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»Wir haben es beschleunigt«
Sherine Tadros berichtete für Al Jazeera English von derägyptischen Revolution. Dafür bekommt sie die Feindseligkeitder Bevölkerung zu spüren. Ein Gespräch über dieArbeit eines polarisierenden Senders.
von Mark Lee Hunter und Luk Van Wassenhove
Als am 25. Januar die Menschen inKairo zur größten Demonstration in Ägypten seit Jahrenzusammenkommen, sitzt Sherine Tadros noch in einem kleinen Büro inGaza-Stadt. Die 30-Jährige berichtet seit fünf Jahren alsKorrespondentin für Al Jazeera English aus dem Nahen Osten undNordafrika. Sie coverte die Kämpfe im Libanon 2007 und denGaza-Krieg Ende 2008. Doch die Bilder aus Kairo, die jetzt überden Bildschirm in ihrem Büro flimmern, haben für dieÄgypterin Tadros eine besondere Unmittelbarkeit. Als Tochterägyptischer Eltern in London geboren, wuchs sie im Nilstaat auf.
Am 28. Februar steigt sie in eine der leeren Maschinen, die aus demjordanischen Amman zu Evakuierungsflügen nach Kairo aufbrechen.Dort haben sich die Proteste mittlerweile ausgeweitet, das Militärmarschiert auf, um das vom Präsidenten verhängteAusgangsverbot durchzusetzen.
Fortan berichtet Tadros von den unkämpften Straßen derHauptstadt, die Nächte verbringt sie auf dem Tahrirplatz bei denDemonstranten. Einmal, da steht sie gerade vor dem Gebäude desStaatsfernsehens, hält das Militär sie für eineSelbstmordattentäterin, weil ihr ein Kabel aus der Blusehängt. Es gehöre zu ihrem Funkmikrofon, erklärt sie imVerhör nach ihrer Verhaftung. Für wen sie arbeite, fragen dieMilitärs. Der Reporterin wird flau. Für einen kleinen Sender,lautet ihre Antwort. Und ihren Presseausweis habe sie zu Hause liegenlassen.
Frau Tadros, sind Sie zufriedenmit Ihrer Berichterstattung über die Revolution in Ägypten?
Sherine Tadros: Als Reporter bist du niemals zufrieden und denkstimmer, du hättest mehr machen können, gerade aus diesergroßen Geschichte. Die Frage ist, haben wir es als Senderinsgesamt richtig gemacht?
Und, haben Sie?
Ich bin sehr stolz auf unsere Berichterstattung.
Was genau macht Sie so stolz?
Die Revolution fing nicht erst am 25. Januar mit den Protesten an.Sie startete, als die Jugendgruppen begannen, sich zu organisieren undihre Stimmen zu erheben, was zum Teil schon zwei Jahrezurückliegt. Diese Entwicklungen haben wir von Anfang an begleitetmitGeschichten über diese Gruppen oder die OppositionsbewegungKifaya. Während der Proteste selbst ging es dann vor allem darum,die Stimmung auf den Straßen einzufangen. Schauen Sie sich den 2.Februar an, als es zu schweren Ausschreitungen zwischen Demonstrantenund Mubarak-Anhängern kam: Wir hatten einen Korrespondenten amTahrirplatz, ich selbst war mit den Anhängern Mubaraks unterwegs,zwei weitere Korrespondenten überblickten das Szenario aus derDistanz. Wir lieferten ein umfassendes Bild der Ereignisse, denn wirwaren überall. Es ging in dem Augenblick nicht um die großeAnalyse, sondern um Zeitzeugenschaft. Die erforderte ja auch den Mutvon uns Korrespondenten, nah dran sein zu wollen und uns ganz vorn inden Tumult zu begeben.
Das ägyptischeInformationsministerium hatte Al Jazeera am 30. Januar die Lizenzentzogen und das Kairoer Büro schließen lassen. Warum?
Die Message, die das ägyptische Staatsfernsehen bezüglichAl Jazeera verbreitete, war eindeutig: Al Jazeera übertreibt undlügt. Die Behörden meinten, wir hätten die Menschen zuden Protesten angestachelt. Das stimmt aber nicht. Wir berichtetennonstop, was sich im Land abspielt. Wie sich die Zuschauer zu denEreignissen verhielten, war ihre eigene Entscheidung. Aus Sicht derBehörden schadeten wir dem Land. Aus unserer Perspektive machtenwir einfach unseren Job. Wenn ich unsere Berichterstattung etwa mit dervon CNN vergleiche, verstehe ich bis heute nicht, was genau dieBehörden speziell gegen Al Jazeera hatten. In den Anfangstagen derProteste glich sich unsere Berichterstattung ziemlich.
Aber anders als CNN richtet sichAl Jazeera insbesondere in seinem arabischen Programm an die lokaleBevölkerung. Da verwundert die Jazeera-Paranoia derägyptischen Behörden doch nicht.
Da waren aber noch andere arabische Medien wie Al Arabiya vor Ort,und die wurden nicht dicht gemacht. Die Schließung hattevermutlich mit unserer großen Reichweite zu tun. Uns guckt so gutwie jeder Haushalt, ganz gleich, ob die Menschen uns lieben oderhassen. Die ägyptische Regierung wollte die Deutungshoheitüber die Ereignisse nicht verlieren und das Feld am besten nurjenen arabischsprachigen Medien überlassen, derenBerichterstattung staatlich gelenkt wird.
Warum wird Al Jazeera von Teilender Bevölkerung gehasst, wie Sie sagen? Von wem genau?
In vielen arabischen Gesellschaften herrscht die Überzeugung,dass man seine Dreckwäsche besser nicht in allerÖffentlichkeit wäscht. Während der Revolution kamen dieRessentiments gegen Al Jazeera deshalb nicht nur aus demPro-Mubarak-Lager. Sie zogen sich durch verschiedene Schichten derägyptischen Gesellschaft. Als die Plünderungen losgingen undwir entsprechende Bilder zeigten, richteten sich dieDemokratie-Vertreter gegen uns. Sie warfen uns vor, die Revolution zudiskreditieren und Ägypten in einem schlechten Licht zu zeigen.Ein Dorn im Auge waren wir auch für die breite Masse derer, diezwar Mubarak loswerden wollten, aber ohne die Stabilität desLandes zu riskieren. Sie sahen uns als Aufrührer.
Schadet das der Popularitätdes Senders?
Nein. Das ist eher temporärer Unmut, den wir da zu spürenbekommen. Diese Gegenreaktion kennen wir auch aus anderen Ländern.Es gibt immer mal wieder Geschichten, die hochkochen. Nehmen Sie zumBeispiel die Veröffentlichung der »Palestine Papers«.Wir haben vertrauliche und hoch kontroverse Dokumente aus denFriedensverhandlungen zwischen Israel und den Palästinensernpublik gemacht. Die palästinensische Regierung im Westjordanland,die uns eigentlich sehr wohlgesonnen ist, tobte. Daraufhin folgt einePhase, in der Al Jazeera mit Feindseligkeit begegnet wird. Es dauerteine Weile, bis sich das wieder legt.
Al Jazeera hat trotz derSchließung durch Mubaraks Leute weiter berichtet. Wie ging das?
Das war schwer. Wir haben versucht, uns so unauffällig zuverhalten wie nur möglich und waren meist auf unsere Telefonebeschränkt und auf Skype. Damit machten wir unsere Liveschalten.Wir fotografierten und twitterten. Das war alles, was wir tun konnten.Es war …
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