»Wir haben ein anderes Bild«
Wie geht die Geo-Redaktion mit den Texten freier Autoren um?Geo-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede antwortet auf Message-Fragen zumaktuellen Streitfall Jungblut gegen Geo. Und er erläutert, was erunter einer Textredaktion versteht.
von Natascha Fioretti
Message: Herr Gaede, in denvergangenen Monaten haben verschiedene Blogger in der StreitsacheJungblut gegen Geo überraschend heftig über Geo und seinenChefredakteur geschimpft – überraschend deshalb, weil Geoeine hoch angesehene Autorenzeitschrift ist, für die zu schreibensich viele Journalisten gern strecken und recken.
Gaede: DieAnfeindungen in diesem Zusammenhang finde ich tatsächlichverwunderlich. Es scheint viel – teils verständlichen– Frust in der Szene der freien Autoren zu geben, eine latenteAggression. Aber wieso gilt sie ausgerechnet Geo? Haben wir, wieandere, in der Krise unsere Pauschalisten in die Wüste geschickt?Nein, keinen einzigen. Haben wir, wie andere, in der Krise die Honorareunserer Freien gekappt? Nein! Zahlen wir, wie manch anderes angesehenesBlatt, erst bei Veröffentlichung? Nein, sondern sofort beiLieferung. Übernehmen wir sämtliche Reisekosten unsererAutoren? Selbstverständlich, auch wenn ein anonymer Bloggerlügt, es sei anders. Was den Respekt vor Autoren betrifft, lassenwir uns gerne auf den Prüfstand stellen.
Message: Anscheinendkommt es hin und wieder vor, dass Geo den Text eines Fremdautorenpubliziert, auch wenn der Verfasser mit den Redigaturen nichteinverstanden ist
Gaede: Es giltgrundsätzlich, dass ein Autor mit der veröffentlichtenFassung einverstanden sein muss – also das Prinzip Gegenlesen.
Message: Ausnahmslos?
Gaede: Es gibt ab undan eine Ausnahme im Detail. Ja, wir machen auch mal aus einemBandwurmsatz zwei, ohne den Autoren zu fragen. Ersetzen ein Komma durchein Semikolon. Kürzen in letzter Minute, wenn sich der Heftumfangändert, einen Absatz. Und fragen nicht jedesmal, bevor wir»Laster« durch »Lastwagen« ersetzen und»atemberaubend« durch »atemraubend« und einen»Beigen« Teppich durch einen »beigefarbenen«.Aber ich finde, dass dies einfach Handwerk ist, ungefähr auf derEbene, auf der wir auch Tippfehler korrigieren – sicher zumGefallen des Autors. Schlimm? Ich finde: nein. Und nebenbei: Wir habenmit unseren Redigaturen offensichtlich noch niemandem einenReporterpreis verhagelt, von denen ja gerade Geo-Autoren nicht wenigebekommen.
Message: InMagazinredaktionen, die auf Qualität achten, kommt es schon malvor, dass eine bestellte Geschichte wegfällt, gemäß derFormel: »Außer Spesen nichts gewesen«. Darf es diesbei Geo nicht geben?
Gaede: Sie meinen,dass wir einen Text, über den wir uns nicht verständigenkönnen, einfach nicht drucken, auch wenn er viel Geld gekostethat? Doch, das gibt es auch. Aber selten. Schon deshalb, weil derKonflikt, aus dessen Anlass Sie mich interviewen, so selten ist.Glücklicherweise. Denn in der Regel sind unsere Reportagen ja miteinem enormen Aufwand an Gedanken, Zeit und Geld verbunden. Und an fastjedem Text hängt auch ein großes Fotoprojekt. Dasheißt: Bevor wir etwas aufgeben, muss es schon arg in derGrütze sein. Und damit es nicht soweit kommt, sind auch dieReparaturaufwendungen auf redaktioneller Seite, wo nötig,entsprechend groß.
Message: Könnteim Konfliktfall die Textredaktion nicht auch mal einen Kompromisssuchen, indem sie für beide Seiten akzeptable Umformulierungensucht?
Gaede: In der Regeleinigen wir uns doch! Außerdem müssen wir hier nicht so tun,als sei jeder Text ein Konfliktfall. Wir haben eine Mengehervorragender Autoren, die sich über unser Gespräch sowiesowundern würden. Aber Entschuldigung, im Zweifel müssen wirunsere Qualitätsvorstellungen durchsetzen. Wir sind es ja, die dasBlatt gegenüber den Lesern zu verantworten haben.
Message: Wie oft kames schon vor, dass Geo – wenn keine Einigung mit dem Autorerzielt werden konnte – den Text unter einem Pseudonymveröffentlichte?
Gaede: Seit ichChefredakteur bin, also seit 1994, ist dies sechs oder sieben Malvorgekommen – und es hat exakt vier Personen betroffen. In einemFall wollte ein Autor nicht mit dem Fotografen über einerGeschichte stehen, mit dem er sich während der Recherchegestritten hatte; ziemlich komisch. In einem anderen Fall war ein Autormit seinem Text nicht rechtzeitig fertig geworden. Da es sich um einenSerien-Teil handelte, konnten wir ihn nicht verschieben, mussten ihnalso in der Redaktion ergänzen. Der Autor zog seinen Namenzurück, was schade war, denn der Text sollte dann für einengroßen Preis nominiert werden, was aber bedeutet hätte, dasses zu einem peinlichen Outing hätte kommen müssen.
Message: Und kam esschon vor, dass ein freier Autor oder Reporter seinen Textzurückgezogen hat, weil er mit der redaktionellen Bearbeitungnicht einverstanden war?
Gaede: In denvergangenen bald 17 Jahren, in denen wir unter meiner Chefredaktionrund 200 Ausgaben mit rund 1400 großen Geschichten herausgegebenhaben, ist ein Mann zum Helden des Widerstands gegen Geo geworden: einWidergänger von Klaus Kinski unter den Autoren. Er konntefabelhaft schimpfen und beschimpfen, und zwar jeden einzelnen unsererRedakteure. Er sah sich als Asphaltcowboy im finalen Kampf gegen dieSesselpuper, vergessend, dass jeder Redakteur von Geo selber Reporterist. Er warf uns vor, ich kann das sogar noch auswendig, seine Texte zu»entmannen«. Er fand, wir sollten »ficken«schreiben. Und »pissen« statt »urinieren«.Wunderbar.
Message: Fakten, alsoSachaussagen, werden auch bei Geo von der Doku überprüft.Wenn ein Text viele Sachfehler aufweist, wirkt dies nicht manchmal wieeine Einladung an die Redaktion, im Text zu wüten undumzuschreiben?
Gaede: Wenn wirmerken, dass ein Text voller sachlicher Fehler ist, ja, erhöhtsich die Zahl notwendigerweise umzuschreibender Sätze ganzautomatisch. Denn es geht dann ja oft nicht nur um das Ersetzen einer 2durch eine 3 oder um die Korrektur eines Vornamens, sondern es gehtmitunter um Zusammenhänge, deren Korrektur die Umgewichtung ganzerAbsätze bedeutet. Wenn Sie das ‚Wüten’ nennenwollen: bitte.
Message: Sind Texte wie die des erfahrenen alten »Geo-Hasen« Jungblut denn nicht per se Geo-like geschrieben?
Gaede: Dies ist einspezieller Fall, zu dessen genauer Genese ich mich nichtäußern werde, solange er die Gerichte befasst. Ich kann nureines sagen: Ich hielte es für irrig, hinter diesem Fall etwasÜbertragbares zu vermuten. Und deshalb verstehe ich auch diegroße Aufregung nicht.
Message: Es handelte sich zweifelsfrei eine redaktionelle Bearbeitung, mit der der Autornicht einverstanden war. Sie haben sich über das Nein des Autors hinweggesetzt.
Gaede: Das sieht von außen so aus. Aber die genauen Umstände, den komplettenHintergrund werden wir noch einmal dort darlegen, wo die Sache inzweiter Instanz verhandelt wird. Wir jedenfalls haben ein anderes Bild.Interessant übrigens, dass Sie von einem alten Geo-Hasen sprechen.Ja, das war Jungblut tatsächlich. Er war bis zum Erreichen derAltersgrenze gut bezahlter Pauschalist bei uns, hat meines Wissensüber Jahre vor allem in Geo veröffentlicht. Insofern eigneter sich gar nicht zu jenem von uns gequälten Freien, zu dem ihnsolidarisierende Blogger nun erheben.
Message: Über verschiedene redaktionelle Textänderungen kann man, was diesprachlich-stilistische Güte betrifft, unterschiedlicher Meinungsein. Vieles davon erscheint uns als eine Geschmacksfrage, und mancheUmformulierung bedeutete aus unserer Sicht eher eineVerschlimmbesserung.
Gaede: Ich überlasse das alles Ihrem Urteil. Und ergänze nur eineKleinigkeit: Die Güte textlicher Veränderungen hängtauch von den Umständen ab, in denen man sie vornehmen muss: inKooperation mit dem Autor – oder von ihm alleingelassen. Mitrechtzeitig geliefertem Dok-Material – oder ohne. Mit derNotwendigkeit zusätzlicher Recherche – oder ohne. In einemGefühl kollegialer Zusammenarbeit – oder im Kampf. Entspannt– oder von Obstruktion genervt. Ziehen Sie Ihre Schlüsse.
Message: Geo wurde vor drei Jahrzehnten als Magazin für die großen Geschichten ausder weiten Welt gegründet. Dann kamen die naturwissenschaftlichenReports dazu – man erinnert sich an die aufregenden Texte von UweGeorge – , dann wurde Geo vermehrt ein Autoren-Magazin miteigenwilligen, dabei brillanten Geschichten. Wenn Sie einem freienJournalisten, der für Geo schreiben will, das heutige Heftkonzepterklären sollten, wie lautet Ihre Definition?
Gaede: Geo ist ein Reportage-Magazin mit eigenwilligen Autoren und brillanten Geschichten,dessen Themenspektrum allerdings größer geworden ist. Unddas neben Reportagen mittlerweile auch andere Genres bietet: Reports,Interviews, ein Debattenforum, Nachrichten aus der Wissenschaft,Glossen. Die Ansprüche an die Autoren sind kräftig gestiegen:Außer Wüstenwanderungen müssen sie jetzt Teilchenphysikoder die inneren Zusammenhänge des Emissionshandelsbewältigen. Außer Stadtportraits jetzt auch diepsychosoziale Verfasstheit eines Mörders. AußerHundekämpfen jetzt auch die Geschäfte von Monsanto verstehen.Sind wir ein»Autorenblatt« im Sinne traditionellerSelbstverwirklichung einzelner Schreiber? Nein, das sind wir nicht. Wirhaben nur trotzdem eine sehr viel größere Bandbreite anStilisten, Charakterköpfen und Könnern.
Message: Der Medienwettbewerb zumal im Zeitschriftenmarkt ist härter geworden,der Konkurrenzdruck lastet auch auf Geo, dessen verkaufte Auflage inden vergangenen Jahren massiv zurückgegangen ist. Könnte essein, dass die Geo-Redaktion deshalb auch Storys will, diegefällig daher kommen und ein breites Publikum ansprechen?
Gaede: Gefällig? Was meinen Sie damit? Anspruchsloser, austauschbarer, platter? Ich sehedas genaue Gegenteil. Ich glaube auch nicht, dass man über unsereThemen, also zum Beispiel über Migration, Libyen, Aidswaisen,Tierhandel, Schulmisere, Haiti, illegalen Holzhandel oderUmweltdesaster in China überhaupt »gefällig«schreiben kann. Und schon gar nicht wäre das Gefälligerwerdeneine kluge Strategie gegen den Rückgang der Auflage. Ja, diesenRückgang haben wir, teilen ihn mit vielen klassischen Magazinen.Aber wir haben auch einen Trost: nämlich den, dass wir mitinzwischen elf Geo-Reihen eine weit höhere Gesamtauflage haben alsfrüher mit nur einer.
Die Fragen stellte Message-Herausgeber Michael Haller.
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