Editorial

Liebe Leserinnen, Liebe Leser
Michael HallerLutz Mükke

wie oft zücken Sie im Laufe des Tages ihr Smartphone, um rasch draufzuschauen: Wer twittert, woher kommt diese Linkzeile, was bringt jetzt das RSS-Feed? Wofür eigentlich brauchen wir diese zusammenhanglosen, im Sekundentakt abgefeuerten Infos über Politiker-Statements, Katastrophenbilder, Umstürze und Börsenkommentare? »Liveticker« heißt ein neuer Aktualitätswahn. Was einst die Domäne der Börsen- und Sportdienste war, ist heute im Newsgeschäft angesagt. Wie Kollegen großer europäischer Zeitungen mit diesem neuen Phänomen umgehen, lesen Sie im Heft.

Nicht nur schneller, auch konfektionierter läuft die Medienproduktion, vermutlich, weil die Medienmacher im marktabsichernden Mainstream schwimmen. Die Betroffenen sind die sich langweilenden Leser – und die freien Autoren, die bei sinkenden Honoraren mit immer rigideren Briefings und Deadlines auf Kurs gehalten werden sollen. Gleichzeitig wächst die Zahl der Freien dramatisch an, sie kämpfen um jeden Auftrag, von Solidarität keine Spur.

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere zeigt gute Marktchancen und interessante Arbeitsfelder – und neue Modelle der Kooperation. Beide Seiten – die Medienredaktion und die freien Autoren – genauer zu beleuchten und unseren Lesern Orientierungshilfe zu geben: Dies soll unser Themenschwerpunkt leisten. Denn aktuelle Studien und Umfragen belegen, dass Fairness im Zusammenspiel zwischen Redaktion und Freien wie auch professionell organisierte Kooperationen zu deutlich besseren journalistischen Produkten führen.

In diesem Zusammenhang haben wir uns auch den alten Streitfall Jungblut/Geo genauer angesehen. Und fanden ihn aufschlussreich. Nicht als Geo-Bashing, sondern im Sinne eines Lehrbeispiels, wie Probleme des Textmanagements vermieden werden können, dokumentieren wir jene Textredaktion. Aber auch umgekehrt: Dass die sture Eigenbrötlerei mancher Edelschreiber nicht mehr funktioniert, haben vor allem junge Freie erkannt. Sie organisieren sich zunehmend über Recherche- und Themenprojekte und erproben neue Finanzierungswege wie Crowdfunding und Micropayment – ein mutmachender Trend.

Übrigens waren es überwiegend freie Korrespondenten, Stringer und Reporter, die in der arabischen Welt hautnah und unter oftmals bedrohlichen Umständen die Revolten beobachtet haben. Welche Rolle dabei Al Jazeera gespielt hat (und spielt), erzählt die Journalistin Sherine Tadros im Message-Interview.

Zu den Demokratie fördernden, dabei lebensgefährlichen journalistischen Leistungen gehören immer wieder die enthüllenden Recherchen osteuropäischer Kollegen. Sie finden zwei herausragende Arbeiten in dieser Ausgabe protokolliert. Beide sind übrigens das Resultat von Teamwork: die Recherche einer lettischen Journalistin und eines irischen Kollegen über kriminelle Banden, die in Europa mit Scheinehen junge Frauen ins Verderben reißen; und die Recherchen zweier russischer Reporter, die über die Strukturen des russischen Geheimdienstes FSB berichten.

Dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, auch die anderen Berichte und Analysen in dieser Ausgabe mit Gewinn lesen, wünschen sich Ihre Message-Herausgeber

Michael Haller

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