Frontjournalisten
Eine familiäre Stimmung

Am bequemsten ist Kriegsberichterstattung »embedded« – versorgt und beschützt vom Militär. Doch die Arbeit unterliegt festen Regeln der Offiziere. Ein aktueller Erfahrungsbericht aus Afghanistan.

von Matthias Degen

Über uns baumeln Fallschirmjacken, wir sitzen auf langen Bänken nebeneinander. Vor, hinter und neben uns hocken Soldaten in Kampfanzügen, jeder hat sein Maschinengewehr griffbereit. Schon der kurze Flug mit der Transall von Usbekistan nach Masar-E-Sharif ist fremd für uns – drei Fernsehjournalisten, die Bundeswehrsoldaten bei ihrem Einsatz begleiten und ihre vielfältigen Belastungen beobachten wollen. Der Pilot sagt durch, es tobe ein Sandsturm über dem Flugplatz im Norden Afghanistans – man wisse nicht, ob die Motoren das mitmachen oder wir umkehren müssen. Sollen wir das faszinierend finden oder beängstigend? Wie bleiben wir distanziert? Das fragen wir uns während unserer gesamten Reise, die wir mit der Bundeswehr unternehmen. Embedded, organisiert von der Pressestelle des Einsatzführungskommandos. Das ist Vollpension mit Unterkunft, Verpflegung und Transport, aber nicht zu verwechseln mit all-inclusive. Denn was wir wann mit wem drehen, das liegt eben nicht nur in unserer Hand. Die Presseoffiziere sind immer mit dabei, fast immer.

Die Landung geht schließlich gut, der Pilot lässt sich von einigen auf die Schulter klopfen, die meisten Soldaten allerdings geben sich wie Geschäftsleute auf einem Business-Flug: weitgehend ungerührt. An der Heckklappe erwartet uns sofort ein Hauptmann, der sich fortan für uns verantwortlich fühlt. Er kutschiert uns zum Zelt und führt mit uns den Weg ab, den der Trauerzug eines getöteten Soldaten wenig später nehmen wird. Entlang der Strecke werden 3.000 Soldaten zum Ehrenspalier für Alexej antreten. »Das sind doch bestimmt gute Bilder«, meint der PR-Soldat. Darauf ist er trainiert, das werden wir immer wieder erleben. Bilder ermöglichen, die groß sind und beeindruckend.

Zwei Regeln des Presseoffiziers

Wir ziehen uns Tücher vors Gesicht gegen den feinen Sandstaub, der bei 48 Grad im Schatten das Atmen schwer macht. Als der Sarg des getöteten 23-Jährigen in die Militärmaschine geschoben wird, der Kommandeur salutiert und der Standortpfarrer das Gebetbuch zuklappt, setzen sich die Soldaten der Kompanie auf den staubigen Beton der Landebahn. Warten, bis die Maschine im Sandnebel verschwunden ist. Leere Blicke, verquollene Augen, Tränen. »Es gibt nur zwei Regeln«, unterbricht der Presse-Hauptmann. »Erstens: Es wird nur gedreht, wenn ich dabei bin. Zweitens: keine Close-ups von weinenden Soldaten.« Gut, unser Objektiv schafft bei der Entfernung ohnehin nur Zweier-Aufnahmen. Aber spätestens jetzt ist klar: Frei ist die Berichterstattung nicht.

Das zeichnete sich schon vor der Reise ab. Was wir genau planen, mussten wir nicht preisgeben. Aber einige wenige Zeilen zum Thema der Reportage, die wollte das Verteidigungsministerium schon haben. Weit wichtiger war den Offiziellen von der Hardthöhe aber unsere Erklärung, dass wir die Bundeswehr von allen Haftungsansprüchen freistellen, falls während des Fluges doch etwas schiefgehen sollte.

Als nach zwei Tagen nerven-aufreibender Ungewissheit endlich der Flug nach Fayzabad geht – unserem eigentlichen – Reiseziel , haben wir uns an die Maschinengewehre, Panzer und sogar an den Staub ein bisschen gewöhnt. An die Dauerbegleitung nicht. Besonders skeptisch macht uns die Sorge, die den Hauptmann beständig umtreibt: Er wisse nicht, was er während des Wartens auf den Weiterflug mit uns machen soll. Er habe doch gar kein Programm organisiert. »Was für ein Programm?«, frage ich. »Wir brauchen kein Programm. Wir möchten beobachten, Soldaten kennenlernen.« Mit Programm meint er Fahrten ins Gebirge, wo sie sich immer noch tagtäglich Feuergefechte mit Taliban-Kämpfern liefern, Interviews mit Generälen und Obersten, oder eben wieder große, beeindruckende Bilder.

Dass uns das alles kaum interessiert, sorgt für Verwirrung. Unser Thema, die Belastungen der Soldaten, eben auch die psychischen, ist nicht das Lieblingsthema der Bundeswehr. Aber bis zu diesem Zeitpunkt haben wir nicht den Eindruck, dass man die Berichterstattung unbedingt verhindern will. Wir sind vielmehr in einem Dilemma: Der sogenannten pressefachlichen Begleitung fehlt es an Verständnis für protagonistengebundene Geschichten. Was man hier kennt, ist das Tagesschau-Geschäft: Eindrucksvolle Bilder von Panzern nebst Minister und General.

Zunehmend spüren wir unsere Abhängigkeit. Zwar versucht der Presseoffizier redlich unsere Wünsche in die Tat umzusetzen, aber wir befinden uns eben in einem Militärcamp. Selbständige Recherche ist schwierig – Internet und Telefon funktionieren mehr schlecht als recht und die Strukturen der ISAF sind kompliziert. Das in Deutschland Selbstverständliche, nämlich die Freiheit beim Dreh und bei der Wahl von Interviewpartnern, ist beschränkt. Und dazu gibt es hier, im Lager, keine Alternative. Anders als bei Hauptversammlungen DAX-notierter Unternehmen, die missliebige Journalisten gerne gängeln, können wir nicht einfach rausgehen, Kritiker suchen und anderswo Geschichten machen. Wir sind embedded.

Ablehnung haben wir nicht erfahren auf unsere Pläne und Interviewwünsche. Wir hätten auch den afghanischen Provinzgouverneur sprechen können oder an einer Shura teilnehmen, der Versammlung der Dorfältesten, wo die Probleme der Region debattiert werden. Externe Einschätzungen zu erhalten, ist kein Problem. Sogar Dolmetscher und Personenschützer hätte uns die Bundeswehr gestellt. Einzige Bedingung: Die PR-Soldaten sind immer und überall dabei. Nicht beeinflussen, aber alles wissen, das scheint die Maxime.

Familiäre Stimmung im Gebirgslager

Der Weiterflug nach Fayzabad ist befreiend. Hier ist alles viel kleiner. 300 Mann und eine Handvoll Frauen inmitten der Berge im Nordosten, in Richtung usbekischer und chinesischer Grenze. Keine Stadt aus Hochseecontainern, sondern ein echtes Lager mit Stacheldraht und Wachturm. Die Blicke der Soldaten sind freundlich, wir sind offenbar eine willkommene Abwechslung. Vier bis sechs Monate am Stück sind sie hier, 5.000 Kilometer weit weg von zu Hause.

Die familiäre Stimmung ist ansteckend, die Herausforderung plötzlich eine ganz andere. Hier fehlt …

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