:40 Uhr eingefügt wurde, verlangtensie einen Beleg. Sie akzeptierten den falschen Namen aber, als ihnStunden später Spiegel Online in einem wörtlichen Zitatführte, und zwar so, als antworte Herr zu Guttenberg auf die Fragenach seinem Namen mit 11 Vornamen, inklusive Wilhelm.
Netz als Recherche-Sprungbrett
Auch in diesem Fall hätten Redakteure mit einem Klick auf dieVersionsgeschichte in Wikipedia erkennen können, dass mit dem erstseit zwei Tagen bekannten Vornamen Wilhelm etwas nicht stimmt.
Außerdem lässt sich die freie Internet-Enzyklopädieals Sprungbrett nutzen, zum Beispiel über die»Weblinks«, die unter dem Artikel stehen. Ein Klick auf»Literatur von und über Karl-Theodor zu Guttenberg imKatalog der Deutschen Nationalbibliothek«, dort ein weiterer aufdie »Personennormdatei«, und der korrekte Name steht aufdem Bildschirm. Auch ein Anruf beim vorherigen Arbeitgeber Guttenbergs,der CSU, wäre hilfreich gewesen.
Verwandtschaft ausgeschlossen
Nachdem Guttenberg zum Wirtschaftsminister ernannt worden war, kames zu einem weiteren Recherche-Patzer. Die »Von GuttenbergGmbH«, ein Groß- und Einzelhandelsunternehmen, informiertbis heute auf ihrer Webseite (www.vonguttenberg.de/zu_guttenberg.html):»Aufgrund nicht zutreffender Informati-nen (u.a. Focus Online,Tagesspiegel, Spiegel Online u.a. basierend auf einer DPA-Mitteilung)wird unser Fachgroßhandel für Trockenbau, Isoliertechnik undDämmstoffe mit dem CSU-Generalsekretär Dr. Karl-Theodor zuGuttenberg in Verbindung gebracht. Hiermit informieren wir Siedarüber, dass es sich hierbei um Fehlinformationen handelt.«
Die Firma nennt bereits auf ihrer Startseite drei Telefonnummern.Kein Journalist der betroffenen Medien scheint sie genutzt zu haben.
Fatale Wikipedia-Gläubigkeit
Die unreflektierte Wikipedia-Gläubigkeit hat manchmalschlimmere Konsequenzen als in den geschilderten beidenEulenspiegel-Streichen. Über einen schwerwiegenden Fall berichtetejüngst Christoph Schult im Spiegel (10/2010). Unter derÜberschrift »Im Zweifel gegen die Opfer« schreibt erüber die schleppenden Entschädigungen für ehemaligejüdische Zwangsarbeiter in Ghettos des in der Nazizeit vonDeutschland besetzten Polen. Viele Anträge wurden von derzuständigen »Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz«in Düsseldorf und von angerufenen Nordrhein-WestfälischenGerichten abgelehnt. Auf sehr zweifelhafter Grundlage, wie Schultschreibt: »Historiker wurden bei den Entscheidungen anfangs nichtzu Rate gezogen. Lieber verließen sichVersicherungssachbearbeiter und Richter auf oberflächlicheNachschlagewerke wie das Internetlexikon Wikipedia. In vielenFällen behaupteten sie, es habe in der betreffenden Stadt gar keinGhetto gegeben.«
Doch die Nichterwähnung eines Sachverhaltes (zum Beispiel einesGhettos) ist kein Beleg für die Nichtexistenz. Hier zeigt sicheine fatale Internet- und Wikipedia-Gläubigkeit.
Die richtige Site für die Recherche-Frage
Bei kompetenten Online-Recherchen müssen die eingesetztenSuchwerkzeuge und die angewendeten Methoden zu den gestellten Fragenpassen. Ein Beispiel: Wer nach einem Buch sucht, kann danach googeln.Wer nach der korrekten Titelaufnahme für das Buch sucht, ist mitdem Katalog der zuständigen Nationalbibliothek (in Deutschland dieDeutsche National Bibliothek, d-nb.de) besser bedient. Wer das Buch auseiner Bibliothek (möglichst in der Nähe) entleihenmöchte, sollte einen Verbundkatalog (etwa den Virtuellen Katalogder Universität Karlsruhe, KVK) konsultieren, und wer das Buchkaufen möchte, sucht am besten bei einem kommerziellen Anbieterwie Libri oder für alte Bücher beim Zentralen VerzeichnisAntiquarischer Bücher (ZVAB). Diese Entscheidung und das Vorwissenkann kein Suchwerkzeug dem Suchenden abnehmen.
Gottesgeschenke für den Rechercheur
Gefährliche Wissenslücken gibt es bei den Metadatendigitaler Dokumente und der sicheren elektronischen Kommunikation.Beides berührt den Informantenschutz. So kam es im Oktober 2007beim Spiegel durch ein unachtsam zusammengestelltes Dossier imPDF-Format zum Quellenverrat.
Metadaten sind Angaben über Inhalt und Entstehung desDatei-Inhaltes. Es gibt sie in fast allen Datei-Formaten. Werbeispielsweise eine neue Word-Datei im Verzeichnis »EigeneDateien« speichert, hat bereits drei solcher Spuren darinhinterlassen. Standardmäßig trägt Word Autor und Firmain die »Datei-Informationen« ein.
Lässt der Nutzer diese Felder frei, übernimmt Wordstattdessen die Angaben, die bei der Registrierung des Programmeseingetragen wurden. Auch der Speicherort wird im Dokument vermerkt (als»C:Dokumente und Einstellungen[Nutzerverzeichnis]EigeneDateien«). Das »Nutzerverzeichnis« ist dabei oft derName oder das Kürzel des Dateiautors – ein relevanterHinweis auf die Quelle.
Das Wissen um solche Metadateien, die man auf dem Bildschirm oderausgedruckt nicht sehen kann, benötigt jeder Journalist: Zwarkönnen sie bei der digitalen Veröffentlichung von DateienFallstricke sein – für einen Rechercheur sind sie aberGottesgeschenke.
Durch Mausklick eigene Daten hinterlassen
Auch beim ganz normalen Surfen verrät jeder User vielesüber sich im Netz. Wie viel, lässt sich testen: Wer den»Privacy Test« auf tools-on.net klickt, dem zeigt dieWebseite an, welche Daten allein durch diesen Mausklick an denWebserver geflossen sind: IP-Adresse, Browserversion, Betriebssystem,Referer (das ist die Webseite, über die man per Link gekommen ist)und vieles mehr. Besonders heikel: Wer unter »Client‘shostname« oder »Preferable Mail Server« den Namen deseigenen Mediums liest, hinterlässt bei jedem Surfen im Internetquasi die eigene Visitenkarte.
Weiterführende Links:
»Handbook of Journalism« von Reuters mit einem Abschnitt»Reporting from the Internet and using social mediahandbook.reuters.comDiskussion über Recherchestandards:recherche-standards.wikispaces.com
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