Editorial
unser Autor Horst Schilling, der Heft für Heft über die Arbeit des Deutschen Presserats berichtet, ist ein ebenso erfahrener Presseratsexperte wie subtil beobachtender Publizist. Was er mit sorgsam abgewogenen Worten über die aktuelle Lage in diesem Gremium schreibt, bedeutet im Klartext, dass die großartige Idee der berufsethischen Selbstkontrolle untergeht.
Der Schutz des Prinzips Unabhängigkeit? Die Wahrheit ist: Immer mehr Chefredakteure zerbrechen sich den Kopf ihrer Anzeigenabteilung und sinnieren, wie sie das Trennungsgebot unter der Etikette »praxisnahe Konkretisierung« aufweichen und ihren Werbekunden redaktionell zur Seite stehen können. Dass solche Dienste aus Sicht vieler Leser das teuerste Gut des Journalismus, seine Glaubwürdigkeit, ramponieren, wird offenbar nicht ernst genommen.
Und die öffentliche Prüfung der Berufsmoral? Seit sieben Jahren mühen wir uns auch gegen den Widerstand prominenter Presseräte, mit einer differenzierten Berichterstattung die oft heikle Spruchpraxis des Presserats zu erläutern und den Diskurs über die Praxis redaktioneller Handlungsmaximen in Gang zu halten. Wie wichtig dies ist, sehen wir an der Orientierungsnot vieler junger Leute, die in der Ausbildung stecken und bei uns nachfragen, weil sie nicht wissen, wie sie sich im Zweifelsfalle verhalten sollen.
Dass Normenverstöße besonders häufig von den Blattmachern der Bild-Zeitung verübt werden, ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass der Bild-Chefblattmacher seine Ethikverstöße geheim halten will: Beschwerden gegen seine Zeitung möchte er abwürgen, und wenn das nicht geht, hinter verschlossenen Türen zerreden. Wie dubioses Gesindel, das sich nur im Dämmerlicht auf die Straße traut, so scheut der Chef von Deutschlands auflagenstärkster Pranger-Zeitung die Öffentlichkeit, wenn seine verletzende Art der Blattmache bei Bild-Lesern Verstörung auslöst.
Konkret: Kai Diekmann ist verärgert, dass Message über Beschwerdefälle recherchiert und über seine Einlassungen vor dem Beschwerdeausschuss berichtet hat. Er fordert vom Presserat strikte Geheimhaltung.
Und wie reagiert dieser? Statt die überalterte Vertraulichkeitsverpflichtung aufzuheben, machten die Vertreter der Journalisten-Union und des Journalistenverbandes sogleich den Kotau Das bedeutet: Unser Berichterstatter muss in Zukunft sein Wissen höchst subtil in die Zwischentöne legen. Nicht viel anders erging es wohl dem blockfreien Journalismus in der DDR, wenn er aus dem ZK berichten sollte.
Was hier geschieht, ist die systematische Demontage der berufsethischen Prinzipien, soweit sie dem Diekmann‘schen Vermarktungsmodell im Wege stehen. Gerade in Zeiten der Verunsicherung über das, was die Qualität journalistischer Medien ausmacht, brauchen wir eine ebenso offene wie durchsetzungsstarke Selbstkontrolle. Eine abgehobene Idee? Keineswegs. Denn genau dies ist der Wunsch der Mehrheit der Journalisten, vor allem der jungen, sagt eine aktuelle Erhebung, deren Befundedringend auf die Tagesordnung des Presserats gehörten.
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