Recherche
Nur nicht aufgeben
Eine Redakteurin der Lausitzer Rundschau entdeckt in einem Klub rechtsextreme Symbole und beginnt zu recherchieren. Es kommt zu einem Kampf um Meinungsfreiheit gegen die örtliche Naziszene.
von René Wappler
Die Geschichte »Lausitzer Rundschau gegen den rechten Terror« beginnt mit einer Polizeimeldung aus dem Jahr 2007. In einem Jugendklub in Spremberg wurde eingebrochen. Vor Ort fand die Redakteurin Peggy Kompalla Spuren von rechtem Gedankengut. Schnell stellte sich heraus, dass dieser Jugendklub als Treffpunkt junger Neonazis in Spremberg und Umgebung galt. Es dauerte nur wenige Tage, dann schloss er seine Türen – auch aufgrund des öffentlichen Drucks, der durch die Zeitungsartikel entstanden war.
Natürlich verschwanden damit nicht die jungen Leute aus Spremberg, die zu dieser Szene zählten. Das erfuhr ich, als ich im Jahr 2010 eine Konferenz von Kommunalpolitikern der Nachbarstadt Drebkau besuchte. Sie hatten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes eingeladen, die berichteten, dass in Spremberg knapp 30 rechtsradikale junge Menschen lebten, von denen ein großer Teil bereit sei, Gewalt einzusetzen.
Zur Quelle der Information äußerten sich die Verfassungsschützer nicht. Der Verfassungsschutz erläutert das auf seiner Internetseite so: Eine offene Informationsbeschaffung sei nicht immer möglich oder effektiv. Deshalb könne der Staat »unter engen gesetzlichen Voraussetzungen« nachrichtendienstliche Mittel wie Observation oder Überwachung des Fernmeldeverkehrs einsetzen.
Recherchefokus: rechte Szene
Damals arbeitete ich noch in der Cottbuser Redaktion der Lausitzer Rundschau. Ein Jahr später erhielt ich das Angebot, in das 25 Kilometer entfernte Spremberg zu wechseln. Von da an war klar: Die rechtsradikale Szene in Spremberg würde mich künftig stärker beschäftigen, zumal die jungen Leute mit einschlägigen Zeichen auf ihren Jacken und T-Shirts durch die Innenstadt liefen. Zum Beispiel mit einem Slogan der Neonazi-Band »Deutsch Stolz Treue«: »Eure Galgen werden schon gezimmert.«
Im Herbst 2011 sprach ich mit Fachleuten vom Mobilen Beratungsteam. Dessen Mitarbeiter besuchen Rathäuser, Jugendzentren und Unternehmer im Land Brandenburg, um im Auftrag des Vereins »Demokratie und Integration Brandenburg« über Fälle von politischer Gewalt und Fremdenfeindlichkeit zu berichten. Manche Informationen stammen sogar aus erster Hand: So kam es vor, dass jemand aus der rechtsextremen Szene ausstieg und später für das Mobile Beratungsteam arbeitete.
Widerstand und Drohungen
Außerdem unterhielt ich mich mit Politikern verschiedener Fraktionen aus Spremberg, um sie und ihre Stadt besser kennenzulernen. Dabei redeten wir auch über die jungen Rechtsextremen. Es gab Gesprächspartner, die das Interesse befürworteten – und solche, die abblockten. Ein Stadtverordneter erklärte, unser Medienhaus werde sich in Spremberg keine Freunde machen, wenn es die radikalen Strukturen öffentlich beleuchten wollte.
Wer sich in mittelgroßen Städten als Journalist für diese Umtriebe interessiert, gilt nach wie vor in den Augen mancher als Nestbeschmutzer. Viele würden es wohl lieber sehen, wenn der Redakteur gar nicht erst über Themen berichtet, die unangenehm sein könnten. Denn das Image der Stadt könnte ja unter den Berichten leiden – so lautet die typische Logik. »Medien ziehen unsere Stadt in den Dreck«, beschwerte sich ein CDU-Mann, der das Image der Stadt vor allem durch unseren Bericht über die Missstände bedroht sah, weniger hingegen durch die Missstände selbst.
Widerstand kam auch aus einer anderen Richtung. Kaum hatte ich im Herbst 2011 ein Interview mit einem Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams zur Frage geführt, ob denn ein Verbot des ortsansässigen Rockerklubs »Gremium« bevorstehe, besuchte uns ein muskelbepacktes »Gremium«-Mitglied in der Lokalredaktion. Der Mann bat mich nach draußen vor die Tür, wo er derart laut brüllte, dass seine Stimme über den benachbarten Marktplatz schallte. Seine Botschaft war deutlich: Schreibt noch einmal über uns, und ihr bekommt Ärger.
Im Frühjahr 2012 lag schließlich der Bericht des brandenburgischen Verfassungsschutzes für das Vorjahr auf dem Tisch unserer Redaktion. Er listete etliche Aktionen der rechtsextremen Szene in der Spremberger Region auf, über die wir dann auch in der Zeitung schrieben. Untermauert haben wir unsere Artikel mit Äußerungen von Kommunalpolitikern und von dem Verein »Opferperspektive«, der Beispiele für rechte Gewalt in der Stadt dokumentiert hatte.
Blutiger Racheakt für Zeitungsartikel
Wenige Wochen später erfuhren wir, dass sich eine Gruppe von knapp 30 Neonazis am Bismarckturm getroffen hatte, einem Wahrzeichen der Stadt. Nachdem ich die nötigen Hintergrundinformationen eingeholt hatte, berichtete ich über diesen Aufmarsch. Dieser Beitrag brachte die jungen Leute auf und sie griffen gleich zu mehreren Drohgebärden. In einer Nacht prangte der Schriftzug »Lügenpresse, halt die Fresse« am Fenster unserer Redaktion, gespickt mit einem Foto vom Aufmarsch am Bismarckturm. In der nächsten Nacht wurde unser Gebäude mit Eingeweiden eines Tieres beschmiert. Auch hier fand sich wieder das Muster: Wenn ihr über uns schreibt, passiert was. Dabei scheint es den Rechtsextremen nichts auszumachen, dass sie sich einerseits in ihren Internetforen auf DDR-Bürgerrechtler berufen und andererseits auf Einschüchterungsmethoden setzen, zu denen ihnen die Genossen der Staatssicherheit einst wohl gratuliert hätten.
Rechtsterror zielt auf Gesellschaftsmitte
Nach Absprache mit der Chefredaktion war klar: Davon können wir uns nicht einschüchtern lassen. Vier Tage später berichteten wir, wie Neonazis aus dem Spree-Neiße-Kreis dazu aufgerufen hatten, SPD-Mitglieder aus Spremberg auf offener Straße zu bespucken. Dieses Beispiel zeigt, dass der Terror von Rechts inzwischen auch Menschen aus der Mitte der Gesellschaft trifft; man muss schon lange nicht mehr zum harten Kern der Antifa gehören, um sich Attacken der Neonazis ausgesetzt zu sehen. Zudem wurden, ebenfalls kurz nach dem Angriff auf unser Büro, mehrere junge Leute nach dem Besuch eines linksorientierten Jugendklubs in ihrem Auto überfallen. Nur mit Mühe entkamen sie den Tätern, die mit Baseballschlägern auf die Scheiben des Autos einprügelten.
Aufklärung durch Berichterstattung
So kam es, dass auch die Spremberger Stadtverordneten öffentlich über die rechte Szene in ihrer Stadt diskutierten. Wir griffen die Debatte in unserer Zeitung auf und berichteten von der Sorge, die mehrere Politiker äußerten.
Chefreporterin Simone Wendler und ich widmeten uns erneut den Verbindungen zwischen rechtsextremer Szene und den Rockern in Spremberg. Immerhin sprachen die Stadtverordneten nun auch über dieses Thema: So luden sie Fachleute vom Mobilen Beratungsteam ein, damit diese in einer öffentlichen Konferenz über Strukturen beider Gruppen aufklärten. Im Juni 2012 kam es dann zu einer Razzia des Innenministeriums bei den »Spreelichtern«, einer Organisation der Neonazis in der Lausitz.
Noch am gleichen Tag wurden die »Spreelichter« verboten. Auch dieses Beispiel spricht dafür, dass Berichte der lokalen und regionalen Presse über brisante Entwicklungen in der jeweiligen Stadt durchaus etwas bewegen können. Dafür lohnt es sich auch, unangenehme Situationen auszuhalten.
Zwar wird die rechtsextreme Szene nicht auf absehbare Zeit aus den Städten und Dörfern der Lausitz verschwinden.
Doch eine Zeitung hat die Chance und auch die Aufgabe, über diese Strukturen zu berichten – sofern sie tatsächlich den Alltag abbilden will und sich nicht als verlängerter Arm einer Rathaus-Pressestelle sieht.
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