Freie Journalisten
Kluge gehen auf Augenhöhe
Viele Redaktionen behandeln das Heer der freien Journalistenwie ein Lumpenproletariat. Sie beuten die Notlage für sich aus.Eine Umfrage zeigt, dass Kooperation zu besserem Journalismusführt.
von Michael Haller
Haben Sie die aufregende Geschichte über das vermeintlichtrockene Thema »Arbeitsvermittlung« in der April-Ausgabevon Brand Eins gelesen? Wenn nicht, sollten Sie es nachholen, damit Sieerfahren, wie Joachim Burg, Abteilungsleiter im Mannheimer Jobcenter,so gut wie kein Zweiter in dieser Republik ausgerastete Jugendliche ansArbeiten heranführt. Wie er und seine Mitarbeiter die seelischenNöte der jungen Leute ernst nehmen, wie sie Vertrauen aufbauen undgeeignete Arbeitsplätze für sie finden. Wie das Burg-Team infünf Jahren die 1.200 vermeintlich hoffungslosen Fälle auf 54reduzierte: Dies alles erzählen die Autoren Massimo Bognanni undJohannes Pennekamp, zwei freie Journalisten, die mit einem drittenKollegen das Reporterbüro Weitwinkel betreiben.Es ist eine gut geschriebene, Brand-Eins-würdige Geschichte:prägnant im Stil, ausreichend faktiziert, dramaturgischfolgerichtig und zugleich mit szenischen Beschreibungengeschmückt, die treffend gesetzt sind – nach meinemVerständnis ein gelungenes Feature, das ein akutesStrukturproblem, die Langzeitarbeitslosigkeit Jugendlicher, nichteinfach an Fallbeispielen abarbeitet, sondern gut recherchierte»typische« Situationen bringt, die neue Lösungswegezeigen.
Natürlich könnte man an dieser Story herummeckern,zumal es den perfekten Text nicht gibt. Aber das wäre kleinkariertund würde das Gelungene übertünchen, nämlich, dasshier drei Journalisten nach ihrer Ausbildung (KölnerJournalistenschule) gleich als Freie arbeiten wollten und dabeierfolgreich sind. »Für mich«, sagt Massimo Bognanniganz ohne Überschwänglichkeit, »ist es ein Traumberuf.Wir können genau die Themen angehen, die uns interessieren.«
Wenn man schwärmen wollte, könnte man die neueFreiheit des Freien so besingen: Inzwischen arbeiten viele, vor allemjunge Zeitschriftentitel mit sehr schlanken Produktionsredaktionen.Vier, fünf Leute planen die nächste Ausgabe mit vielleicht120 redaktionellen Seiten, geben Schreibaufträge fürfünf bis sechs größere Geschichten nach draußen,lassen den Autoren weitgehend freie Hand bei der Umsetzung undredigieren bei Redaktionsschluss die eingegangenen Texte in Abstimmungmit den Autoren so, dass sie mit den umbrochenen Bilderstreckenzusammengehen und sich stilistisch ins Blattprofil fügen. Klingtgut.
Zu dieser Gattung gehört manch schönesNischenprodukt, für das zu schreiben großen Spaßmachen sollte: neben Brand Eins etwa für die Gruner+Jahr-MagazineNeon und Nido, für das Reportagenheft Mare, dieRingier-Räsonierschriften Cicero und Monopol, aber auch fürHefte wie Merian, Dummy, Feinschmecker plus die verschiedenen noch ganzkleinen Pflänzchen wie Missy. Entsprechend groß, somöchte man folgern, müsse der Bedarf an freien Autorinnen undAutoren sein; entsprechend groß die Lust an origineller Schreibe;entsprechend vielfältig und bunt die Themenpaletten. Zudem hatsich dieses Konzept – kleine Redaktion mit großerAutoren-Corona – ja schon während Jahrzehnten in denöffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten bewährt; dortheißt es, das Modell sei eingespielt; und tatsächlich klapptes dort mitunter auch ganz gut (siehe Forschungsbericht im Heft).
Eine unübersichtliche Heerschar
Es wäre schön, wäre es überall so. In derPrintwelt hat die Wirklichkeit indessen ein anderes Gesicht. Seit derDotcom-Krise vor zehn Jahren haben die Presseverlage –konservativen Schätzungen zufolge – rund 15 Prozent derRedaktionsmitglieder auf die Straße gesetzt und zeitgleich dieHonorarbudgets gekürzt. Seither ist dieser brutal-gegenläufige Trend zu verzeichnen: Trotz der sichverschlechternden Arbeitsbedingungen nimmt die Zahl der freienJournalisten stetig zu. Wenn wir der in den Medienwissenschaftenüblichen Unterteilung folgen, gab es in allen vier GruppenZuwächse, aber auch Verschiebungen:
- Freie Journalisten ohne festen Auftraggeber (nur Honorarbasis):Früher Ausgangssituation für Berufseinsteiger, heute Alltagvieler älterer »Umsteiger«; stark gestiegener Anteilan Teilzeitjournalisten, die Haupteinnahmen aus Werbung/PR generieren;
- Bauchladen-Journalisten mit mehreren festen Abnehmern (insbesondereKorrespondenten): Weitgehend stabile Situation, aber zunehmendvertragslose Arbeitsverhältnisse;
- Feste Freie (meist Pauschalisten, die vornehmlich für einenAuftraggeber arbeiten): Der Zuwachs betrifft jüngere ehemaligeRedaktionsmitglieder von Tageszeitungen, die als feste Freieweiterbeschäftigt werden (das heißt, dasselbe wie bisher zuschlechteren Konditionen tun).
- Netzwerk-Journalisten, die mit anderen kooperieren und (meist inRedaktionsbüros) die Fixkosten teilen: Boomhafter Anstieg vorallem dank jüngerer Fachjournalisten, die sich auf Themen undAbnehmerkreise spezialisieren.
Wie viele Freie es heute genau gibt, weiß man nicht. Erstens kannsich bekanntlich jeder Journalist nennen, der Lust hat; zweitensüben viele den Job nur teilzeitlich oder bei Gelegenheit aus: Woist die Grenze? Und drittens ist nur ein Teil verbandlich organisiertund somit identifizierbar. Die Schätzungen schwanken zwischen12.000 (Weischenberg 2006), 22.500 (DJV 2009) und 30.000 (Weichler2005) hauptberuflich Tätigen. Wenn man indessen dieHauptberuflichkeit ernst nimmt (das heißt mehr als 50 Prozent derArbeitszeit für journalistische Tätigkeit), dürfte nachunseren Schätzungen die Zahl derzeit deutlich unter 20.000 liegen.Und von denen sind bestenfalls zwei Drittel auch wirklich aus freienStücken frei (siehe Kasten: »Freie Journalisten inDeutschland«).
Die Umsatzrendite ist wichtiger
Das Anwachsen der Freien und das Schrumpfen der Honorarbudgetsin vielen Redaktionen macht die einen machtlos und die anderen zuDespoten. Das drückendste Problem, sagen praktisch alle von unsbefragten Freien, aber ist die Skrupellosigkeit vor allemgrößerer Verlage, mit der sie ausgebeutet würden. Mansollte mit dem Wort »Ausbeutung« zurückhaltendumgehen, zumal niemand gezwungen wird, als Journalist zu arbeiten. Unddoch ist es Ausbeutung, weil viele Freie zu ihrer Tätigkeit keineAlternative sehen und die Pseudohonorare missbilligend hinnehmenmüssen. Solidarität ist unter Journalisten, zumal unterFreien, noch immer ein Fremdwort.
Der Frust richtet sich vor allem gegen Verlage, die mit stolzgeschwellter Brust …
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