Usa
Eine Idee zu früh

Mit umstrittenen Konzepten wollte Mark Willes Mitte der 90er die LA Times retten. Er scheiterte an engstirnigen Gegnern. Wäre seine Strategie verfolgt worden – die Krise von heute wäre nicht so groß.

von Stephan Ruß-mohl

Vieles hat sich unter den Wettbewerbsbedingungen des Internets im Vergleich zu den »guten, alten Zeiten«, als die meisten Zeitungen ihre lokalen oder regionalen Monopole hatten, radikal verändert. Vor allem sind »die Kosten sehr viel höher, Vorlieben und Wünsche der Publika nicht zur Kenntnis zu nehmen«, so jedenfalls sieht es der amerikanische Experte für Online-Journalismus, Pablo Boczkowski. Auf gut Deutsch: Journalisten können nicht mehr in einem Schonraum an den Interessen ihrer Publika vorbeitexten und senden, ohne abgestraft zu werden.

Damit wird Marktforschung wichtig. Ähnlich wie in Europa hielten sie auch über lange Zeit hinweg weder die amerikanischen Verleger noch die Journalisten für nötig. Die Verleger nicht, weil sie ja meist von marktbeherrschenden Stellungen aus operieren konnten – wer Monopolist oder Oligopolist ist, interessiert sich wenig für seine Kunden. Die Journalisten nicht, weil sie auf ihr Bauchgefühl vertrauten (»Der Leser will das so«), aber auch, weil es festgefügte Vorurteile gegenüber der Markt- und Kommunikationsforschung gab und gibt.

Zudem ist es auch in den USA Teil des Selbstverständnisses eines »gestandenen« Redakteurs, dass zur »Gegenseite« gehört, wer in PR, Marketing und Werbung tätig ist: Das sind diejenigen, die Journalismus instrumentalisieren und manipulieren wollen – und schon deshalb ist ihnen zu misstrauen.

Dass Werbe-, PR- und Marketingfachleute auch für Medienhäuser, zumal für Zeitungsverlage, nützlich, ja unentbehrlich sein könnten, um im 21. Jahrhundert die eigenen Marken zu führen, und um bei den Publika dafür zu werben, Journalismus finanziell abzusichern – solche Einsichten sind weiterhin schwer zu vermitteln.

Vom Cereal-Hersteller zum Verlagsboss

Einer, der es frühzeitig versucht hat und gescheitert ist, war Mark Willes. Als Branchenfremder wurde er zum Vorstandsvorsitzenden des Times Mirror-Medienimperiums gekürt. Vom Cereal-Hersteller General Mills kommend, übernahm er 1995 den Stab, als sich die Dinge bereits krisenhaft zugespitzt hatten: Die Auflage des Konzern-Flaggschiffs, der Los Angeles Times, war in den vier Jahren zuvor bereits um 19 Prozent gefallen und drohte unter die magische Millionengrenze abzusacken. Das Anzeigengeschäft, aus dem US-Zeitungen 80 bis 85 Prozent ihres Umsatzes erzielten, war ebenfalls flau. Südkalifornien war mit seiner Rüstungsindustrie nach dem Ende des Kalten Kriegs in eine heftige Rezession geraten, und Konzentrationsprozesse im Einzelhandel ließen das Inserate-Aufkommen zusätzlich schrumpfen.

Redaktionelles besser vermarkten

Die Kulturrevolution nach Mark Willes’ Amtsantritt bestand darin, dass er die Marktforschung intensivierte und zugleich die Zusammenarbeit zwischen Redaktion und Anzeigenabteilung forcierte. Einzelnen Ressorts wurden Manager zugeordnet, die sich bereichsspezifisch um Anzeigengeschäft und Marketing kümmern sollten. Ohne ins redaktionelle Tagesgeschäft einzugreifen, sollten sie auch die redaktionelle Leistung besser vermarkten helfen.

Als Modellfall hierfür galt die Wirtschaftsredaktion. Sie hatte als erste bewiesen, dass das neue Konzept funktioniert: In Zusammenarbeit zwischen dem Ressortchef und dem Marketing-Star des Blatts, der 32 Jahre jungen Kelly Ann Sole, war es gelungen, neue Leser wie auch 40 Prozent mehr Inserate für den Dienstags-Wirtschaftsteil zu gewinnen, der jetzt »Wall Street California« hieß und sich stärker als bisher um Geldanlage drehte. Willes, sonst als Sparkommissar verrufen, genehmigte der Wirtschaftsredaktion elf neue Redakteursstellen.

Als weiterer revolutionärer Akt schwebte Willes für jedes Ressort und jede Ausgabe des Blattes eine Art Gewinn- und Verlustrechnung vor – wobei er klug genug war zu wissen, dass nicht jeder Bereich profitabel sein kann. Andererseits wollte er aber verfolgen können, wie sich Leserakzeptanz und Anzeigenaufkommen für die jeweiligen Bünde und Lokalausgaben entwickeln. Wurde zuvor die ganze Zeitung als Einheit betrachtet, so waren es eben jetzt die Regionalausgaben bzw. Ressorts, die als »profit centers« geführt werden sollten.

Die Börse jubelte, die Medien ätzten

Das Echo war heftig und zwiespältig: An der Wall Street gab es …

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