Beschleunigung
Das Wettrennen im Hamsterrad
Noch nie konnten Journalisten die Menschen so schnell informieren – aber noch nie hatten sie so wenig Zeit, um Journalismus zu machen. Paradoxien und Gefahren des medialen Beschleunigungstrips.
von Uwe Krüger
Das Velodrom in Berlin-Friedrichshain, Mai 2009: Die Grünen halten ihren Wahlprogramm-Parteitag ab und sind nervös: Wie werden sie in der Berichterstattung wegkommen? Die Medienvertreter bekommen die Redetexte zum Anfang der Rede zugemailt. Jeder zweite Grüne hängt über seinem Blackberry oder i-Phone, um zu schauen, welche Zitate die Agentur aus der Rede herausgepickt hat, die vorne gerade gehalten wird. Diese Neugier überlastet das W-Lan-Netz im Velodrom; nervöse Journalisten schimpfen, dass sie keinen Kontakt mit ihren Redaktionen bekommen, die ihre Texte ins Netz stellen wollen.
Kurz nach Parteitagsbeginn brechen die ersten Online-Analysen über die Grünen herein: Es habe einen Linksrutsch gegeben. Nicht wenige wundern sich. Manche vom linken Flügel nehmen es dankbar auf und verkünden ihren Sieg, andere Linke sind nervös, weil sie befürchten, dass ab jetzt alle Journalisten nur noch mit Realos sprechen wollen.
»Ein ordentliches Gespräch war kaum möglich«, blianziert die Taz-Korrespondentin Ulrike Winkelmann am Montag darauf in ihrem Blatt und merkt an: »Sollte allerdings die Geschwindigkeit, in der die Berichterstattung über Parteitage zum Teil der Parteitage wird, noch zunehmen, könnte man sie auch gleich als Blog ins Internet verlegen.« (Taz 11.5.09). Von Kollegen bekommt sie Beifall: Viele haben das Gefühl, dass das Tempo ungesund geworden ist.
Nun ist ein langsamer Journalismus per definitionem undenkbar. Nachrichten wurden schon immer so schnell übermittelt, wie es technisch möglich war. Aber infolge der digitalen Revolution haben Geschwindigkeiten im Mediensystem derart zugenommen, dass Journalisten immer öfter an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit kommen – und dass sich Berichte zeitlich derart mit dem Ereignis überlappen, dass sie zu Schnellschüssen ohne Kontext und Reflexion verkommen – man denke an die twitternden Focus-Reporter in Winnenden (siehe Message 2/2009).
Verdichtung und Vermehrung der Aufgaben
Beschleunigungsprozesse im Journalismus sind nicht nur dort zu finden, wo die Zeit zwischen dem Ereignis und der Veröffentlichung des Berichtes darüber geschrumpft ist; sie verstecken sich auch an vielen anderen Stellen journalistischer Tätigkeit. Wie der Medienwissenschaftler Kay Kirchmann dargelegt hat, ist Beschleunigung nichts anderes als die Verdichtung von Ereignissen innerhalb einer Zeitspanne: gefahrene Kilometer pro Stunde genauso wie gelesene E-Mails pro Tag oder Kameraeinstellungen und Schnitte innerhalb einer Fernsehsendung. Blickt man mit dieser Brille auf die Entwicklungen der letzten Jahre: An welchen Stellen hat sich Journalismus beschleunigt – und welche Auswirkungen hat das?
»Als ich Anfang der 80er Jahre meine erste Hospitanz bei der Welt hatte, schrieben die Redakteure ihre Artikel noch auf der Schreibmaschine oder diktierten sie der Sekretärin«, erinnert sich Daniel Jahn, Jahrgang 1961, heute Chefredakteur von AFP Deutschland. Seitdem haben der Computer, das Internet, redaktionelle Umorganisationen und Stellenabbau die Aufgaben eines Printredakteurs deutlich erweitert; heute kümmert er sich im selben Zeitrahmen auch ums Seitenlayout und andere administrative Aufgaben und schreibt ein Zusatzstück für die Online-Ausgabe. Dass Redakteure auf Terminen gleich noch Fotos schießen oder Webfilmchen drehen, ist bei vielen Blättern inzwischen Standard.
Hinzu kommt die Informationsflut, die auf die Journalisten einströmt. Ein Redakteur bekommt im Durchschnitt täglich 80 Presseinformationen per Mail, 11 per Fax und 9 per Brief, hat eine Umfrage des Journalistenzentrums Wirtschaft und Verwaltung zusammen mit der Universität Dortmund ergeben, die 2007 unter Journalisten in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde (www.journalistenzentrum-jwv.de). Redaktionell verwertet werden können nur die wenigsten, aber die meisten Befragten benötigen für das Aussortieren ein bis zwei Stunden.
Auch die Anzahl der Agenturmeldungen ist drastisch gestiegen. Für die DPA rechnet deren Chefredakteur Wilm Herlyn vor: »Vor 20 Jahren wurden täglich 120 Meldungen verschickt, jetzt sind es mehr als 600, nur im Basisdienst« (SZ 11.2.09). Hinzu kommt die Beobachtung der Konkurrenz und anderer Quellen, wie neuerdings Twitter, das sich im Fall des abgeschotteten Iran gerade als »Social-Media-Nachrichtenagentur« profiliert hat.
Die Folge: 25 Prozent der Journalisten leiden unter der Informationsflut …
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