Agenturen
Im toten Winkel

Im Januar 2014 trennte sich Associated Press von einem Fotografen, weil er eine Kamera aus einem Bild retuschiert hatte. Im digitalen Zeitalter reagieren
Agenturen auf Bildbearbeitungen empfindlich. Dabei sind die wahren Gefahren der fotografischen Propaganda vollkommen analog.

von Jan Ludwig

Zwei AP-Fotografen, zwei Kriegsbilder: zwei Geschichten. Im Juni 1972 fährt ein junger Mann in den Krieg. Seine Waffe ist eine Leica, sie hat 35 Schuss. Der Fotograf in seinen Zwanzigern arbeitet für Associated Press, er schießt Fotos von der Front in Vietnam. Nach einem Napalm-Angriff gelingt ihm das Bild seines Lebens.

Doch Associated Press will sein Foto so, wie er es als Negativ eingereicht hat, nicht weitergeben. Der Bildredakteur in Saigon schneidet an der Seite einen Kameramann heraus, der gerade seinen Film wechselt. In dieser beschnittenen Fassung geht das Foto um die Welt. Nick Ut, der junge AP-Fotograf, erhält für sein Bild der schreienden Kim Phuc den Pulitzer-Preis.

Im September 2013 fährt ein anderer junger Mann in den Krieg. Auch dieser Fotograf in seinen Zwanzigern arbeitet für Associated Press. Er schießt Bilder von der Front in Syrien. Im entscheidenden Moment drückt er auf den Auslöser und lichtet einen Kämpfer im Sprung ab. Diesmal ist es der Fotograf, der sein Bild so, wie er es gespeichert hat, nicht weitergeben will. Er retuschiert auf der linken Seite eine Fernsehkamera heraus, gibt das Foto so an Associated Press. Narciso Contreras, der junge AP-Fotograf, verliert durch dieses Bild seinen Job.

Gut vierzig Jahre liegen zwischen diesen beiden Ereignissen, zwischen Nick Uts ikonischer Fotografie der schreienden Kim Phuc und Contreras Aufnahme aus dem Bürgerkrieg in Syrien. Vierzig Jahre, in der Bilder immer auch als Propagandamittel benutzt wurden. Nicht nur innerhalb der Kriegsberichterstattung, sondern, wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler schrieb, als Waffe im »Berichterstattungskrieg«. Aber etwas scheint sich verändert zu haben. Nur was?

Unter visuellen Analphabeten

Es hat den Anschein, als hätte die moderne Pressefotografie ein Dopingproblem. Retuschierte Bilder, geschönte Farben: Wer die Photoshop-Skandale und -Skandälchen der letzten Jahre verfolgt hat (darunter das getunte World Press Photo 2013), könnte zu der Überzeugung gelangen, die Bildbearbeitung sei der digitale Gottseibeiuns des Qualitätsjournalismus. Dabei sind es nicht moderne Programme, die uns so anfällig für fotografische Propaganda machen. Die größte Gefahr ist vielmehr […]

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