Informationsinteresse
Dokutainment und News
Sie wollen informiert sein, interessieren sich aber nicht fürTV-Nachrichten und Zeitungslektüre: DasMedienverhalten junger Erwachsener gibt Rätsel auf. EinÜberblick über Forschung und Praxis.
von Armin Wolf
m Herbst 2006 wurde in Österreich ein neues Parlamentgewählt. Wenige Tage vor der Wahl trafen die fünfKanzlerkandidaten und Parteichefs live im ORF-Hauptabendprogrammaufeinander – ein Quotenhit. Einen Gesamt-Marktanteil von 47Prozent schaffen nur wenige Sendungen. Allerdings: von den jungenFernsehzuschauern unter 30 schauten sich an diesem Abend gerade mal25 Prozent die neunzigminütige Politiker-Debatte an, drei Viertelder Jungen schalteten lieber auf einen anderen Kanal.
Wenige Monate später stand eine neue Konfrontation auf demTV-Programm. Diesmal traten vor der Abstimmung drei Kandidatengegeneinander an. Wieder ein Quotenschlager, aber diesmal auch bei denJungen: bei den unter 30-Jährigen erreichte die Sendung einenRekord-Marktanteil von 68 Prozent.
Pop-Stars beliebter als Kanzlerkandidaten
An diesem Abend ging es jedoch nicht um den künftigenRegierungschef des Landes, sondern um einen Plattenvertrag. Es war dieFinalshow von Starmania, der ORF-Version von Deutschland sucht denSuperstar. Und die jüngeren Zuschauer interessierte dieseAbstimmung wesentlich mehr als die Parlamentswahl. Das Publikum derPop-Show war im Schnitt 39, die Zuschauer der Kanzler-Konfrontationwaren durchschnittlich 56 Jahre alt.
Dabei ist ein Durchschnitt von 56 Jahren für eine Politiksendungim Fernsehen noch relativ jung. Und das ist keineswegs nur inÖsterreich so. Das Publikum der Evening News der drei großenUS-Networks hatte 2009 ein Durchschnittsalter von 62,3 Jahren(US-Gesamtbevölkerung: 36,7 Jahre) – und ist damitähnlich betagt wie die Zuseher der ARD-Tagesschau oder vonZDF-Heute.
Junges Publikum will Unterhaltung
Grundsätzlich gilt: Je unpolitischer eine TV-Nachrichtensendung,desto jünger ist ihr Publikum. Mit dem Anteil der Soft Newssteigen auch die Marktanteile bei den jüngeren Zuschauern: Bei denRTL-Nachrichten sind 20 Prozent des Publikums unter 40, bei Sat1 23Prozent und bei den News auf RTL2 und Pro7 gar 51 beziehungsweise 61Prozent.
Fernsehsender auf der ganzen Welt haben ein eklatantes Problem, mitklassischen Politik-Sendungen junge Menschen zu erreichen. Wobei»jung« hier ohnehin weit gefasst wird: gerade mal 4 Prozentder Zuschauer der Sendung ZDF-Heute sind jünger als 40, bei derTagesschau im Ersten sind es 11 Prozent.
Für die Zuschauer ist das alte Nachrichten-Publikumökonomisch unerfreulich, auch wenn die Werbeindustrie sich langsamvon ihrer Fixierung auf die »werberelevante Zielgruppe« der14- bis 49-Jährigen löst.
Weniger junge Tageszeitungsleser
Aber was bedeutet das Desinteresse junger Menschen an traditionellerpolitischer Information demokratiepolitisch? Der US-Soziologe DavidMindich warnt in seinem Buch »Tuned Out: Why Americans Under 40Don’t Follow The News« (2005) vor dem»größten Exodus informierter Bürger in derGeschichte«.
Den Tageszeitungen ergeht es da nicht besser als denNachrichtenformaten im TV. »Kein Teenager, den ich kenne, liestregelmäßig eine Tageszeitung«, hieß es im Sommer2009 in einem Report der Investment-Bank Morgan Stanley über dasMedienverhalten von Teenagern. Der Bericht wurde weltweit zitiert, wohlin erster Linie, weil sein Verfasser – ein 15-jährigerPraktikant – pointiert zusammenschrieb, was er bei seinenAltersgenossen beobachtet hatte.
US-Teenager widmen sich laut einer Umfrage der Kaiser Family Foundationvon 2009 täglich 7,5 Stun-den Medien aller Art, jedochdurchschnittlich nur drei Minuten der Lektüre von Tageszeitungen.Innerhalb von zehn Jahren fiel der Anteil zeitungslesender US-Teenagervon 42 auf 23 Prozent.
Im traditionell print-affinen Japan liest zwar noch immer rund dieHälfte der 20- bis 29-Jährigen regelmäßigTageszeitungen, unter den 40- bis 49-Jährigen sind es allerdingsmehr als 80 Prozent (The Economist, 4.2.2010). In Deutschland nahm lauteiner Allensbach-Studie 2008 nur noch ein Viertel der Teenager»fast jeden Tag« eine Tageszeitung zur Hand. ZweiJahrzehnte zuvor waren es noch doppelt so viele.
Erlerntes Medienverhalten
Und die Hoffnung vieler Verleger und Fernsehproduzenten, die Jungen vonheute würden mit dem Älterwerden in ihre Medien»hineinwachsen«, ist ein fataler Irrtum.
Die jungen Erwachsenen von 2010 werden mit 40 und 50 Jahren nichtwesentlich mehr Tageszeitungen lesen oder TV-Nachrichten sehen alsheute. Das lässt sich aus den Daten der letzten Jahrzehnte mitgroßer Wahrscheinlichkeit ableiten. …
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